Durch einen Aufschrei der Aktionskonferenz wurde festgehalten: Widerstand „bis hin zu Streiks“ ist nötig, um den Sozialabbau zu stoppen.
Stellungnahme der SAV zur „Streik-Frage“ der Aktionskonferenz am 17. und 18. Januar
Am Ende gab es noch einen Eklat bei der Aktionskonferenz „Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag“ am 17. und 18. Januar in Frankfurt am Main. Ein „Veto“ – aus Rücksichtnahme auf mögliche Bündnispartner in den Gewerkschaftsspitzen – wollten Werner Rätz und Peter Wahl als Vertreter des Attac-KoKreises, dem bundesweiten Leitungsgremium von Attac, einlegen. Dabei ging es um die Formulierung: „Wir wollen die Rücknahme der Agenda 2010, den Sozial-, Bildungs- und Lohnabbau stoppen und ihn nicht sozialverträglich mitgestalten, sondern leisten Widerstand. Für diese Ziele kämpfen wir auch bei den Europäischen Aktionstagen am 2. und 3. April 2004. Diese müssen durch vielfältige regionale und betriebliche Aktionen bis hin zu Streiks vorbereitet werden.“ Genauer gesagt ging es um den Teil der Formulierung „bis hin zu Streiks“, der Wahl und Rätz zu weit ging.
Wahl sprach später von einer „Popelsformulierung“ (jW, 20. Januar 04), doch für die Konferenz war dieses Thema nicht popelig: Es ging in den zwei Tagen darum, wie der Widerstand so gesteigert werden kann, dass er Banken, Konzerne und ihre Vertreter in den Regierungen und Parlamenten trifft und eine andere Politik erkämpft werden kann. Die SAV setzte sich dabei auf der Konferenz für Streiks und die Forderung nach einem eintägigen Generalstreik ein. Die Attac-Führung, die auch schon bei der Vorbereitung des 1. November aus Angst vor einer „zu kleinen“ Demo gebremst hatte, als SAV-VertreterInnen für eine bundesweite Großdemonstration eintraten, gab darauf keine Antwort.
Die auf der Konferenz erkämpfte Formulierung muss nun in die Praxis umgesetzt werden. Der 2. April muss zu einem Streiktag gemacht werden. So kann auch der 3. April am besten vorbereitet werden. Für AktivistInnen und Vertrauensleute ist es häufig schwierig, sich gegen das Stillhalten und die Politik des Co-Managements der Gewerkschaftsführung in ihrem Betrieb bei den KollegInnen Gehör zu verschaffen und Widerstand zu organisieren. Frustration, Vereinzelung, Passivität auf Grund der Halbherzigkeit „der“ Gewerkschaften – all das muss durchbrochen werden. So kommt es, dass AktivistInnen oft skeptischer sind gegenüber Forderungen nach einem Generalstreik als breitere Kreise der KollegInnen. Gleichzeitig besteht aber – aktuell zum Beispiel aufgrund der Gesundheitsreform – spürbar Wut und Zorn.
Nötig sind Initiativen von Vertrauensleuten, Betriebs- und PersonalrätInnen sowie Delegierten auf allen Ebenen der Gewerkschaften, um gemeinsame Aktionen anzustoßen. Diese Aktionen müssen aber auch kraftvoll sein, um für alle KollegInnen deutlich zu machen, dass es sich lohnt daran teilzunehmen. Dazu reicht es nicht, immer wieder kleinere Aktionen, auch kleinere Streiks zu machen; damit verbunden müssen auch die Gewerkschaftsspitzen herausgefordert werden, Streiks im großen Stil zu organisieren. Nur so wird für die KollegInnen deutlich, dass es AktivistInnen ernst ist mit dem Widerstand und sie um eine Perspektive kämpfen, den Sozialraub zu stoppen. Die Aufforderung an die Gewerkschaftsspitzen, endlich den Kampf ernsthaft aufzunehmen, ist wichtig. Gewicht bekommt sie, indem von unten damit weitergemacht wird.
