von Leonid Serebrjakov
Die georgische Novemberrevolution verlief unter dem Banner der georgischen Kreuzritter. Nachdem sich das feudale Georgien um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert von den Seldschuken befreit hatte, trat es in eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs ein. Grenzenloser Optimismus fuehrte zur Vereinigung der Landwehr mit der Kreuzritterbewegung. Der Kreuzzug wurde zwar lange vorbereitet, dann aber nicht durchgefuehrt, da die georgische Kreuzritterarmee von Dschingis-Khan angegriffen wurden. Nichts koennte besser die problematische Zukunft der georgischen Revolution ausdruecken als diese erschreckende historische Symbolik.
THE GAME
Vor einem Monat erschien auf dem Markt der Computerspiele ein neuer Kassenschlager von Elixir Studios, fuer wie lange wird sich zeigen. Das Spiel heisst ganz einfach: ?Republic: The Revolution?. Die Handlung spielt in irgendeinem Ueberrest der ehemaligen UdSSR, im Land ?Novystrana?. In Novystrana regiert der unsymphatische korrupte Praesident Karasijev, das kollektive Portrait aller Praesidenten der ehemaligen Sowjetrepubliken. Karasijev benutzt Beamte, die Massenmedien, und manchmal auch Sondereinsatzkraefte zum Kampf gegen seine Gegnern. Die Aufgabe ist es, den boshaften Karasijev zu besiegen. Dafuer kann man Helfer anwerben, eine Partei aufbauen und PR-Technologie nutzen. Man kann die Rolle des Nationalisten, des Mafiosi oder des ehemaligen Generals waehlen.
Im realen Leben ist es sehr viel schwerer die Macht zu uebernehmen. Aber dafuer ist die Auswahl der Mittel vielfaeltiger. Trotz der Schwarz-Weiss-Malerei in der Wahrnehmung der Ereignisse, die in der GUS [?Gemeinschaft unabhaengiger Staaten?, Zusammenschluss ehemaliger Sowjetrepubliken, Anmerkung des Uebersetzers] vor sich gehen, ist es den Erfindern des Spiels gelungen, den Zeitgeist zu erfassen. Wie bekannt das alles ist! Am Samstag und Sonntag, den 22. und 23.November, ereignete sich in Georgien eine ?Revolution?. Das Geschehen auf dem Bildschirm erschreckte und faszinierte gleichzeitig. Wenig bekannte Oppositionelle des winzigen Landes besiegten den erfahrenen hochbetagten Politiker mit dem schwer aussprechbaren Namen, der nun entweder versucht, sich in Deutschland zu schuetzen oder sich noch in Georgien aufhaelt.
Seit dem 2. November, dem Tag der Parlamentswahlen, kommt es in Tiflis zu endlosen Kundgebungen, die mal verstummten und dann wieder von neuem ausbrachen. Die FuehrerInnen der vereinten Opposition beschuldigen die Regierung sofort der Wahlfaelschung. Der Platz vor dem Parlament vereint die ?Nationale Bewegung? (rechtsaussen) von Michael Saakschwili, die Liberalen des Blocks ?Burschadnadse-Demokraten? und, am wichtigsten, tausende, und dann zehntausende von Jugendlichen, die in der Gegenwart nichts zu verlieren haben, und die in der Zukunft, die ihnen angeboten wird, keine Perspektive haben. Auf den Demonstrationen wehen nationalistische Banner und auch Fahnen, die das Emblem der serbischen ?Otpor?-Bewegung kopieren. [Bewegung von vor allem Jugendlichen gegen den serbischen Praesidenten Milosevic im Jahr 2000, Anm. d. Ue.]
In Tiflis sind alle aktiven Einheiten der Armee, der Polizei und der Sondereinsatzkraefte zusammengezogen. Aber zu Zusammenstoessen kommt es nicht. Nicht weit vom Platz vor dem Parlament, auf dem sich alle Ereignisse entfalten, versammeln sich auch Anhaenger des Praesidenten Schewardnadse. Es sind vor allem zweitausend AdsharInnen, angefuehrt von Aslan Abaschidse, dem absoluten Herrscher Adschariens. Adsharien ist praktisch unabhaengig von Georgien. Eine Machtuebernahme der NationalistInnenen koennte fuer Adsharien eine Rueckkehr zu der Zeit der blutigen Buergerkriege Anfang der 90er Jahre bedeuten. Indem er seine Politik auf Kompromissen aufbaut, stellt Schewardnadse die adsharischen Lokalfuersten vollkommen zufrieden.
