Ausbreitung von SARS: Naturkatastrophe oder Folge von Privatisierung?
von Tinette Schnatterer, Stuttgart
SARS hat in den letzten Tagen und Wochen einige hundert Tote gefordert, ganze Stadtteile in China stehen unter Hausarrest, wer zum Beispiel nach Taiwan einreisen möchte muss zuallererst 10 Tage in Quarantäne. SARS ist eine große Herausforderung für Medizin und Forschung. Während das Auftreten der Krankheit unvorhersehbar scheint, ist deren Ausbreitung weniger eine Naturkatastrophe als uns die Medien glauben machen möchten.
In China, dem Land, in dem die Krankheit zuerst auftrat und in dem sie bisher auch mit Abstand die meisten Tote forderte, hat in den letzten Jahren eine beispiellose Privatisierung des Gesundheitswesen stattgefunden. Bis vor kurzem waren alle Menschen in China über ihren Betrieb bzw. den Staat krankenversichert, der Besuch beim Arzt oder dem Krankenhaus war kostenlos. Heute bleibt es jedem selbst überlassen zu schauen, wie er/sie im Krankheitsfall über die Runden kommt.
Von 1,3 Milliarden ChinesInnen sind erst 15 Prozent krankenversichert und selbst wer eine Krankenversicherung hat, muss einen großen Anteil der Arzt- und Krankenhauskosten selbst bezahlen. Wer stationär behandelt werden will muß z.B. in Peking 10 000 Yuan, etwa 1250 Euro, hinterlassen bevor er überhaupt ein Bett bekommt. Das ist mehr als das zehnfache eines durchschnittlichen Monatslohns. Zusätzlich sind die Krankenhäuser heute gezwungen profitabel zu wirtschaften. Erst am 17. April kamen sieben Kranke mit Symptomen von SARS (Fieber, Husten, Brustschmerzen) zu einem Krankenhaus in Huehot. Sie gehörten alle zur Familie eines Mannes, der bereits an SARS gestorben war. Da keiner den Vorschuss für den Krankenhausaufenthalt zahlen konnte, wurden sie wieder abgewiesen. Da nützt es wenig, dass die chinesische Regierung verkündete SARS solle ?früh entdeckt, früh gemeldet, früh isoliert und früh behandelt? werden, denn seit die Krankenhäuser darauf angewiesen sind profitabel zu arbeiten und die staatliche Versicherung wegfällt, bleiben die Armen aus den Krankenhäusern draußen. 70 Prozent der Bevölkerung können heute nur 30 Prozent aller medizinischen Möglichkeiten Chinas nutzen. (1)
In den ländlichen Gebieten ist die Lage noch katastrophaler: während früher sogenannte ?Barfußärzte? zumindest die medizinische Grundversorgung sicherstellten haben die meisten BäuerInnen heute gar keinen Zugang zum Gesundheitssystem mehr.
Als Folge bleiben viele Fälle unerkannt, und die Ansteckungsgefahr wird nicht bekämpft. Es gibt bereits Gerüchte nach denen in der zentralchinesischen Provinz Shanxi ein ganzer Landkreis von SARS betroffen ist.
Dahinter stehen die sinkenden Ausgaben Chinas für das Gesundheitssystem die im Jahr 2000 bereits nur noch 5,3 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachten, während gleichzeitig Unsummen für Straßenbauten, Wirtschaftszonen und die Vorbereitung der Olympischen Spiele in Peking ausgegeben wurden.
Dahinter steht aber auch eine Politik von IWF und Weltbank die in den letzten Jahren immer wieder Druck auf China ausübten, zu privatisieren, staatliche Subventionen abzubauen und die Profitlogik auch in lebenswichtigen Bereichen wie dem Gesundheitswesen einziehen zu lassen.
Die selbe Politik hat in den letzten Jahren auch in anderen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Osteuropas zu Verschlechterungen und Privatisierungen geführt. Jeden Tag sterben Tausende Menschen weltweit an vermeidbaren Krankheiten wie Malaria, Meningitis oder Tuberkulose. Während diese Menschen im Stillen sterben, ist es notwendig die öffentliche Aufmerksamkeit die SARS bekommt, zu nutzen um die Zusammenhänge von kapitalistischer Globalisierung und sinkenden Lebensbedingungen der Massen aufzuzeigen. Denn solange die Profitinteressen der großen Konzerne bestimmen wird technischer und medizinischer Fortschritt nicht dazu führen dass Krankheiten, Hunger und Elend überwunden werden.
(1) Quelle: FAZ 24.4.03