Alle für Ole oder SPD als das größere Übel?

Stellungnahme der SAV Hamburg zur Wahl
 
Bei den Neuwahlen zur Bürgerschaft am 29.2. errang die CDU in der ehemaligen SPD-Hochburg Hamburg mit 47,2 % (2001: 26,2%) die absolute Mehrheit. Die SPD rutschte von 36,5% auf 30,5% ab. Während die GAL (Hamburger Grüne) ein paar Prozentpunkte zulegen konnte und 12,3% erreichte, schafften weder Schill noch die Offensive oder die FDP die 5%-Hürde. Das Regenbogenbündnis, dass als Wahlbündnis links von Rot-Grün angetreten war und an dem auch die SAV teilgenommen hatte, kam gerade mal auf 1,1%. Die Wahlbeteiligung sank von 71,4% (2001) auf 68,7% und ist damit die zweitniedrigste Wahlbeteiligung in der Hamburger Geschichte. Bei diesem Wahlergebnis fragen sich viele: Sind in der Hansestadt alle vom Konservatismus befallen worden? Egal ob Alt oder Jung, Mann oder Frau, Arbeiter oder Unternehmer: Alle wählten sie den guten offenen „Hanseaten“ Ole. Die Springerpresse feiert ihren Superstar an der Elbe und zitierten eine Hamburgerin wie folgt: „Ole von Beust hat doch gezeigt, dass er seinen Job prima macht. Hoffentlich hat bald jeder wieder ein Rumpsteak in der Pfanne und es geht weiter aufwärts.“ (BILD 1.3.04)  Ist das die reale Hoffnung der Mehrheit der HamburgerInnen?

Protest gegen rot-grüne Kürzungspolitik

Das Wahlergebnis zu Gunsten der CDU drückt keine stabile Unterstützung für die CDU und Ole von Beust aus, sondern ist vielmehr ein Zeichen der Ablehnung der bundes-rot-grünen Praxisgebühr, Rentenreform und Agenda 2010. So entsprechen Umfragen zum bundesweiten Wahlverhalten fast genau dem Hamburger Wahlergebnis. Bundesweit würden zur Zeit 48% der WählerInnen der CDU ihre Stimme geben. Lediglich 29% würden die SPD wählen.  Dass die Stimmen für die CDU nicht alles Stimmen für Kürzungs- und Privatisierungspolitik sind, zeigt auch der Widerspruch zwischen dem erfolgreichen Volksbegehren gegen die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) und dem Erfolg der CDU. 78% der HamburgerInnen stimmten gegen den Mehrheitsverkauf an Asklepios – obwohl die CDU den LBK verkaufen will. Dieses Ergebnis zeigt, dass eine große Mehrheit der Menschen gegen die neoliberale Politik der Regierung ist.
Die CDU konnte bei der Hamburger Wahl um 165.000 Stimmen zulegen. Exakt die Hälfte davon kam von ehemaligen Schill-WählerInnen. Viele von diesen hatten vor zwei Jahren aus Enttäuschung mit der unsozialen SPD-Politik für Schill gestimmt. Diese wollten nach der Desillusionierung mit Schill nicht wieder zur SPD zurück. Besonders in Arbeiterstadtteilen gab es eine regelrechte Stimmung, der SPD auch diesmal die Rote Karte zu zeigen – und aus Protest für die CDU zu stimmen. Während die CDU im Durchschnitt um 21% zulegen konnte, verzeichnete sie unter ArbeiterInnen einen Zuwachs von 24%. Außerdem war die Wahlbeteiligung in Arbeitervierteln besonders niedrig. Viele ehemalige SPD-WählerInnen blieben hier einfach zu Hause.
Die Wahl wirft daher wie bereits die Wahl 2001 ein Schlaglicht auf die Entfremdung eines großen Teils der ArbeiterInnen und Erwerbslosen mit der SPD. Sie verzeichnete das schlechtestes Ergebnis in ihrer Geschichte in Hamburg. Nachdem sie 44 Jahre in Hamburg an der Regierung beteiligt war bzw. sie allein gestellt hatte, trat sie 2001 die  Regierungsverant-wortung an CDU-Schill-FDP ab. Die Schillpartei erreichte damals 19,4% und fungierte als Mehrheitsbeschafferin für die CDU.
Doch dies war erst der Anfang des Bruchs vieler Menschen mit der SPD: Im Vergleich zur Wahl 2001 verlor sie diesmal 12.500 der Stimmen an die Nichtwählerschaft und 35.000 direkt an die CDU. 13.000 ehemalige SPD-WählerInnen wählten diesmal die GAL. War die SPD 2001 noch in 71 Stadtvierteln stärkste Partei, liegt sie heute nur noch in sieben Vierteln vorn. Der „Münteferingeffekt“ ist nicht eingetreten.