Die Liberalen der Opposition rufen dazu auf, die Arbeit der Machtorgane im gesamten Land zu blockieren. Nicht ueberall, aber an vielen Orten passiert das auch. Am Vorabend der Sitzung des neugewaehlten Parlaments, das nach Meinung der Protestierenden durch Wahlfaelschung zustande gekommen ist, erreicht die Mobilisierung ihren Hoehepunkt. Ungefaehr 100.000 Menschen versammeln sich vor dem Parlament. Zunaechst versucht eine kleine Gruppe von Anhaengern Saakaschwilis, mit ihm an der Spitze, den Auftritt des Praesidenten Schewardnadse zu verhindern. Sie werden aus dem Saal geschmissen. Aber dann stuermen auch schon einige tausend Menschen in das Gebaeude. Jugendliche werfen die Sachen der Abgeordneten durcheinander und reissen Sessel heraus [?]. Schewardnadse verlaesst unter dem Schutz von MP-Schuetzen durch eine Hintertuer den Saal. Er versteckt sich am Rande von Tiflis in seiner Residenz und ruft den Ausnahmezustand aus. Der alte Apparatschik glaubt noch an die Macht der Praesidentenarmee und seiner Polizeieinheiten, die noch vor kurzem zum Tag der Unabhaengigkeit ueber den Platz marschierten. Aber kein einziger Polizeiwagen und kein einziger Panzer verlaesst die Basis. Die Polizei ist auf den Strassen der Stadt nicht zu sehen. In Tiflis beginnt ein Massenfest. Schewardnadse tritt zurueck. Die Resultate der Parlamentswahlen werden annuliert, und fuer den 4. Januar werden die Praesidentschaftswahlen angesetzt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren leuchtet in den Augen der Menschen Hoffnung auf. Doch leider ? voellig unbegruendet. Denn in der naechsten Zeit gibt es fuer Georgien keine Zukunft.
THE PLACE
Georgien ist eines der Laender, die am meisten unter der Restauration des Kapitalismus gelitten haben. Der kapitalistische Weltmarkt forderte weder die natuerlichen Ressourcen, noch das produktive Potenzial des kleines Landes an, das so ein reiches historisches Erbe besitzt. Die Industrie brach am schnellsten zusammen. Heute wird das ehemalige industrielle, landwirtschaftliche und touristische Zentrum auch ?Land ohne Wirtschaft? genannt. Das Budget der Republik besteht aus ungefaehr 700 Mio. US-Dollar. Und selbst von diesem winzigen Budget wurden seit Beginn des Jahres 2003 auf Druck des IWF zum vierten Mal die Ausgaben gekuerzt.
Noch im Mai 2003 erklaerte der Exekutivdirektor des IWF, Jeroen Kremers, dass Georgien, trotz eines geringen Wachstums des Bruttoinlandsprodukts im Verlauf der letzten zwei Jahre, in der naechsten Zukunft unausweichlich der Staatsbankrott bevorsteht. Denn seine Auslandschulden uebersteigen 2 Mrd. US-Dollar. Allein in diesem Jahr soll Georgien den westlichen Laendern 160 Mio. US-Dollar (fast ein Viertel des gesamten georgischen Budgets) als Zinsen auf Auslandsschulden zahlen. 2004 betraegt die Summe der Zahlungen 166 Mio. US-Dollar. Um die Loecher im Budget nur irgendwie zu flicken, sollte der ehemalige Praesident Schewardnadse unter dem Druck des IWF zu unpopulaeren Massnehmen uebergehen, wie die Erhoehung der Preise auf Energie und Brot, dem Grundnahrungsmittel der aermsten Schichten der Bevoelkerung. Der Tarif fuer die Kilowattstunde Elektrizitaet betraegt in Tiflis 6,5 Cent, das ist absoluter Rekord im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Zunaechst haben amerikanische und dann russische Konzerne, die die amerikanischen abloesten, als erzieherische Massnahme immer wieder den Strom im groessten Teil des Landes abgestellt!
