Nach der Erschießung eines 27-jährigen Marokkaners im Antwerpener Stadtteil Burgehout, der die enorme Wut und Frustration von Teilen insbesondere arabisch-stämmiger Jugendlicher wegen täglich erfahrener Diskriminierung zum Überkochen gebracht hat, ist der Name Abou Jah Jah auch über die belgischen Grenzen hinaus bekannt geworden.
von Tanja Niemeier, Gent
In Belgien hat Abou Jah Jah bereits vor dem besagten Mord und den dadurch ausgelösten Unruhen die Aufmerksamkeit der Medien erregt.
Für einen Teil der ImmigrantInnen ist er zum Sprachrohr geworden. Er bringt das zum Ausdruck, was vor allem bei Immigrantenjugendlichen schon lange unter der Oberfläche gärt: Wut über täglichen Rassismus, mangelnde Zukunftsperspektiven, schlechte Aussicht auf vernünftige Arbeit und das berechtigte Gefühl ständig als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden und zudem noch seine eigene Identität aufgeben zu müssen.
Schon vor dem Mord hat Abou Jah Jah begonnen, in Antwerpen Patrouillen zu organisieren, die das Verhalten der Polizei überwachen und rassistisches Verhalten der Polizei durch Videokameras dokumentieren sollen. Damit steht er für ein neu gewonnenes Selbstvertrauen von MigrantInnen, sich zur Wehr zu setzen.
Durch sein provokatives Auftreten und die Tatsache, dass er vorhandene Probleme anspricht, für die die Politiker keine Lösung anzubieten haben, hat er sich den Hass nicht nur des extrem rechten Vlaams Blok sondern des gesamten politischen Establishments zugezogen. In den Medien erscheint er oft als Staatsfeind Nummer 1. Verweise auf Malcolm X, den Kämpfer für die Rechte von schwarzen AmerikanerInnen in den USA in den 60er Jahren sind keine Seltenheit.
Migrantenliste bei den nächsten Wahlen
Abou Jah Jah ist Mitglied der Arabisch Europäischen Liga ( AEL) und will bei den nächsten Wahlen mit einer Migrantenliste antreten. Auch das ist an sich ein positiver Schritt, da er den Bedürfnissen von Teilen der ImmigrantInnen Ausdruck verleihen könnte. Allerdings ist das Programm der AEL und die Stossrichtung einer derartigen Liste eher uneindeutig. Es gibt noch viele Unklarheiten darüber, wer die AEL eigentlich ist, aber deutlich geworden ist an Äußerungen Abou Jah Jahs, der die AEL heute verkörpert, dass es sich um eine islamische Gruppierung handelt, die, so scheint es zumindest, politische Bezugspunkte zu Hamas, Hisbollah und so weiter hat.
Wir, die LSP (Schwesterpartei der SAV in Belgien), begrüßen zwar den Schritt der Selbstorganisation von MigrantInnen, haben jedoch die starke Befürchtung, dass sich eine solche Liste mit einem derart begrenzten Programm vollständig in die Isolation manövriert und die Gräben zwischen der einfachen belgischen Bevölkerung und den MigrantInnen verhärtet. Solange die einfache belgische Bevölkerung als eine rassistische Masse gesehen wird, spielt das dem Vlaams Blok in die Hände.
Alles, was uns teilt, schwächt uns
Die politische Situation in Antwerpen ist bereits heute sehr zugespitzt. Die soziale Lage in vielen ärmeren Stadtvierteln ist verheerend. Der Haushalt für den sozialen Bereich soll um 38 bis 46 Prozent gekürzt werden. Der Vlaams Blok erreichte bei den letzten Kommunalwahlen 33 Prozent und stand in Meinungsumfragen kurz nach den Unruhen sogar bei 40 Prozent. Der einzige Grund, warum der Vlaams Blok nicht in der Stadtregierung sitzt ist der, dass es in Belgien den sogenannten Cordon Sanitaire gibt. Das bedeutet, dass so viele Parteien wie nötig eine Koalition eingehen, um den Vlaams Blok aus der Regierung zu halten.
Gute Sache, könnte man meinen. Das Problem ist nur, dass alle etablierten Parteien Politik auf dem Rücken der einfachen Leute durchziehen und dem Vlaams Blok damit das Feld überlassen, um sich als scheinbare Alternative und Partei der kleinen Leute etablieren zu können. Dabei setzen sie auf Rassismus.
Aus unserer Sicht ist bei den nächsten Wahlen eine Liste notwendig, die die Gräben nicht vertieft, sondern die einfache belgische Bevölkerung und die MigrantInnen, die beide unter der sozialen Kahlschlagpolitik der etablierten Parteien zu leiden haben, dichter zusammenzubringen und für gemeinsame Interessen einzustehen. Mit anderen Worten: Sie müsste offen sein für die Belange der ausländischen Bevölkerung und das Wahlrecht für alle fordern, sie müsste das Recht auf Kontrolle über die Polizei verteidigen, aber dabei gleichzeitig erklären, dass nicht nur MigrantInnen Opfer von Polizeiwillkür werden, sondern das Polizeikräfte auch gegen streikende Arbeiter eingesetzt werden.
Vor allem müsste diese Liste jedoch die Forderung nach vernünftiger, gut bezahlter und geschützter Arbeit für alle aufstellen und erklären, dass das einzige Hindernis, dass dem im Weg steht, der Kapitalismus ist, der für Profit über Leichen geht.
Welche Entwicklung für Abou Jah Jah?
Wie bereits erwähnt, wurde Abou Jah Jah von Teilen der Medien mit Malcolm X in Verbindung gebracht. Das Entscheidende an Malcolm X war jedoch, dass er sich in der letzten Periode seines Lebens kurz vor seiner Ermordung von der Nation of Islam abwandte. Er verstand, dass es nur möglich war, die Situation der schwarzen AmerikanerInnen in den USA zu verbessern, wenn man einen Klassenstandpunkt bezieht, das heißt, die Grenze nicht mehr zieht zwischen verschiedenen Hautfarben, Nationalitäten, Religionen und so weiter, sondern zwischen oben und unten. Sein politisches Erbe, die Black Panther Party for Selfdefence in den USA hat das in ihr Programm mit aufgenommen, ohne dabei aufzugeben, gegen die Diskriminierung von Schwarzen zu kämpfen.
Es ist nicht auszuschließen, dass sich Abou Jah Jah in diese Richtung entwickeln könnte, aber Abou Jah Jah lebt nicht in derselben Zeit. Zur Zeit von Malcolm X war ein breiteres sozialistisches Bewusstsein in der Gesellschaft vorhanden, durch das Malcolm X beeinflusst wurde. Zwar gehen wir davon aus, dass sich ein solches Bewusstsein in der Zukunft neu entwickeln wird und auch auf Abou Jah Jah Einfluss nehmen könnte, gleichzeitig ist es aber auch nicht ausgeschlossen, dass aufgrund von Mangel an Alternativen der islamische Fundamentalismus Aufschwung erhält und Abou Jah Jah weiter in diese Richtung gedrängt wird.
Tanja Niemeier ist Mitglied der Linkse Socialistische Partij, der Schwesterpartei der SAV in Belgien