Schon am 29. April 2003 gab es in Schweinfurt einen Streik gegen Schröders Pläne: „Angeführt von dem Transparent: ,Hartz, Rürup – was noch? Widerstand gegen Sozialraub‘ und vielen Fahnen der IG Metall. Vorbei an der Kugellagerfabrik SKF, wo sich noch einige Hundert Blaumänner einreihen. Ein imposanter Zug bewegt sich zum Kundgebungsplatz. Dort sind inzwischen dreitausend Kolleginnen und Kollegen von ZF Sachs, SKF, Bosch Star Rexrot, FAG Kugelfischer u.a. aus dem Schweinfurter Norden eingetroffen. Insgesamt stehen viertausend Metallarbeiter gegen die Pläne Schröders vor der Rednerbühne. Ihre Haltung haben sie unmißverständlich mit Pinsel und Farbe auf den Stoff gemalt: ,Sozialabbau ist Krampf. Ihr fordert uns zum Kampf‘, ,Jugend kämpft mit‘ und ,Gegenwehr. Schröder, wir kuschen nicht. Generalstreik‘.“ (Labournet, http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/berichte/schweinfurt.html)
Ein Beispiel setzten auch die Kassler KollegInnen am 9. Dezember: 7.000 Beschäftigte und Studiernde demonstrierten unter dem Motto „Stoppt die soziale Demontage, für den Erhalt der Tarifautonomie“. „Darunter waren die Belegschaften aller großen Metallbetriebe Kassels und einiger aus dem Umland. Die Arbeiter von VW, DaimlerChrysler, Bombardier, Krauss-Maffei-Wegmann, Alstom, Bode und vieler kleiner und mittelständischer Betriebe hatten die Arbeit unterbrochen, um zusammen mit ihren Kollegen aus dem Regierungspräsidium, dem Klinikum, der Stadtreinigung, der Verkehrsbetriebe und den Hochschulbeschäftigten auf die Straße zu gehen. Mit Straßenbahnen und Bussen hatten die Fahrer der Kasseler Verkehrsbetriebe (KVB) zuvor ihre Kollegen von VW Baunatal und DaimlerChrysler im Industriegebiet der Kasseler Nordstadt abgeholt und zur Demonstration gebracht. […] Sein Ende fand der für Kasseler Verhältnisse außerordentlich große Demonstrationszug beim Arbeitgeberverband. ,Hier sitzen die Auftraggeber der Politiker‘, stellte Ullrich Messmer, 1. Bevollmächtigter der Kasseler IG Metall, fest. Er warnte Unternehmer und Regierung vor einer gesetzlichen Einschränkung der Tarifautonomie und des Flächentarifs. ,Wer diese sozialen Errungenschaften angreift, riskiert eine Welle von Protesten‘, drohte der Gewerkschaftsfunktionär. […] Noch radikaler traten die Vertreter der Schüler und Studierenden auf. Seit dem 1. November seien ,über 350.000 Menschen auf die Straße gegangen‘, rechnete Nico Weinmann vom Bündins ,Jugend gegen Sozialkahlschlag‘ vor. Diese Kampfkraft müsse nun »in einem eintägigen Generalstreik zusammengeführt werden«, sagte er unter dem Applaus der Demonstranten. Und die Vertreterin der Studierenden, Miriam Fischer, erklärte: ,Wenn man sich überlegt, wie viele Subventionen die Konzerne heutzutage einstreichen, kann man sagen, daß es im Grunde volkseigene Betriebe sind‘. Auch in anderen Teilnehmern kam angesichts des Mobilisierungserfolgs revolutionäre Stimmung auf. Seewald zitierte einen älteren Kollegen mit den Worten: ,Es weht ein Hauch Paris ’68 durch Nordhessens Gassen‘.“ (junge Welt, 10. Dezember 03, http://www.jungewelt.de/2003/12-10/001.php)
Derartige Aktionen sind auch in anderen Städten möglich! Sie können den Anstoß zu landes- und bundesweiten Streiks geben. Sie müssen bekannt gemacht und für sie muss in Betrieben und Gewerkschaften geworben werden. Anträge, Beschlüsse von Vertrauensleuten, Versammlungen auf allen Ebenen können sowohl die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu örtlichen Streiks, als auch den Aufruf an die eigene Gewerkschaftsführung zu bundesweiten Aufrufen, Beschlüssen und Streiks beinhalten. Wie viel leichter wäre es, die eigenen KollegInnen zu überzeugen, dass sich Wiederstand lohnt, wenn endlich auf bundesweiter Ebene von den Gewerkschaften ernst gemacht werden würde und eine Perspektive entstehen würde, Schröder, Stoiber und Co Einhalt zu gebieten!
Die derzeitigen Angriffe auf alle sozialen Errungenschaften, auf gewerkschaftliche und betriebsrätliche Rechte, auf Arbeitszeit und -bedingungen – sie alle finden vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise statt. Schröders Agenda 2010, die er mithilfe einer großen Koalition verwirklicht, vollzieht, was die Unternehmer brauchen: Die Sanierung ihrer Profite auf Kosten des Lebensstandards, der Gesundheit und der demokratischen Rechte der Masse der Bevölkerung.
Diese Pläne sind nicht einfach „weg zu demonstrieren“. Entscheidend war am 1. November, dass ein Anfang gemacht wurde und Hunderttausend die Blockade der Gewerkschaftsspitzen durchbrachen, jeden Widerstand zurück zu halten. Aber demonstrieren allein ist nicht genug. Nötig sind Streiks und Massenstreiks. Ein eintägiger Generalstreik wäre dabei ein Schritt, Streiks zusammenzufassen, KollegInnen zu ermutigen und deutlich zu machen, welche Kraft die Arbeiterklasse in dieser Gesellschaft hat. Er würde die Ausgangslage aller folgenden Kämpfe grundlegend verändern. Damit wäre nicht alles gewonnen, aber ein für den jetzigen Stand der Bewegung in Deutschland enorm wichtiger Schritt vollzogen, den Widerstand zu entwickeln, der die Konzerne und ihre Regierungen stoppt.
Auch Streiks lösen nicht alle Probleme. Politische Antworten auf den Einheitsbrei von Kahlschlag und Kürzungen sind notwendig. Aber mit Streiks werden auch diese Fragen auf einer zugespitzten Ebene aufgeworfen.
Ein Generalstreik kann in der augenblicklichen Situation nicht von einer Aktionskonferenz ausgerufen werden. Die Gewerkschaftsführung sitzt dazu zu fest im Sattel. Aber wir können dafür sorgen, dass sie dort auf heißen Kohlen sitzen: Wenn die Breite der gewerkschaftlichen Mobilisierung zum 1. November genutzt wird, um innerhalb der Gewerkschaften um eine Steigerung der Proteste zu kämpfen mit einer Vorstellung, wie dies aussehen kann; wenn das verbunden wird, mit lokalen und landesweiten Streiks; wenn damit der Druck weiter gesteigert wird: dann wird auch die Geschwindigkeit hin zu Massenstreiks in Deutschland österreichische oder französische Verhältnisse erreichen und übertreffen.
Sozialistische Alternative, SAV, 23. Januar 04