Der Mindestlohn, auf dessen Basis die Renten [?] und die Sozialleistungen errechnet werden, betraegt 10 US-Dollar. 2,1% der 4,4 Mio. Einwohner des Landes zaehlen zu den absoluten Armen: sie leben von weniger als 12 US-Dollar im Monat. Zehn Prozent der Georgier leben ein wenig ?besser? ? von 20 US-Dollar im Monat. Mehr als 50% der Bewohner leben von 50 US-Dollar. Fast eine Million Georgier, 30% der arbeitsfaehigen Bevoelkerung der Republik, sind auf der Suche nach Arbeit ausgewandert, hauptsaechlich nach Russland.
Die wirtschaftliche Katastrophe verstaerkt sich mit der Korrpution der Beamten und des oekonomisch und politisch unabhaengig Lebens der drei abgetrennten Regionen ? Abchasien, Adsharien und Sued-Ossetien.Ueber riesige Vorraete von Oel oder Gas, die der Wirtschaft auf die Beine helfen koennten, verfuegt das Land nicht. Aber dafuer verfuegt es ueber eine vorteilhafte strategische Lage.
THE GAMERS
Schewardnadse stellte den Clan der alten Nomenklatur dar, die versuchte zwischen Russland und den USA, zwischen einer Oeffnung des Landes fuer westliche Investoren und einem fliessenden Uebergang des Eigentums in die eigenen Haende zu lavieren.
Schewardnadse ist der klassische stalinistische Buerokrat, der von 1946 bis 1990 alle Stufen der Sowjetbuerokratie erklommen hat, angefangen als Sekretaer einer Zelle des ?Komsomol? (sowjetischen Jugendverbandes, Anmerkung des Uebersetzers), bis hin zum Posten eines Mitglieds des Politbuero. 1995 wurde er Praesident Georgiens. Er versprach inneren Frieden, die Einigung der zerrissenen Republik und einen schnellen Anstieg [?] der Einkommen fuer alle.
Nicht eines der Versprechen wurde erfuellt. Im Gegenteil: die Republik vermischte in sich die schlechtesten Seiten sowohl des vergangenen als auch des heutigen politischen Systems: eine extreme Buerokratisierung des Beamtenapparates und rasende Preise, Rechtlosigkeit der Massen und unbegrenzte Macht der lokalen Elite. Die Reichtuemer wurden schnell vom IWF und den westlichen Verbuendeten gepluendert. Als die USA anfingen, offene Unzufriedenheit zu bekunden, fiel Schewardnadse nichts besseres ein, als in einem zweifelhaften Spiel auf die Gegensaetze zwischen Russland und dem Westen in der Region zu setzen.
Von Anfang an richteten die Vereinigten Staaten, Russland und die Tuerkei ihre besondere Aufmerksamkeit auf das neue Georgien. Schewardnadse war gegenueber Russland nie besonders loyal. Es kam sogar bis hin zur Gefahr eines Raketenschlagabtausches und Bombardierungen der Panki-Schlucht. Die Eliten beider Laender benutzten ziemlich schmutzige Methoden im Kampf fuer ihre Interessen: von der Bewaffnung loyaler bewaffneter Formationen, der Organisierung von Militaerlagern und Ruestungslieferungen (zum Beispiel die Hilfe Russlands fuer SeperatistInnen in Abchsien und die Neutralitaet der georgischen Regierung gegenueber tschtschenischen Einheiten in der Panki-Schlucht) bis hin zur Einfuehrung von Visa-Regelungen.
Es ist klar, dass das Verhalten Russlands immer die Politik des starken und unverschaemten imperialistischen Nachbarn war. Der gefestigte russische Imperialismus verhaelt sich gegenueber den Laendern der GUS wie zu seinem Stammgut, was jedoch den noch groeseren Raeuber nicht daran hindert, Russland aus dem Kaukasus herauszudraengen. Die Politik der USA und der NATO im Kaukasus ist ein Thema fuer sich. Aber um die Prozesse, die in Georgien vor sich gehen, zu verstehen, muessen die wesentlichen Zuege dieser Politik beleuchtet warden. Die USA sind nicht nur am Oel des kaspischen Meeres interessiert, sondern auch an der guenstigen strategischen Lage des Kaukasus. Da sie hier Militaerbasen besitzen, koennten die USA im Notfall vom Kaukasus aus Militaerschlaege gegen Iran und Afghanistan fuehren, das Schwarze Meer kontrollieren, die Situation in den mittelasiatischen Republiken beeinflussen, und gleichzeitig auch Russland nicht aus den Augen lassen.
