Bericht von der Aktionskonferenz am 16. August aus der Jungen Welt
Initialzuendung
Aktionskonferenz beschloss: Am 1. November in Berlin bundesweite Demonstration gegen Sozialabbau
von Daniel Behruzi
„Die Leute haben es satt, hingehalten zu werden. Sie wollen Aktionen gegen diesen Sozialkahlschlag“. Das sagte Michael Koester vom „Rhein-Main Buendnis gegen Sozialabbau und Billigloehne“ zum Auftakt einer Aktionskonferenz am Samstag in Frankfurt am Main. Die Bereitschaft, sich gegen die unsoziale Regierungspolitik zur Wehr zu setzen, habe sich schon bei der guten Resonanz auf die Einladung zur Konferenz gezeigt: Der angemietete Raum war mit etwa 150 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet, die trotz Sommerzeit den Weg in die Bankenmetropole gefunden hatten, deutlich ueberfuellt. Zur Aktionskonferenz aufgerufen hatten die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken, das Netzwerk fuer eine kaempferische und demokratische ver.di sowie die bundesweit koordinierten Anti-Hartz-Buendnisse.
Weitgehend einig waren sich die Anwesenden, darunter auch viele Erwerbslose, in der Bewertung der aktuellen Regierungspolitik – von Hartz und Ruerup ueber Agenda 2010 bis Gesundheits- und Renten“reformen“ – diese Massnahmen seien ein „Dammbruch“, der verhindert werden muesse. „Wenn wir dagegen jetzt nichts tun, wann wollen wir denn dann etwas machen?“ hiess es allenthalben.
Darueber, welche Initiativen von dem Treffen ausgehen sollten, entwickelte sich in dessen Verlauf eine kontroverse Diskussion. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Frage, ob man es wagen wolle, zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin aufzurufen, auch wenn die Spitzen der Gewerkschaften diese nicht mittragen sollten. „Eine bundesweite Demonstration kann ein Bezugs- und Kristallisationspunkt fuer den Widerstand werden und die bestehende Verzettelung der Proteste ueberwinden“, argumentierte Stephan Kimmerle vom Vorbereitungskreis der Konferenz. Die von den Gewerkschaftsspitzen im Fruehjahr organisierten Aktionen haetten das Protestpotential bei weitem nicht ausgeschoepft. „Mit ihrem inhaltlichen Wischiwaschi und der halbherzigen Mobilisierung hat die Gewerkschaftsfuehrung den Misserfolg der Proteste im Mai zu verantworten“, so Kimmerle. Eine Reihe anderer Redner betonte ebenfalls das vorhandene Potential und die Notwendigkeit einer „Initialzuendung“.
Werner Raetz, Mitglied im Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC, zeigte sich hingegen skeptisch. Er verwies auf das „eingeschraenkte politische Spektrum“ der Konferenzteilnehmer und meinte, eine bundesweite Mobilisierung sei „verfrueht“. Man muesse sich auf eine sehr lange Auseinandersetzung einstellen. Auch andere Teilnehmer betonten die Notwendigkeit, ein breites Spektrum in die Mobilisierung einzubeziehen. Vor allem die Gewerkschaften, deren Spitzenfunktionaere „ihren Freunden in der Regierung den Ruecken freihalten“ wollten, muessten zum Protest bewegt werden. Bernd Riexinger, ver.di-Geschaeftsfuehrer im Bezirk Stuttgart-Ludwigsburg, sagte: „Die Gewerkschaften muessen von innen und von aussen unter Druck gesetzt werden, damit sie ihrer Aufgabe nachkommen und in den Betrieben gegen den Sozialabbau mobilisieren“. Zwar stuenden die Massen nicht einfach zum Protest bereit, aber die Stimmung in den Betrieben beginne zu kippen, berichtete der Gewerks
chaftsfunktionaer.
Den Kollegen muesse klargemacht werden, dass der zur Zeit stattfindende Sozialabbau erst der Beginn weiterer Kuerzungsmassnahmen sei. „Es gibt fuer das Kapital nach unten keine Grenze“, befuerchtete einer der Anwesenden.
Dass es gerade eine sozialdemokratisch gefuehrte Regierung ist, die zum Generalangriff auf soziale Errungenschaften blaest, haelt die Aktivisten nicht vom Protest ab. Im Gegenteil: „Das Programm dieser Regierung ist in den Bueros von Hundt und Rogowski geschrieben worden“, meinte Thies Gleiss von „Gewerkschafter mit Biss“ aus Koeln. Weiter argumentierte er: „Wenn es uns gelingt, diese Regierung von den Sozialkuerzungen abzuhalten, dann wird auch keine andere Regierung das durchsetzen koennen“.
Trotz kontroverser Debatte war der Konferenzbeschluss schliesslich eindeutig: Fast ohne Gegenstimmen wurde entschieden, fuer den 1. November zu einer bundesweiten Demonstration nach Berlin zu mobilisieren. In den naechsten Tagen wird ein Aufruf verfasst, mit dem man weitere gewerkschaftliche Gremien, soziale Initiativen, Erwerbslosenverbaende, ATTAC und andere Gruppen ins Boot hohlen will. Auf der Konferenz sagten bereits der ver.di-Bezirk Stuttgart-Ludwigsburg, ATTAC Berlin und eine Anzahl weiterer Gruppen ihre Unterstuetzung zu. Ab sofort will man die Aufklaerungsarbeit vor Ort und in den Betrieben intensivieren. Vor allem muesse man erklaeren, dass genug Geld vorhanden sei, um die sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren. Mit einem regionalen Aktionstag am 20. Oktober soll die bundesweite Demonstration vorbereitet werden.
Den Aktivisten ist allerdings klar, dass auch eine erfolgreiche zentrale Demonstration nicht ausreichen wird, um die Massnahmen der Regierung zu verhindern. Mehrere Redner betonten, dass dafuer letztlich politische Streiks notwendig seien. „Die Demonstration kann nur ein Anfang sein“, hiess es immer wieder. Folgerichtig soll in Gefolge des 1. November erneut zur Aktionskonferenz geladen werden.
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