Nein zur Verlängerung der Arbeitszeit

Warum Wochen- und Lebensarbeitszeitverkürzungen nötig und möglich sind
 
Ein Teil der Umverteilungsoffensive der Unternehmer und der Schröder-Regierung ist die Arbeitszeit. In Fällen, in denen die Unternehmer in den letzten Jahren den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen als Gegenleistung für Lohnopfer der Belegschaften vertraglich zugesichert haben – beziehungsweise befürchten, dass Massenentlassungen Streiks provozieren – setzen sie erst mal auf den Weg von Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverlust.
So geschehen bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Berlin. So geschehen bei Opel Rüsselsheim. Nachdem bei der Telekom der Abbau von 50.000 Stellen über die eigens dafür geschaffene Personalserviceagentur nicht funktioniert, sollen Personalkosten durch die Einführung der 34-Stunden-Woche und zehn Prozent Gehaltskürzung erfolgen. Aus Unternehmersicht gibt es bei diesen Arbeitszeitverkürzungsmodellen den positiven Nebeneffekt, dass Lohnniveau nach unten zu drücken und Druck aufzubauen für eine spätere Arbeitszeitverlängerung. So geschehen bei der Post. Hier wurden im Jahr 2001 die Tarife für die Neueingestellten um 30 Prozent abgesenkt. Weil von einem solchen Hungerlohn niemand leben kann, wurde jetzt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit „auf freiwilliger Basis“ auf 48 Stunden erhöht. Von Freiwilligkeit kann aber keine Rede mehr sein, wenn die Alternative zum Überleben ein oder zwei weitere zusätzliche Nebenjobs wären.

Länger arbeiten für das gleiche Geld?

Ziel von Unternehmern und den etablierten Parteien ist die Verlängerung der Arbeitszeit. Seit Monaten wird die Propaganda gefahren, dass die Deutschen zu wenig in der Woche arbeiten, zu viel Feiertage und zuviel Urlaub hätten. Angela Merkel fordert, die Wochenarbeitszeit im Westen an die des Ostens anzugleichen. Wirtschaftsminister Clement will Feiertage abschaffen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert in der laufenden Tarifrunde für die Metallbetriebe Öffnungsklauseln, um die Arbeitszeit zu erhöhen und weiter zu flexibilisieren. BDI-Chef Rogowski erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Ich plädiere dafür die Wochenarbeitszeit pauschal auf 38 bis 40 Stunden anzuheben“. Die Rürup-Kommission will das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen. Die Bundesländer haben den Beamten die Wochen- beziehungsweise Lebensarbeitszeit bereits erhöht oder sind dabei sie auf bis zu 42 Wochenstunden zu erhöhen. Der Kommunale Arbeitgeberverband droht damit, die Tarifverträge über Arbeitszeit zu kündigen. Länger arbeiten für das gleiche Geld lautet die Devise. Aktuell umgesetzt bei der MOHN Media in Gütersloh sieht das so aus: Die 1.700 Beschäftigten arbeiten 39 Stunden die Woche. 4 mal 1.700 Wochenstunden werden nicht bezahlt. Die Geschäftsleitung gibt an, dass sie dadurch gegenüber der Konkurrenz einen Lohnkostenvorteil von zehn Millionen Euro im Jahr hat.

Massenarbeitslosigkeit

Die Forderung nach Erhöhung der Arbeitszeit kommt in einer Zeit, in der bestehende Kapazitäten nicht ausgelastet sind, bereits fünf Millionen Menschen arbeitslos sind und jeden Tag Firmen die Vernichtung von weiteren Arbeitsplätzen ankündigen. Eine Arbeitszeitverlängerung führt dabei nur zu weiterer Arbeitsplatzvernichtung und zu einem weiteren Anstieg der Massenarbeitslosigkeit. Die IGM schätzt, dass die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche in der Metallindustrie 435.000 Arbeitsplätze vernichten würde.