Am 21. Maerz unterzeichnete das Parlament von Georgien eine Einverstaendniserklaerung mit den USA, derzufolge die amerikanische Armee das Recht erhaelt, Militaerangehoerige ohne Visum ins Land zu bringen sowie sich mit Armee-Einheiten, Fluggeraet, [?] und Technik sowohl problemlos im ganzen Land fortzubewegen als auch die Grenze in beide Richtungen zu ueberqueren. Die USA geben jaehrlich 75 Mio US-Dollar (10% des georgischen Budgets) fuer die Aufstellung von Einheiten nach NATO-Standard aus. In der naechsten Zeit werden das vier Bergjaeger- und Kommando-Einheiten sein. Deren Hauptziel wird der Schutz der im Bau befindlichen Abzweigung der Oelleitung Baku-Dschajchan und einer Gasleitung, die Aserbaidschan und die Tuerkei verbindet, sein. Diese Rohstoffadern sollen Russland vom Gas- und Oeltransport nach Europa abtrennen und sein Gasmonopol und seinen Einfluss begrenzen. Die USA sind so interessiert an der Ausfuehrung dieses Projektes, dass sie sogar dazu uebergegangen sind, die Aufstellung von Einheiten georgischer Reservisten an den Grenzen zu Rebellenrepubliken zu finanzieren. Eine Einheit von Svaven [Volksgruppe in Westgeorgien, Anm. d. Ue.] wurde bereits geschaffen und an der Grenze zu Abchasien aufgestellt, eine weitere formiert sich im Grenzgebiet zu Sued-Ossetien. Diese Massnahmen entsprechen den Plaenen der NATO zur Loesung von ?inneren Bedrohungen?. Denn das Big Business reagiert nervoes auf SeperatistInnenen, Rebellenrepubliken und ueberhaupt jede soziale Instabilitaet. Dafuer arbeitet die georigische Elite das Geld des neuen Grossen Bruders ab: Schon seit einem halben Jahr befinden sich 75 georgische Militaerangehoerige im Irak.
Burdschanadse, die die Rolle der provisorischen Praesidentin des Landes bis zu den neues Wahlen erfuellt, und Saakaschwili ? das ist eine neue Generation von PolitikerInnen, die klar westlich orientiert sind. Charakteristisch ist die Biographie des Nationalistenfuehrers und der amerikanischen Marionette Michael Saakaschwili, des offensichtlich baldigen Praesidenten Georgiens. Zum Zeitpunkt des Zerfalls der Sowjetunion war er 24 Jahre alt. Der talentierte junge Mann wurde mit einem Stipendium des US-Kongresses sausgezeichnet und zum Studium an die Colombo-Universitaet geschickt, dann schrieb er seine Doktorarbeit an der George-Washington-Universitaet. 1995 kehrt er in seine Heimat zurueck macht dort eine schwindelerregende Karriere, angefangen mit der ?Partei der Gruenen?, die den Praesidenten unterstuetzte, und dann der Durchbruch als ?georgischer Schirinowskij? [russischer Nationalist, Anm. d. Ue.].
Die zweitwichtigste Fuehrerin der ?gelenkten Revolution? war Nino Burdschanadse, die Tochter des reichen Brot-Industriellen Ansora Burdschanadse, eines Freunds und Mitstreiters von Schewardnadse. Sie begann ihre Karriere auch im Lager von Schewardnadse, ging dann jedoch in Opposition zu ihm.
