Der Krieg für Öl

Welche Interessen stecken hinter Bushs Kriegsplänen?

von Sascha Stanicic, 9.10.2002
 
Die Bush-Regierung scheint entschlossen zu sein, einen Krieg gegen den Irak zu führen und das Regime Saddam Husseins zu stürzen.

Diese Kriegspläne sind Teil einer imperialistischen Politik und Strategie. Seit dem 11. September sehen sich die USA in der Lage diese Politik und Strategie rücksichtslos umzusetzen. Sie erheben den Anspruch die einzige Supermacht und der einzige Weltpolizist zu sein. Das bedeutet nichts anderes als die wirtschaftlichen, politischen und geostrategischen Interessen des US-amerikanischen Kapitalismus weltweit durchzusetzen.

George W. Bush macht aus der Welt einen noch unsichereren Ort. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA sieht unter anderem massive Erhöhungen des Rüstungshaushalts, die Entwicklung sogenannter „taktischer“ Nuklearwaffen, die Errichtung von dauerhaften Militärstützpunkten in allen Teilen der Welt und eine Präventivschlag-Politik vor. Vor allem letzteres ist eine gefährliche und ernstzunehmende Neuausrichtung US-amerikanischer Politik. Der Einsatz von „präventiver“ militärischer Gewalt würde zu einer dramatischen Zunahme von militärischen Konflikten und Kriegen beitragen.

Der Bush-Flügel der herrschenden Klasse in den USA denkt, die Macht der USA sei unbegrenzt und unschlagbar. Die militärischen Siege im Golfkrieg 1991 und in den Kriegen gegen Serbien und gegen die Taliban nährten diese Illusion. Tatsächlich ist die ökonomische, politische und militärische Dominanz der US-Imperialismus unvergleichlich. Doch militärische Macht muss auf ökonomischer Stärke basieren, wenn sie stabil sein will. Die US-Wirtschaft befindet sich aber, wie auch die Weltwirtschaft in einer Krise. Das untergräbt letztlich auch die Position des US-Imperialismus. Militärisch wird er den Irakkrieg gewinnen, doch wie schnell und zu welchem Preis er sich militärisch durchsetzen kann ist eine andere Frage. Die Grenzen der US-Macht wurden an zwei Beispielen im letzten Jahr deutlich: dem gescheiterten (vom CIA mitorganisierten) Putschversuch gegen die Chávez-Regierung in Venezuela und der Tatsache, dass weder Osama bin Laden noch Mullah Omar gefasst wurden und der Großteil Afghanistans nicht unter der Kontrolle der USA, sondern der regionalen Warlords und Stammesfürsten steht.

Mafiaboss George W. Bush

Weitsichtigere Teile der US-Elite erkennen die unkalkulierbaren Folgen eines Angriffs auf den Irak und haben sich in den letzten Monaten wiederholt dagegen ausgesprochen. Doch Bush hat sich durchgesetzt und eine breite Unterstützung für seine Politik ist ihm im Kongress und Repräsentantenhaus sicher. Der Krieg wird sehr wahrscheinlich kommen. Die USA haben schwerwiegende ökonomische Interessen in der Golfregion und sie meinen, der Zeitpunkt sei günstig, um diese militärisch durchzusetzen. Die Folgen eines Angriffs sind unkalkulierbar: ein Flächenbrand im gesamten Nahen Osten ist nicht auszuschließen. In jedem Fall wird es eine massenhafte Stimmung gegen den US-Imperialismus und eine Antikriegsbewegung in der arabischen und muslimischen Welt geben, die auch islamisch-fundamentalistischen Kräften einen neuen Zulauf geben wird. Und auch in den westlichen kapitalistischen Staaten wird der Krieg auf massenhaften Widerstand stoßen, wie die Demonstrationen in Großbritannien und Italien schon gezeigt haben. Aber die Bush-Administration hat sich auch in ein Dilemma manövriert. Selbst wenn sie wollte, gäbe es kein Zurück mehr, zu sehr hat sich Bush aus dem Fenster gelehnt und den Sturz von Saddam als unausweichliches Ziel festgeschrieben.