„Schill out“ nach Südamerika

Insgesamt zeigen die Verschiebungen in der Wahl sehr deutlich, dass es kein traditionelles Stammwählerpotential mehr gibt – weder für die SPD noch für die CDU. Die ökonomische Lage ist geprägt von einer Phase von Stagnation und Rückgang des Wirtschaftswachstums. Alle etablierten Parteien versuchen auf dem Rücken der Erwerbslosen, ArbeiterInnen, Jugendlichen und RentnerInnen zu kürzen. Dies verursacht eine Loslösung von langfristigen Bindungen an etablierte Parteien und drückt damit eine  Instabilität der politischen Lage aus.
Davon konnten in der neueren Hamburger Geschichte immer wieder Rechtspopulisten und Rechtsextreme profitieren: 1993 erreichten  STATT-Partei, REP und DVU gemeinsam 13,2%. 1997 kamen DVU, REP und Bund freier Bürger auf 8,9%. Bei der letzten Wahl 2001 konnte Schill und seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive kräftig punkten. Während damals noch fast jede/r Fünfte Schill und Konsorten wählte (19,4%), lag die Schillpartei diesmal nur bei 3,1%. Lediglich im Bezirk Harburg konnte die Schillpartei in die Bezirksversammlung einziehen (5,2%). Kurz bevor SPD-Kandidat Thomas Mirow verkündete, er wolle sich aus der Hamburger Politik zurückziehen und lieber wieder als Unternehmensberater gutes Geld verdienen, kündigte Schill an, nach Südamerika auszuwandern.
Viele Menschen hatten sich 2001 erhofft, Schill würde endlich etwas „für den kleinen Mann“ tun. Diese Hoffnung wurde herb enttäuscht. Der Erfolg der Schillpartei drückte ähnlich wie Haiders Erfolg in Österreich eine Stimmung der Bevölkerung aus, die die Kürzungspolitik der etablierten Parteien ablehnt aber keine linke Alternative sieht. Doch genauso wie die Schillpartei schnell wieder weg vom Fenster war (schneller noch als Haider), ist auch die bahnbrechende Unterstützung für die CDU auf Sand gebaut.
Wenn die CDU beginnen wird, den LBK trotz des positiven Volksentscheids zu privatisieren, wenn weiter Stellen im Öffentlichen Dienst abgebaut und soziale Leistungen gekürzt werden, werden sich viele Menschen von der CDU abwenden. Der Wahlerfolg ist zum Großteil dem Vakuum auf der Linken geschuldet.

Regenbogen – Keine linke Alternative für eine solidarische Stadt?