Im Laufe der Jahre stellten Schewardnadse und die hinter ihm stehende Buerokratie immer weniger alle Spieler des grossen kaukasischen Schachspiels zufrieden. Einfache GeorgierInnen, die von den Reformen niedergedrueckt wurden, reagierten mit Arbeitsemigration und voelliger Enttaeuschung gegenueber dem Praesidenten. Junge PolitikerInnen waren unzufrieden mit der Vorherrschaft der alten Nomenklatur, die ihnen den Weg in die grosse Politik und zum grossen Geld versperrte. Die russische Kapitalistenklasse und die russische Buerokratie wurden immer wuetender ueber die voellige Kontrolle der USA ueber Georgien. Die Vereinigten Staaten wiederum waren gereizt darueber, dass ihnen Milliarden von Dollar an Krediten praktisch gestohlen wurden und es jetzt unmoeglich war sie wiederzubekommen. Zudem versuchte der alte Intrigant Schewardnadse eine unabhaengige Politik gegenueber Russland zu fuehren. Im August kamen zwei gigantische russische Monopole auf den georgischen Energiemarkt. ?RAO EES Rossii? erwarb ein grosses Aktienpaket des Energieverteilungskonzern ?Telasi?. Des weiteren unterschrieb die georgische Regierung im Juli dieses Jahres mit dem russischen Gasmonopolisten ?Gasprom? eine strategische Uebereinkunft ueber die Zusammenarbeit in den naechsten 25 Jahren. Trotz des harten Widerstandes von Steven Mann, des Beraters von George Bush in Energiefragen, und dem von den USA nach Georgien geschickten Richard Mailsa wurde die Allianz mit Gasprom verabschiedet. Die US-Regierung versuchte, Schewardnadse mit einem Abbruch des Baus der Rohrleitung durch Georgien und mit einem Abbruch der Finanzhilfe zu erpressen. Aber Schewardnadse glaubte an seine Sicherheit. Er verkuendete seine Idee von der Entwicklung ?gleichmaessiger? Beziehungen sowohl mit den USA und dem Westen, als auch mit Russland. Damit unterschrieb er sich sein Todesurteil als Politiker.
GAME OVER
Am 4. Juli 2003 haelt sich der ehemalige Staatssekretaer der USA James Baker in Tiflis auf. Sein Ziel ist es, sich nach Kandidaten fuer die Rolle der Oppositionsfuehrer umzuschauen und diese mit dem Plan eines allmaehlichen Wechsels der Fuehrung des Landes bekannt zu machen. Der Plan zieht in Betracht, der Praesidentenadministration die Kontrolle ueber die Wahlprozeduren zu entziehen und die Machtuebernahme durch neue politische Kraefte durchzufuehren, bei Erhalt von Sicherheitsgarantien fuer die alte Elite. Ein neuer Buergerkrieg ist unvereinbar mit der neuen Oel-Pipeline!
Mit der Loyalitaet der US-Administration im Ruecken spielte die Opposition zu Schewardnadse, die sich auf eine Welle der massenhaften Unzufriedenheit stuetzte, ihre Rolle glaenzend. Der Zusammenkunft von 100.000 einfachen GeorgierInnen wurde es erlaubt, zwei Tage lang zu feiern. Doch es verging nicht ein Tag nach dem Umsturz und Nino Burdschadnadse rief die Polizei dazu auf, ihre Pflicht zu erfuellen: ?Wir haben uns schon an die Sicherheitsorgane und an die Verantwortlichen in der Administration gewandt, dass sie jegliche Willkuerakte [?] in unserem Namen unterbinden sollen.? [?] Surab Schwanija, das dritte Mitglied des oppositionellen Dreigespanns sagte in einem Interview der ?Nesawisimaja Gaseta? (28.11.2003, ?Unabhaengige Zeitung?): ?Die Revolution ist beendet, jetzt muss in Georgien wieder Ordnung und Gesetzlichkeit hergestellt werden.? [?] Man koennte es aber auch kuerzer ausdruecken, wie einer der besseren buergerlichen Journalisten: ?Die Revolution ist beendet. Danke an alle.?
Georgien ist nicht das einzige Land der GUS, in dem es zu Massenkundgebungen gegen die politisch Herrschenden kam. Auch Aserbaidschan und die Ukraine wurden von vieltausendfachen Zusammenstoessen mit der Polizei erschuettert. Die abscheuliche Symbiose aus alter sowjetischer Nomenklatur und Gangsterkapitalismus, die sich ueberall in der GUS herausgebildet hat, kann ja auch nur bei einem moralischen Scheusal Symphatie hervorrufen. Aber Geogien ist das einzige Land, in dem Massenkundgebungen zu einem Regimewechsel gefuehrt haben. Moeglicherweise waren die Gruende dafuer das aeusserste Mass an Verarmung des groessten Teils des Bevoelkerung des Landes, natuerlich auch die ?Hilfe?, die die US-Administration der Opposition erwies, und vielleicht auch die Winzigkeit der georgischen Gesellschaft, die in kurzer Zeit voellig von politischer Erregung erfasst werden kann.
