Brasiliens Regierung unter Lula hat den Lohnabh?ngigen und Armen nichts zu bieten, die soziale G?rung nimmt zu
von Pablo Alderete, Hamburg
Keine zehn Monate ist es her, dass die Arbeiterpartei (PT) die Regierung ?bernahm. Begleitet von einer Popularit?tswelle und der Hoffnung der einfachen Menschen auf eine soziale Umverteilung von oben nach unten.
Die Diagonalkarriere von Lula und Co ist oben angekommen. Die K?mpfer von ges-tern machen kapitalistische K?rzungspolitik. F?r die brasilianische Arbeiterbewegung, die unter gro?en M?hen die PT aufgebaut hat, stellt sich heute die Frage: Wie soll es jetzt weitergehen?
Am 5. August beschloss das Parlament das Rentenreform-Gesetz (1. Lesung). Es ist, wie in Deutschland, keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung f?r die Lohnabh?ngigen. Rentenanspr?che werden gek?rzt und die Lebensarbeitszeit verl?ngert, um die Staatskassen zu entlasten. Zus?tzlich wird der Weg frei f?r private Rentenfonds.
Was die Vorg?ngerregierung im Privatsektor erm?glichte, setzt die Regierung Lula damit im ?ffentlichen Sektor um.
Damit greift Lula?s Regierung eine Schicht von Angestellten an, die in der Vergangenheit eine Verbesserung ihres Lebensstandards durchsetzen konnte (dennoch war diese Verbesserung ein Witz gegen den enormen Reichtum der Herrschenden). Lula vermeidet die Konfrontation mit den Herrschenden und versucht die Arbeiterklasse zu spalten.
80.000 Staatsangestellte protestierten am Tag nach der Lesung in den Stra?en von Brasilia. Ein paar Tage zuvor kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Rechten Provinzgouverneuren kam die Regierung entgegen und verzichtete auf Einsparungen bei den Richtern. Den ArbeiterInnen dagegen bot sie Polizeieinsatz und die Weigerung zu verhandeln. PT-Linken wurde gedroht sie auszuschlie?en, falls sie gegen das Gesetz stimmten. Die Wut entlud sich in einem Streik der Bundesbesch?ftigten.
PT-Linke versagt beim ersten Test
Von den 92 Abgeordneten der PT stimmten 80 f?r das Gesetz und somit gegen die Staatsbesch?ftigten, acht enthielten sich und drei stimmten dagegen. Von der sogenannten PT-Linken stimmten 24 Parlamentarier mit der Regierung. Der Rest stellte die acht Enthaltungen und drei Gegenstimmen.
Die gr??te Gruppe innerhalb der Linken ist die Articulacao de Esquerda. Sie stimmte geschlossen f?r das K?rzungspaket. Sie gibt auch im Gewerkschaftsdachverband CUT den Ton an. Der CUT ist seiner Pflicht nicht nachgekommen, den streikenden Staatsbesch?ftigten den R?cken zu st?rken. Die sogenannte trotzkistische Democracia Socialista (Schwesterpartei der franz?sische LCR) stellt nach wie vor den Agrarminister. Konfusion auch in den Reihen der PcdoB (Kommunistische Partei, ehemals Maoisten). Hier stimmten nur vier der elf Abgeordneten gegen das Gesetz.
Lula nutzt seine immer noch bestehende Autorit?t, um gegen die Linken vorzugehen. Einige der Linken, die gegen die ?Reform? stimmten, sollen ausgeschlossen werden. Kritiker sollen zum Schweigen gebracht werden. Die Aufgabe der Linken ist gerade in dieser Situation, einen Kampf zu f?hren und sich darauf vorzubereiten, eine neue Partei zu gr?nden, die sich sowohl an die richtet, die bereits Lula kritisieren, aber auch an die, die noch Illusionen haben. Eine solche Partei m?sste die Schlussfolgerungen aus dem Scheitern der PT ziehen.
?Besetzen und Widerstehen?