Das magere Wahlergebnis des Regenbogenbündnisses von 1,1% hamburgweit (2001 1,7%) und zwischen 0,9% bis 3,1% bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen macht in erster Linie eins deutlich: Der Regenbogen wurde von vielen Menschen nicht als die kämpferische wählbare Alternative zu Rot-Grün gesehen und war es auch nicht.
Der wichtigste Grund für das enttäuschende Wahlergebnis des Regenbogens liegt darin, dass sich einige Kräfte im Bündnis mit der Idee eines Szenewahlkampfes durchgesetzt hatten. Während Kräfte wie die SAV und andere sich bereits bei den ersten Diskussionen über ein gemeinsames Wahlbündnis für ein Wahlbündnis unter dem Namen „Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag“, eine thematische Ausrichtung auf Themen wie Agenda 2010, Privatisierung und Sozialkürzungen und eine Orientierung auf Arbeiterstadtteile eingesetzt hatten, wurde dies von Kräften wie Regenbogen und PDS abgelehnt. Dies wurde nicht nur an dem inhaltsleeren Namen des Wahlbündnisses deutlich, sondern auch an der weiteren Ausrichtung des Wahlkampfes. So war den meisten TeilnehmerInnen des Bündnisses eine Präsenz in den linksintellektuellen Vierteln wichtiger als in ärmeren Stadtvierteln. Plakatsprüche wie „Lieber links gewählt als rechts gewählt“ sprachen zudem lediglich Menschen an, die Politik in links (Regenbogen) und rechts (den Rest) unterteilen. Für viele Menschen macht sich der Unterschied aber nicht an links und rechts fest, sondern an der Frage, ob sich eine Partei deutlich für oder gegen Kürzungen ausspricht. Auch die witzig gemeinten Wortspielchen der Plakatsprüche („Zahlen bis der Arzt kommt?“, „Lieber Bildung für alle als dumm verkauft“, „ Lieber Arbeit mit Zukunft als Armut in Aussicht“) nahm die Menschen und ihre Probleme nicht ernst. Da reichten auch die eine gewerkschaftspolitische Wahlveranstaltung oder das andere Flugblatt zur Agenda 2010 oder zum LBK nicht aus, um dem Regenbogenwahlkampf einen anderen Charakter zu verleihen. Viele Menschen verbanden mit dem Regenbogenbündnis eher Alt-68er als irgendetwas Neues.
Ein weiterer wichtiger Grund war, dass die letzten anderthalb Monate des Wahlkampfes von einer nahezu unpolitischen Stimmung geprägt waren. So war auch der Wahlkampf nahezu unpolitisch (CDU:„Michel, Alster, Ole“, GAL:„Hamburg kanns besser“, SPD:„Mirow: Klarheit und Wahrheit“). Im Januar und Februar haben in Hamburg weder nennenswerte Demonstrationen noch andauernde betriebliche Auseinandersetzungen stattgefunden. Wäre es beispielsweise zu einem Streik in der Metallindustrie gekommen, hätte dies auch Auswirkungen auf die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung gehabt. Dies hätte es einem linken Wahlbündnis ermöglicht durch eine aktive Teilnahme und Unterstützung solcher Auseinandersetzungen bei einer breiteren Wählerschicht Gehör zu finden – gerade bei abhängig Beschäftigten. Dies zeigt aber, dass es nicht ausreicht, bei der Wahl ein linkes Banner hochzuhalten. Entscheidend für einen Erfolg auf der Linken wäre das Eingreifen in soziale Bewegung und betriebliche Kämpfe gewesen. Einerseits haben diese Kämpfe nicht stattgefunden. Andererseits ist es jedoch fraglich, ob die Orientierung des Regenbogen-bündnisses ein Eingreifen ermöglicht hätte.
Ein weiterer Grund für das schlechte Abschneiden des Regenbogens ist zudem das von Springerpresse und MOPO inszenierte Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU einerseits und SPD/GAL andererseits gewesen, welches dafür mitverantwortlich war, dass viele Menschen keine Stimme an Regenbogen „verschenken“ wollten.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Regenbogenbündnis war in erster Linie ein auf die Wahl begrenztes Zweckbündnis. Abgesehen von einigen Stadtteilen ist nicht davon auszugehen, dass sich eine Zusammen-arbeit in dem bisherigen Rahmen fortsetzen wird. Die SAV spricht sich stattdessen dafür aus, sich auf die nächsten Stationen des Widerstands gegen Sozialkürzungen zu konzentrieren. So wird der 2. und 3. April der nächste Etappenschritt gegen die Agenda 2010 sein. Die SAV spricht sich für betriebliche Streiks am 2. April aus und wird für den 3. April zur Großdemo nach Berlin mobilisieren. Es ist zudem davon auszugehen, dass es auch in Hamburg zu weiteren betrieblichen Auseinandersetzungen kommen wird. Die Arbeitsniederlegung der Postbeschäftigten am 23.2. war ein Vorgeschmack dessen, was sich auf betrieblicher Ebene abspielen wird. Auch die weitere Auseinandersetzung um den Verkauf des LBKs wird ein wichtiges Thema für die SAV in Hamburg sein.

Lucy Redler, Hamburg, 2. März 2004