Werden die politischen Veraenderungen zu Verbesserungen fuehren? Kommt darauf an fuer wen. Die Frage, wie sich ein Praesident verhalten wird, der seine Ausbildung durch ein Programm des US-Kongresses erhalten hat, ist nur eine rhetorische Frage. Liberalisierung, voellige ?Oeffnung? der Wirtschaft, voellige oekonomische und politische Abhaengigkeit von den USA und der NATO plus Loesung aller Probleme der Kapitalistenklasse auf Kosten der georgischen Massen.
Voellig unfaehig war das Auftreten der georgischen Linken. Traege unterstuetzte die Kommunistische Partei Georgiens die Opposition waehrend des Umsturzes und blieb hinter den Ereignissen zurueck. Und der ehemalige erste Parteisekretaer Dschumber Patiaschwili hat bereits seine Kandidatur fuer die Praesidentschaftswahlen zugunsten des Nationalisten Saakschwili zurueckgezogen.
Und Russland? Der Regimewechsel entsprach nicht den Interessen des russischen Imperialismus. Immerhin konnte man mit Schewardnadase verhandeln. Deshalb konnten sich ?Gasprom? und ?RAO EES Rossii? dauerhaft im Land einrichten. Die an die Macht gekommene Gruppierung hat sich immer klar gegen die russische wirtschaftliche ?Besatzung? ausgesprochen. Der Aussenminister Russlands hat bis zum letzten Moment versucht die Opposition zu beruhigen und die Situation abzukuehlen. Nach ihrem Fiasko in Tiflis benutzte die Moskauer Buerokratie eine alte zuverlaessige Waffe aus dem Arsenal des Imperialismus ? teile und herrsche. Die Fuehrer aller drei Rebellenrepubliken, Abchasien, Adscharien und Sued-Ossetien, verkuendeten eine Staerkung ihrer Grenzen zu Georgien, was sie mit Furcht vor der Revolution [??] begruendeten. Danach begaben sie sich nach Moskau, angeblich um Moeglichkeiten einer Annaeherung an Georgien zu diskutieren. Aber tatsaechlich sieht Eduard Kokojty, das Oberhaupt Sued-Ossetiens, sein Schicksal bereits als Teil der Russischen Foederation.
Der russische Imperialismus wird eher nicht eine direkte Angliederung der verkannten Kaukasusrepubliken anstreben, aber sie im vollsten Masse zur Erpressung von Tiflis benutzen. Der Kreml wird die Moeglichkeit haben, auf die Gegensaetze zwischen Georgien und praktisch allen unabhaengigen Provinzen zu setzen. Abchasien, Adscharien und Sued-Ossetien fuerchten sich vor einer Rueckkehr der Zeit der Kriege zwischen den Kaukasus-Nationen. Der Kreml hat den zukuenftigen Praesidenten Saakaschwili noch um was zu ?bitten?. Zum Beispiel um eine Verlaengerung der Stationierung russischer Truppen in der Republik, unter einem ?friedensschaffenden? Status.
THE SHOW MUST GO ON?
In den letzten Tage haben die KommentatorInnen sich komplizierte Kombinationen von PolitikerInnen ausgedacht und sich fuer die starke Rolle der Opposition, der amerikanischen DiplomatInnenen und so weiter begeistert. Die Ereignisse wurden als feiner chirurgischer Eingriff wahrgenommen, eine elegante Operation von DiplomatInnen und PolittechnologInnen. Aber eine Revolution, so geordnet, nach den Worten Burdschadnadses, oder so rosig, nach den Worten Saakaschwilis, sie auch sein mag, sie bleibt doch eine Revolution, eine maechtige Erhebung der unzufriedenen Massen, die an die Moeglichkeit von Veraenderung glauben. Die Massenmedien aeusserten sich misstrauisch und furchtsam zu diesem wichtigsten Akteur des Novemberdramas. Die Fernsehbilder von Jugendlichen, die in das Parlament stuermen, das allerheiligste der buergerlichen Demokratie und der Ort des gewichtigen Handels der JuristInnen, wurden in der ganzen Welt ausgestrahlt.
