Interview mit Hannah Sell, Mitglied der Socialist Party, der Schwesterpartei der SAV in England und Wales
Obwohl es auch in Großbritannien eine große Antikriegsbewegung gab, hat die Regierung die Beteiligung am Irakkrieg durchgezogen. Richtet sich die Stimmung jetzt grundlegend gegen Blair?
Durch den kurzen Krieg sieht es so aus, als ob die Regierung mit ihrer Kriegsbeteiligung durchgekommen wäre. Aber angesichts der Massendemonstrationen sah Blair sich gezwungen, zu Lügen zu greifen.
Ein Journalist der BBC erhob den Vorwurf der Kriegslügen und gab den Waffenexperten Kelly als Informationsquelle an. Kurz danach beging dieser Selbstmord.
New Labours Kürzungspolitik und die Kontroverse um Massenvernichtungswaffen sorgen zusammen mit dem Selbstmord Kellys für die tiefste Krise seit Blairs Amtsantritt 1997.
Wie wahrscheinlich ist ein Sturz Blairs?
Blair stand kurz vor dem Sturz, aber anscheinend hat er noch einmal Glück gehabt. Es ist immer noch möglich, dass Blair gehen muss. Aber auch, wenn es nicht so weit kommt, ist er durch die Vorfälle geschwächt und unbeliebt.
Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber dem Sozialabbau und den Privatisierungen von New Labour?
Die Mehrheit der Arbeiterklasse fühlt sich betrogen und hat einen Hass auf New Labour. Zum Beispiel läuft die Privatisierung des staatlichen Gesundheitswesens NHS weiter. Wegen der akuten Probleme wurde etwas mehr Geld hinein gesteckt, aber die Situation ist wie immer. Das heißt lange Schlangen in den Krankenhäusern, sogar bei der Notaufnahme. Dort ist vor Kurzem ein alter Mann gestorben, weil er 72 Stunden warten musste!
Wie sieht Widerstand dagegen aus?
Auf lokaler Ebene gibt es Streiks gegen Fragen, die mit den Kürzungen in Zusammenhang stehen. Es ist aber noch keine verallgemeinerte Kampagne.
Die Gewerkschaften bewegen sich von New Labour weg. Eine Reihe linker GewerkschafterInnen wurde in den Vorstand oder als Vorsitzende gewählt. Einige von ihnen starteten die Kampagne Erobert Labour zurück und treten dafür ein, New Labour mehr Geld zukommen zu lassen. [In England und Wales unterstützen Gewerkschaften finanziell die Labourpartei.]
Es gibt auch erste Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Zum Beispiel tritt Bob Crow, Generalsekretär der Transportgewerkschaft RMT dafür ein, Geld an die Scottish Socialist Party zu zahlen.
Solange es nicht zu Streiks kommt, ist die Frage der Finanzierung für viele ArbeiterInnen zweitrangig. Aber das ändert sich schnell, wie der Streik der Feuerwehrleute zeigt. 80 Prozent haben aufgehört, in den Politischen Fond der Gewerkschaft einzuzahlen, der an New Labour geht.
In Großbritannien haben Ende 2002 die Feuerwehrleute gestreikt. Welche Bedeutung hatte dieser Streik?
Zur gleichen Zeit wurde auch in mehreren Bereichen des öffentlichen Diensts gestreikt. Es waren die wichtigsten Streiks der letzten 15 Jahre. Das Land war geteilt in die Arbeiterklasse, die den Streik unterstützte und die Kapitalistenklasse, die einen schonungslosen Krieg dagegen führte.
Die Feuerwehrleute haben nicht den Sieg errungen, der möglich war. Die Gewerkschaftsspitze hat gemerkt, dass sie sich auf eine große Konfrontation mit der Regierung einlassen und traten den Rückzug an. Durch den Streik der Feuerwehrleute wussten auch junge SchülerInnen, was ein Streik ist. Wäre die Idee durch diesen Kampf nicht so bekannt gewesen, hätten weniger SchülerInnen gegen den Irakkrieg gestreikt.
Welche Auswirkungen wird die Wahl linker GewerkschafterInnen haben?
Die Wahl linker GewerkschafterInnen zeigt die Wut der Basis auf die Bosse. Die Stimmung bei den Mitgliedern ist im Moment noch so, dass die Führung für sie kämpfen soll. Aber durch Kämpfe verstehen sie, das die Gewerkschaften durch aktive Mitglieder stark sind. Die AktivistInnen werden erfahrener und werden den Verrat der Gewerkschaftsspitze nicht mehr akzeptieren.
Wie organisiert ist die Gewerkschaftsopposition? Gibt es Bündnisse gegen die Rechten?
Die neuen linken Gewerkschaftsführer gründeten den Schnauze voll vom verlieren-Club und halten Treffen ab. An der Basis glauben noch viele, das ein Wechsel an der Spitze ausreicht. Wir denken, dass sich auch die AktivistInnen vernetzen müssen. Jetzt geht es darum, Gewerkschaftsopposition von unten auszubauen.
Welche Rolle spielt die Socialist Party in den Gewerkschaften?
Die Socialist Party spielt eine wichtige Rolle. Auf nationaler Ebene sind zwölf GenossInnen im Vorstand, Janice Godrich sogar zur Vorsitzenden der Beamtengewerkschaft PCS gewählt worden. In gewisser Weise spielen wir auf lokaler Ebene eine noch größere Rolle. Dort bauen wir die Gewerkschaften unter neuen Schichten von ArbeiterInnen auf. Wo wir in Kämpfen Siege erringen, ermutigen wir auch andere, in Betrieben aktiv zu werden, wo keine GenossInnen arbeiten.
Das Interview führte Linda Schütz, Rostock