In einem Kommentar der jungen Welt vom 28. Augsut 2002 stand treffend: „Angesichts der weltweiten Proteste gegen die US-Kriegspläne haben viele auf ein Einlenken der Bush-Regierung gehofft. Erwartungsgemäß wurden sie (…) enttäuscht. Schließlich steht die ‘Glaubwürdigkeit‘ der Bush-Regierung auf dem Spiel. Dieser bleibt gar nichts anderes übrig, als Krieg gegen Irak zu führen – im Rahmen der neuen Doktrin von Präventivschlägen, mit der die neue Weltordnung der Pax Americana durchgesetzt werden soll. Dazu gehört der Aufbau einer Drohkulisse. Falls das gewünschte Resultat trotzdem ausbleibt, erfordert die ‘Glaubwürdigkeit‘ die Anwendung militärischer Gewalt. Das weiß die Mafia ebenso gut, wie die amerikanische Regierung. Die kann sich ebenso wenig erlauben, ein widerspenstiges Land, das sich ihrer neuen Weltordnung nicht beugen will, ungeschoren davonkommen zu lassen, wie ein Mafiaboss einen ‘Kunden‘ laufen lassen kann, der sich weigert ‘Schutzgelder‘ zu zahlen. Würden in naher Zukunft sonst nicht alle anderen ‘Kunden‘ ebenfalls die Zahlung an die Mafia einstellen? (…)

Dass die irakische Regierung mit allen Nachbarländern derzeit besser denn je zurechtkommt und niemand gegen Bagdad in den Krieg ziehen möchte, nicht einmal die europäischen US-Verbündeten, macht einen Angriff Washingtons nur noch unausweichlicher. Wie würde ein Mafiaboss reagieren, wenn seine eigenen Bandenmitglieder sich weigerten, dem säumigen ‘Schutzgeldzahler‘ eine Lektion zu erteilen, weil die einen bereits mit dem ‘Schuldner‘ ihre privaten Geschäfte machen und die anderen das Unternehmen für zu gefährlich halten? Wenn der Mafiaboss in dieser Situation seinen Führungsanspruch in der Gangsterbande nicht verlieren will, dann muss er – notfalls ganz allein – dem widerspenstigen ‘Kunden‘ alle Knochen brechen.“

Die Rolle des Öls

Warum wollen die USA Krieg gegen den Irak führen? Natürlich ist Saddam ein Stachel im Fleisch des US-Imperialismus. Die bloße Existenz eines Regimes, das nicht nach der Pfeife der USA tanzt, ist eine Provokation und ein Zeichen von Schwäche und Verwundbarkeit des Imperialismus, oder zumindest der nicht uneingeschränkten Macht. Die Existenz des Saddam-Regimes ist ein potenzielles Beispiel für andere Staaten den USA die Gefolgschaft zu verweigern. Das allein ist ein hinreichender Grund für den US-Imperialismus einen Regimewechsel herbeizuführen. Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass dieses Regime in einer Region herrscht, die von unvergleichlichem Interesse für den Imperialismus ist. Der Grund für dieses Interesse und damit der eigentliche Grund für den angekündigten Krieg hat zwei Buchstaben: Öl. Öl ist der wichtigste Energieträger für die Weltwirtschaft und wird es in absehbare Zeit auch bleiben. Die USA sind in erheblichem Maße von Erdölimporten abhängig. Über 50 Prozent des in den USA verbrauchten Öls werden importiert. Aufgrund des steigenden Energieverbrauchs wird dieser Anteil bis zum Jahr 2020 wahrscheinlich auf zwei Drittel ansteigen. Die Ölversorgung und der Ölpreis haben unmittelbare Auswirkungen auf den Zustand der Weltwirtschaft. Die Erinnerung an das Ölembargo von 1973 bereitet den Kapitalisten immer noch schlaflose Nächte. Damals drehten die arabischen Staaten den Ölhahn zu und die Weltwirtschaft wurde schwer getroffen. Die Ölkrise war zwar nicht der Grund für die Weltwirtschaftsrezession, vertiefte diese aber deutlich. Nach einer ökonomischen Faustregel führt eine Erhöhung des Rohölpreises um zehn Dollar pro Barrel (159 Liter) zu einem Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung um bis zu 0,5 Prozent.

