Folter – „menschlich verständlich“?!

Vor zwei Wochen wurde ein brisantes Polizeidokument der Presse zugespielt. Belegt es doch schwarz auf weiß, dass der Polizeivizepräsident von Frankfurt einem des Mordes Verdächtigen mit Folter drohte.

von Torsten Sting, Rostock


 

Bisher schien es so, dass Folter kein Thema für das „zivilisierte“ Deutschland sei. Vom Grundgesetz her verboten, war es jahrzehntelang ein Tabuthema. Die Folter schien weit weg. Staaten wie die Türkei oder offene Diktaturen ja, aber bei „uns“?

Humanitäre Gesinnung?

Im konkreten Fall ging es um die Entführung eines Bankiersohnes im vergangenen Herbst. Der Entführer wollte Millionen erpressen und wurde von der Polizei gefasst. Das Kind blieb aber verschwunden. Zurecht bestand die Annahme, es gehe um Leben und Tod. Der Täter machte jedoch keine Angaben zum Verbleib des Jungen. In dieser Situation, so der Polizeibeamte, hätte er sich entscheiden müssen. Zwischen dem Leben des Kindes und den Rechten des Verdächtigen auf körperliche Unversehrtheit. Er veranlasste, dass dem Tatverdächtigen bei weiterem Schweigen „Schmerzen“ zuzufügen seien. Es sollte das Handgelenk verdreht und schmerzempfindliche Bereiche der Ohren bearbeitet werden. Ein Polizist, der das ganze ausführen sollte, – ein Experte? – wurde extra aus dem Urlaub eingeflogen.

Dass es nicht dazu kam, war einzig dem Umstand geschuldet, dass der Verdächtige nach der Folger-Androhung die Tat gestand. Nach der Veröffentlichung der Polizeiunterlagen ist nun eine öffentliche Debatte entstanden. Von Bedeutung ist, dass der Aufschrei der Empörung unter führenden Repräsentanten des „demokratischen Staates“ sich merklich in Grenzen hielt. Vertreter von Anwälten und Richterverbänden nahmen den selbsternannten humanitären Gesinnungstäter in Schutz. Es gebe, so der Tenor, nun mal Grenzfälle, wo man – als strikte Ausnahme – eben so handeln müsse, um Leben zu schützen.

Gesellschaftliche Bedeutung des Einzelfalls

Es ist die eine Sache, wenn KollegInnen im Betrieb hartes Vorgehen gegen Verbrecher fordern. Nachvollziehbar ist Angst und Empörung welche viele Menschen aus der ArbeiterInnenklasse empfinden wenn es um Mörder, Vergewaltiger oder Kinderschänder geht. Das andere ist jedoch, wie Medien, ranghohe Politiker, und andere Vertreter des Staates mit diesen Gefühlen umgehen.

Wenn ein eiskalter Erzkonservativer wie Roland Koch davon spricht, dass die Foltervorhaben des Polizeivizepräsidenten „menschlich nachvollziehbar“ waren, dann müssen die Alarmglocken ertönen.

Jemand der wie kein zweiter für massenhaftes Abschieben von Flüchtlingen einsteht und zu allen sozialen Grausamkeiten bereit ist, der verfolgt ganz andere Dinge als das Wohl der Bevölkerung. Es ist ein gängiger Trick von Leuten wie Koch solch zugespitzten Ereignisse zu nutzen um weitergehende Ziele zu verfolgen.

Niemand wolle die Folter generell wieder einführen, Ausnahmen müssten aber erlaubt sein, so kann man die Aussagen der verschiedenen Protagonisten zusammenfassen. Sie wissen genau, dass sie scheitern würden, wenn sie die generelle Einführung forderten. Also müssen – natürlich sehr schreckliche – aber dennoch Einzelfälle herhalten um diesen Vorstoß zu legitimieren.

Schauen wir uns die Vorgehensweise in der Vergangenheit an. Im Zuge von Maßnahmen gegen Fußballhooligans nach Ausschreitungen bei der Europameisterschaft 1998 wurden Gesetze verschärft, die im konkreten Fall die Ausreise von Bundesbürgern quasi präventiv unterbinden konnten. Diese Regelung wurden dann aber natürlich nicht nur auf diesen Personenkreis angewendet. Hauptleidtragende waren linke GlobalisierungsgegnerInnen, welche bei den Protesten gegen die Meetings der Mächtigen an der Grenze dingfest gemacht wurden.

Polarisierung und Klassenstaat

Es ist kein Zufall, dass mit der Folter (die von Koch und anderen natürlich nicht als solche bezeichnet wird) zum jetzigen Zeitpunkt ein weiteres Tabuthema geschliffen wird. Dieser Einzelfall wird von bestimmten Vertretern der herrschenden Klasse bewusst dafür genutzt, um auch diese Festung sturmreif zu schießen. Unzählige demokratische Rechte wurden bereits abgeschafft oder stark eingeschränkt. Sei es das Asylrecht, die Überwachungsmöglichkeiten durch den großen Lauschangriff, Rasterfahndung, weitergehende Befugnisse für Polizei und Geheimdienste, die Liste ließe sich erheblich erweitern.

Aber warum das Ganze? In den vergangenen Jahren haben sich die Gegensätze zwischen den Klassen in allen Ländern enorm zugespitzt. Unverschämter Reichtum auf der einen und immer krassere Angriffe auf Sozialsysteme und zunehmende Armut auf der anderen Seite. Immer größere Teile der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung sind aber nicht mehr bereit, dies alles hin zunehmen. Die Bewegung gegen kapitalistische Globalisierung und die Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg bringen dies deutlich zum Ausdruck.

Die relative soziale und politische Stabilität der ersten Nachkriegsjahrzehnte ist dahin. Die Kapitalisten und ihre Helfershelfer wie Politiker; Polizei, Armee reagieren darauf in dem sie gegen ihre Feinde im Inneren wie im Äußeren schärfer vorgehen. Jede Gesetzesverschärfung egal wie sie begründet wird, dient deshalb dem Ziel zunehmende Protest und Streikbewegungen besser zerschlagen zu können.

Italien ist da ein warnendes Beispiel. Bei den Prosten in Genua im Sommer 2001 wurde erstmals seit langer Zeit wieder ein Demonstrant erschossen. Die anschließende Verhaftungswelle und die Ausmaße der Repression wurden selbst von bürgerlichen Medien in Anspielung auf das Pinochet-Regime als „Chilenische Nacht“ bezeichnet. Die kleine, aber herrschende Minderheit bereitet sich darauf vor, in Zukunft auch mit härteren Mitteln die große, beherrschte Mehrheit unter Kontrolle zu halten.

Demokratische Rechte verteidigen

Es ist eine grundlegende Aufgabe von SozialistInnen gegen die Attacken der Herrschenden auf die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse energischen Widerstand zu leisten. Gesteigerte Repression erschwert den Kampf gegen Verschlechterungen weil die staatliche Seite aufgerüstet und ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose eingeschüchtert werden. Konkret wird so das Kräfteverhältnis zu Gunsten der herrschenden Klasse verschoben. Bei diesem Kampf muss der Zusammenhang mit dem Kampf gegen Sozialabbau, Krieg usw. dargelegt werden, um so die Masse der Arbeiterklasse mobilisieren zu können. Letztlich muss aber eines klar sein. Solange ein System existiert welches auf Ausbeutung und der Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit basiert, sind sämtliche Errungenschaften immer wieder in Gefahr. Deshalb ist der Kampf für eine umfassende, sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft bitter nötig.