Arbeitszeitverlängerung macht kaputt

Unternehmer und Regierung behaupten, die kurzen Arbeitszeiten würden unsere Wirtschaft kaputt machen. Aber es ist die kapitalistische Wirtschaft, die uns kaputtmacht. Arbeiten bis zum Umfallen bei immer weniger Lohn und immer weniger sozialer Absicherung – das dürfen wir nicht zulassen. Im internationalen Konkurrenzkampf um Märkte und beim Dumping um Löhne und Arbeitszeiten ist die Arbeiterklasse der Verlierer. Die Offensive von Seiten der Unternehmer in Sachen Arbeitszeit muss mit einer Gegenoffensive der Gewerkschaften beantwortet werden. Kernforderungen einer solchen Offensive müssen sein:
– 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich beziehungsweise einem Mindestlohn von 2.000 Euro brutto für alle. Weg mit Arbeitszeitkonten und Flexibilisierung. Nein zu Öffnungsklauseln.  
– Renteneintrittsalter runter auf 55 Jahre. Für eine gesetzliche Rente von mindestens 75 Prozent des letzten Nettolohns beziehungsweise mindestens 750 Euro plus Warmmiete.
Leider ist die Gewerkschaftsführung auch in der Frage der Arbeitszeit zu weiteren Zugeständnissen bereit. Bereits in den Tarifabschlüssen der Vergangenheit wurde durch Flexibilisierung und die 18er Regelung in der Metallindustrie (nach der 18 Prozent der Betriebe von der Arbeitszeit abweichen dürfen) der Kampf für weitere Wochenarbeitszeitverkürzung aufgegeben. Ver.di hat in der Tarifrunde 2002 den letzten Arbeitszeitverkürzungstag kampflos preisgegeben. Bei der Post hat ver.di den arbeitsfreien 24. und 31.12. aufgegeben. Und was noch schlimmer ist einer Ausdehnung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden und damit einem Arbeitsplatzvernichtungsprogramm zugestimmt. Unternehmer und Regierung wurden durch diese Politik der Gewerkschaftsführung geradezu ermutigt immer längere Arbeitszeiten zu fordern. Um den Widerstand der Beschäftigten gegen eine generelle Verlängerung der Arbeitszeit zu brechen, soll offensichtlich die „demographische Arbeitszeit“ oder Hartz 4 der Wegbereiter sein. VW-Personalchef und Schröder-Berater Hartz will dass jüngere Arbeitnehmer 40 Stunden in der Woche arbeiten und nur 35 bezahlt bekommen. Von 45 bis 55 soll die Wochenarbeitszeit dann bei 35 Stunden liegen und danach bis 67 bei 30 Stunden. Die Unternehmer würden dadurch ne-benbei 25 Jahre lang einen zinslosenlosen Kredit als Zeitguthaben bekommen. Wenn ein Betrieb pleite geht oder wenn ein Arbeiter früher stirbt, hat der Arbeiter völlig umsonst länger gearbeitet. Kaum hatte Hartz sein Arbeitszeitmodell verkündet, bekam er bereits Lob von der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Engelen-Kefer. Und einige Wochen nach dem ver.di-Kongress verkündete ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske in „Die Welt“ ohne irgendwelche Legitimation durch einen entsprechenden Kongressbeschluss, dass ver.di bereit sei bei jüngeren Arbeitnehmern eine Arbeitszeit von deutlich mehr als 35 Stunden zu akzeptieren und Zeitguthaben für das Alter anzusparen. Anstatt für die Herabsetzung des Renteneintrittsalters zu kämpfen, argumentieren die Gewerkschaftsführer dafür, dass die abhängig Beschäftigten bis 65 arbeiten und nicht mehr früher in Rente gehen sollen. Die Zeitguthaben aus der Arbeitszeitverlängerung sollen dafür herhalten, dass wir bis 65 durchhalten. Aber wer bei heutigen Arbeitsbedingungen in jungen Jahren fünf Stunden mehr in der Woche arbeitet, der ist nicht später, sondern früher verschlissen. Gegen diese Politik der Gewerkschaftsführung muss Widerstand von unten organisiert werden. Beim ver.di-Kongress in diesem Jahr gab es 18 Anträge, die eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich forderten, davon sechs die 35 Stunden- und fünf die 30-Stunden-Woche. Das zeigt, dass die aktive Basis in die richtige Richtung geht. Sie muss alles tun, um sich gegen die Politik der eigenen Führung durchzusetzen.

von Ursel Beck, Stuttgart