Bundesminister Stolpe, für „Aufbau Ost“ und Verkehr zuständig, beerdigt „den Traum der schnellen Angleichung“
Von allen versprochen, jetzt ?beerdigt?: Die Angleichung zwischen Ost und West wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Gleichzeitig reagierte Stolpe auf den Unmut der Unternehmer im Westen, die sich benachteiligt sehen, indem er eine Mittelvergabe (sprich Subventionen) nicht von der ?Himmelsrichtung? abhängig machen will.
von Marén Wiese, Rostock
Stolpe erklärte ferner, ihre Arbeit sei trotzdem ?besser als die von Sisyphos, unser Stein rollt wenigstens nicht zurück.? Und ob: gerade im letzten Jahr sank das Ost-Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Es liegt bei 62,7 Prozent des Westniveaus.
Die Ost-Unternehmerverbände reagierten auch prompt und gingen in die Offensive. Sie verlangen gesetzliche Sonderregelungen für den Osten. Dazu gehören zum Beispiel, dass die Landtage sieben Jahre lang von ?investitionshemmenden Vorschriften? des Bundes abweichen können. Nötig ist ihrer Meinung nach ein ?wirklicher Befreiungsschlag?. So soll der Kündigungsschutz gelockert werden, das heißt er soll nur für Betriebe ab 80 Beschäftigte gelten. Außerdem soll das Ladenschlussgesetz ganz abgeschafft werden.
Klaus Hering, Präsident der Unternehmerverbände in Mecklenburg-Vorpommern, verspricht, dass damit ?mehr Arbeitsplätze geschaffen und bestehende gesichert? werden können. Auch Gerd von Brandenstein, Präsident der Vereinigung der Unternehmerverbände von Berlin und Brandenburg, stößt in das selbe Horn: ?Wir brauchen mehr wirtschaftliche Freiheiten.? Die dann darin bestehen, dass Existenzgründer drei bis fünf Jahre keine Steuern zahlen sollen und die Investitionszulage von jährlich zwei Milliarden Euro bis 2008 verlängert werden soll.
Damit sprechen die Unternehmer im Osten nur das aus, was die im Westen auch wollen, nämlich möglichst billige Arbeitskräfte, zu heuern und zu feuern wie es ihnen gerade passt und durch Subventionen die Gewinne steigern.
Für Unternehmer sollen die Landschaften weiter blühen, während wir nur das Unkraut bekommen.
Im Osten arbeiten die Menschen schon im Durchschnitt mindestens eine Stunde in der Woche länger als im Westen. Die meisten kommen aber durch Überstunden auf 45 und mehr Stunden in der Woche. Die Löhne liegen immer noch 20 bis 30 Prozent unter dem Westniveau. Es gibt kaum Großbetriebe. Die mittleren und kleinen Unternehmen schließen keine Tarifverträge ab, können also alle ?wirtschaftlichen Freiheiten? schon jetzt nutzen.
Dennoch sind nicht mehr Arbeitsplätze entstanden. Im Gegenteil, es gibt inzwischen offiziell 18,5 Prozent Arbeitslose im Osten, während der Anteil im Westen bei 8,5 Prozent liegt.
Das zeigt ganz deutlich, dass die Forderungen der Unternehmer nicht mehr Arbeitsplätze schaffen, sondern nur der Steigerung ihrer Profite dienen.
Um Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen, ist es nötig, dass die Gewerkschaften wieder zu dem werden, was sie eigentlich sein sollten, nämlich die Kampforganisationen der ArbeiterInnen.
Sie müssten erst einmal um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Dann wäre es nötig die Arbeit auf mehr Beschäftigte zu verteilen, indem die Arbeitzeit auf 30 Stunden pro Woche gesenkt wird, natürlich bei vollem Lohn und Personalausgleich. Betriebe, die Leute aufgrund wirtschaftlichenr Schwierigkeiten entlassen wollen, müssen ihre Geschäftsbücher offen legen, damit VertreterInnen aus dem Betrieb und den Gewerkschaften das überprüfen können und auch nachvollziehen können, wo die Profite und Subventionen der letzten Jahre hingeflossen sind. Statt der Überführung von Menschen in die Massenarbeitslosigkeit ist die Überführung der Betriebe in öffentliches Eigentum notwendig: Statt Arbeitslosigkeit kann dann gesellschaftlich sinnvolle Produktion finanziert werden und die Arbeitsplätze erhalten werden.
Der Kampf darum muss in Ost und West geführt werden. Denn eine Version der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West bis 2019 hielt Spiegel online (17. September) nach Stolpes Pressekonferenz noch für möglich: ?Indem der Westen auf das Niveau des Ostens absinkt.?