Vor den Toren Sao Paolo?s haben 7.000 unter dem Banner der MTST (Bewegung der Wohnungslosen ArbeiterInnen) ein altes VW-Gel?nde besetzt. Sie fordern bezahlbaren Wohnraum und sind gut organisiert. Im Besetzungscamp gibt es eine Apotheke, eine Schule und die Wohnzelte sind in Blocks unterteilt, die die Namen von Revolution?ren wie Che Guevara und Rosa Luxemburg tragen.
Gleichzeitig wurden im Zentrum von Sao Paolo vier leerstehende Hochh?user besetzt, unter dem Slogan ?Besetzen und Widerstehen?. Die MST (Bewegung der Landlosen), eine m?chtige Bewegung mit Millionen von Menschen in ihrem Umfeld, erwartete von der PT eine Landreform. Die bittere Auseinandersetzung mit den Gro?grundbesitzern und das Leben der mittellosen LandarbeiterInnen schreien danach.
Der enge Bund mit der PT wurde aufgebrochen, als nichts passierte und die MST ihre Landbesetzungen wieder aufnahm. Der Agrarminister ? unter Druck von Gro?grundbesitzern und MST ? erkl?rte, dass es das Recht der sozialen Bewegungen sei, zu protestieren, aber dass die Aktionen den Rahmen der demokratischen Ausdrucksm?glichkeiten ?bersteigen w?rden. (CWI-online, 14.3.03)
Umdenken
Der scharfe Rechtsruck der PT, Politik nach den W?nschen des IWF ? all das f?hrt besonders in den Reihen der PT, der Jugend und bei sozialen AktivistInnen zu Diskussionen: macht es noch Sinn in der PT f?r einen Wechsel zu k?mpfen?
Die PT hat l?ngt vor ihrem Regierungseintritt ihr Ziel aufgegeben, mit dem Kapitalismus zu brechen. Sie arbeitet auf Basis des Kapitalismus und so bleibt ihr keine Wahl, genau die Angriffe durchzuf?hren, die sie in der Opposition noch abgelehnt hat. Alles in allem legt sich die PT heute weniger mit dem IWF und Gro?konzernen an, als es die Regierung Kirchner in Argentinien macht, die aus den Reihen der Kapitalisten kommt!
Bei der breiteren Masse der Bev?lkerung haben dagegen Aussagen Lulas (?Regieren ist wie ein Marathonlauf. Ich kann nicht auf den ersten Kilometern alles geben, ich habe vier Jahre Zeit?, Weltsozialforum Porto Allegre 2003) noch mehr Autorit?t. Geht es aber in der jetzigen Richtung weiter, so wird auch das kippen.
Fazit
Die Mitglieder von Socialismo Revolucionario ? Schwesterpartei der SAV ? haben den Streik der Bundesbesch?ftigten nach Kr?ften unterst?tzt. Kommen die K?mpfe zusammen, kann die Grundlage daf?r gelegt werden, der neo-liberalen Politik der PT-Regierung etwas entgegen zu setzen und sie zu stoppen.
Der Wahlsieg der PT war ein Meilenstein f?r die Arbeiterklasse. Jetzt ist sie dabei eine Bilanz ihrer Erfahrungen mit der PT-Regierung zu ziehen. Die Linke in der PT ist unschl?ssig und taumelt.
Der Weg zu einer Arbeiterpartei, die kompromisslos den Klassenstandpunkt vertritt, f?hrt aber ?ber die Schlussfolgerungen aus der ?ra Lula. AktivistInnen in und au?erhalb der PT stehen vor dieser Frage. Jetzt geht es darum, diejenigen zu organisieren, die bereit sind einen Schritt weiter zu gehen, und in einen Dialog mit den Schichten der Arbeiterklasse zu treten, die noch kein Fazit gezogen haben. Und das ist noch die Mehrheit. Doch der Aufbau einer neuen Arbeiterpartei steht auch in Brasilien wieder auf der Tagesordnung.