Gegen das Co-Management der ver.di-Führung wächst die innergewerkschaftliche Opposition
von Ursel Beck, Stuttgart
Mitte August bricht ein Briefträger nach achteinhalb Stunden Briefzustellung bei Gluthitze zusammen und stirbt. Er gehörte zu einer Pilotgruppe in Mannheim, mit der der effizientere Einsatz von Briefzustellern geprobt werden sollte. Das Pilotprojekt musste zumindest in Mannheim gestoppt werden. Doch der ver.di-Landesfachbereichsleiter Baden-Württemberg diktiert den Journalisten, dass das Pilotprojekt sinnvoll sei, die Belastung der Zusteller nicht zu groß werde und außerdem Arbeitswissenschaftler und Arbeitsmediziner einbezogen seien.
Das Beispiel ist typisch dafür, wie immer mehr Gewerkschaftsfunktionäre die Profitinteressen der Arbeitgeber anstatt die Interessen der abhängig Beschäftigten vertreten.
Fusion
Nach der Fusion der fünf Gründungsgewerkschaften ötv, HBV, DAG, Postgewerkschaft und IG Medien vor zwei Jahren hat sich schnell bestätigt, dass Größe allein nichts bedeutet. Die Fusion führte zu noch undurchschaubareren Strukturen.
Die bereits vorherrschende angepasste Politik wurde nicht aufgegeben, sondern verstärkt. Und in Zeiten kapitalistischer Krise bedeutet die Verteidigung des Kapitalismus noch größeren Ausverkauf an Mitgliederinteressen bis hin zur Selbstzerstörung der Gewerkschaften.
Das zeigen die Niedrigabschlüsse in den Tarifrunden. Das zeigt die aktive Beteiligung der Gewerkschaftsspitze an der Umsetzung der Riester- und Hartz-Pläne.
Die ver.di-Führung organisiert sogar aktiv die Zerstörung des Flächentarifvertrages mit. Das gilt gerade auch für den bedeutendsten in der BRD existierenden Tarifvertrag, den des öffentlichen Dienstes. Trotz enormer Kampfkraft und hohem Organisationsgrad wurden im öffentlichen Nahverkehr massive Tarifabsenkungen per Spartentarifvertrag mitbetrieben. Viele Bereiche wurden bereits aus dem BAT/BMT-G herausgelöst. Auf Tarifflucht wurde nicht mit Kampfmaßnahmen geantwortet, sondern mit der Unterschrift unter schlechtere separate Tarifverträge.
Die Schröder-Regierung holt zum sozialen Kahlschlag aus. Aber die ver.di- und die gesamte DGB-Führung hält still.
Mitgliederverluste und Finanzkrise
Ende 2002 hatte ver.di noch 2,7 Millionen Mitglieder. Das bedeutet einen Mitgliederverlust von fast 150.000 seit der ver.di-Gründung vor zwei Jahren. Die Mitgliederverluste haben starke Einnahmeausfälle zur Folge. Und in der typischen Managermanier reagiert die ver.di-Führung darauf. Nachdem die Vorstände sich Ende 2001 bis zu 70 Prozent Gehaltssteigerung genehmigt haben und Bsirske damit rund 13.500 Euro jährlich plus volles 13. Monatgehalt kassiert, soll jetzt bei den SekretärInnen und Beschäftigten der unteren Ebenen Arbeitszeit und Lohn um zehn Prozent gekürzt werden.
Lautere Basisproteste
Der Protest und die Unzufriedenheit an der Basis wird größer. Mit der Begründung, dass sich der ver.di-Vorstand mit seiner „Mitarbeit in der Hartz-Kommission völlig inakzeptabel verhalten und unserer Organisation sehr geschadet“ hat, stellte die Landesbezirksjugendkonferenz Bayern bei der Bundesjugendkonferenz im April 2003 sogar den Antrag, „dem Bundesvorstand der ver.di, den Rücktritt nahe zu legen“.
Lautstark kritisierten GewerkschaftsaktivistInnen im öffentlichen Dienst Bundesvorstand, Verhandlungsführer und Bundestarifkommission wegen des letzten Tarifabschlusses.
Am 8. Juli blockierten 800 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die Duisburger Innenstadt und forderten den Stop der Prozessvereinbarung (Vereinbarung über die weitere Abkopplung von Spartentarifverträgen), an der die ver.di-Führung trotz Kündigung der Tarifverträge beim Weihnachts- und Urlaubsgeld durch Bund und Länder festhält und verhandelt.
Netzwerk
Bereits seit 1996 gibt es das Netzwerk für eine kämpferische ötv/ver.di. Das Netzwerk hat die Fusion abgelehnt. Seine Kritik hat sich vollauf bestätigt. Seit der Gründung von ver.di hat das Netzwerk nicht nachgelassen innerhalb von ver.di eine Opposition aufzubauen. Der erste ordentliche ver.di-Bundeskongress soll ebenfalls genutzt werden, um einen politischen Kurswechsel und innergewerkschaftliche Demokratie einzufordern. Unter anderem hat das ver.di-Netzwerk die Initiative ergriffen am Tag vor Kongressbeginn eine Veranstaltung zu organisieren (siehe nebenstehenden Artikel).