Die Ereignisse in Tiflis sollen eine drohende Warnung werden fuer alle postsowjetischen PolitikerInnen, dass sie nicht mehr auf ihre Sicherheit und Straflosigkeit vertrauen koennen. Frueher oder spaeter hoert man auf den Luegen zu glauben, selbst denen aus dem Fernsehen. Frueher oder spaeter hoert man auf den Polizeiknueppel zu fuerchten. Frueher oder spaeter kommt der Moment, an dem Hunderttausende auf die Strasse gehen, um gegen das Regime zu kaempfen, und an dem Millionen aufhoeren, es zu unterstuetzen. Und dann, wie das Beispiel Georgien gezeigt hat, findet sich nicht eine Sondereinsatzkraft [?] und nicht ein Soldat, der diejenigen noch schuetzen will, die die Massen jahrelang betrogen, bestohlen und ins Gefaengnis gesteckt haben.
Das Volk Georgiens hat gezeigt, dass letztlich alles vom Willen und der Kraft der Massen entschieden wird. Sie haben ihre Kraft erkannt. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie wieder einmal benutzt wurden. Aber wie waere es ausgegangen, wenn es in Georgien eine Arbeiterpartei gegeben haette? [?] Ein Umsturz ohne die Beteiligung einer Arbeiterpartei ist ein Umsturz zugunsten der Kapitalistenklasse. Jeder Fehler bleibt im Gedaechtnis der ArbeiterInnen und Jugendlichen, um beim naechsten Mal direkt ins Herz des kapitalistischen Systems zu stossen. Und zwar mit der effektivsten Waffe des 21. Jahrhunderts ? einer Partei der Arbeiterklasse mit sozialistischem und marxistischem Programm.
Keine Unterstuetzung fuer rechte PolitikerInnen, NationalistInnen und die Marionetten der imperialen Raeuber!
Amerikanische, russische und NATO-Truppen raus aus Georgien und dem Kaukasus!
Keine Unterstuetzung fuer Praesidentschaftswahlen, bei denen es keine Alternative gibt!
Fuer den Aufbau lokaler Raete!
Selbstbestimmungsrecht fuer alle kaukasischen Voelker!
Fuer eine kaukasische sozialistische Foederation!
Ergaenzung aus tagesschau.de, 2.12.2003:
Unterschiedliche Ansichten ?ber die russische Politik in Georgien und Moldawien haben den letzten Tag der Ministerratstagung der Organisation f?r Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Maastricht belastet. Die Versammlung habe sich nicht auf eine gemeinsame Erkl?rung zu den Konflikten in Georgien und Moldawien verst?ndigen k?nnen, sagte US-Au?enminister Colin Powell. Im Gegensatz zu seiner Zusage aus dem Jahr 1999 habe Russland seine Truppen aus den beiden L?ndern noch nicht zur?ckgezogen. Die Erf?llung dieser Zusage sei f?r Washington eine Voraussetzung f?r die Ratifizierung des Vertrages ?ber konventionelle Streitkr?fte in Europa, mahnte Powell. [?] Der US-Au?enminister traf auch noch mit der georgischen ?bergangspr?sidentin Nino Burdschanadse zusammen, die tags zuvor Russland scharf angegriffen hatte. Sie warf Moskau vor, Rebellen in den Provinzen S?dossetien und Abchasien zu unterst?tzten und damit die Souver?nit?t Georgiens zu untergraben. [?] Eine gemeinsame Abschlusserkl?rung kam nicht zu Stande. Die russische Delegation hatte sich gegen die kritischen US-?u?erungen wegen des nicht erfolgten Truppenabzugs aus Georgien und Moldavien ausgesprochen. Der scheidende OSZE-Vorsitzende Jaap de Hoop Scheffer sprach dennoch von einem Erfolg. Ein Konsens um den Preis einer „verw?sserten“ Erkl?rung sei vermieden worden, betonte er. [?]