Die USA sind stark abhängig von der OPEC (Organisation erdölexportierender Länder), in der die Golfstaaten und einige andere der wichtigen Ölstaaten zusammengeschlossen sind und die faktisch die Rohölpreise bestimmen kann. Die beiden größten Öllieferanten an die USA sind Venezuela und Saudi-Arabien, beides OPEC-Länder und beides unsichere Kantonisten aus Sicht des Imperialismus. In Venezuela herrscht ein linkspopulistischer Präsident, der mit Fidel Castro sympathisiert und antiimperialistische Phrasen drischt. Das saudische Regime hat über viele Jahre sein Öl zu Vorzugspreisen an die USA verkauft, gerät aber immer mehr unter Druck der eigenen Bevölkerung. Ein Regimewechsel in Saudi-Arabien hin zu einem US-feindlichen fundamentalistischen Regime ist für die Zukunft nicht auszuschließen. Die US-Kapitalisten müssen also andere Optionen für die Ölversorgung ihrer Ökonomie in Betracht ziehen. Sie haben neue Förderprojekte in Alaska begonnen, haben Truppen in den zentralasiatischen Republiken stationiert, um den Zugang zum Öl im kaspischen Meer zu sichern und versuchen den Handel mit Russland auszuweiten. Doch all das kann die Ölversorgung der USA für die Zukunft nicht garantieren. Letztlich führt kein Weg vorbei an der Golfregion, denn hier lagern zwei Drittel aller bekannten Ölreserven. Und nicht nur das: die Förderkosten sind extrem niedrig und das Öl von besonders guter Qualität. Dementsprechend betonte der Nationale Energie Bericht der US-Regierung vom Mai 2001 auch, dass der Zugang zum Öl in der Golfregion eine hohe Priorität für die USA haben muss.

Nun gibt es keinen unmittelbaren Grund für einen Krieg, wie dies die Besetzung der kuwaitischen Ölfelder durch die irakische Armee 1990 war. Die USA nutzen die veränderte Lage nach dem 11. September 2001, um ihre mittelfristigen Interessen zu sichern. Und dazu kommt dem Irak eine besondere Rolle zu. Denn im Irak gibt es, nach Saudi-Arabien, die zweitgrößten bekannten Erdölreserven der Welt. Hier lagern mindestens 112 Milliarden Barrel Öl, während es in Russland „nur“ 49 Milliarden Barrel und im Kaspischen Meer 15 Milliarden Barrel sind. Außerdem gibt es im Irak die wahrscheinlich größten unerschlossenen Ölfelder der Welt, weitaus mehr als in Saudi-Arabien, dessen Ölvorkommen weitgehend bekannt und erschlossen sind. Der Irak ist wohl das einzige Land, das die Kapazität hätte, den Verlust der saudischen Ölproduktion aufzufangen. Aus Sicht des US-Imperialismus bedeutet die Kontrolle über die irakischen Ölfelder also eine größere Unabhängigkeit von Saudi-Arabien und Venezuela. Eine Kontrolle über die irakischen Ölfelder lässt sich für die USA aber nur durch den Sturz von Saddam erreichen. Das irakische Regime hat in den letzten Jahren eine Reihe von Vorverträgen mit französischen, russischen, chinesischen, italienischen, indischen und algerischen Konzernen zur Ausbeutung der Ölfelder abgeschlossen. Diese kommen größtenteils aufgrund des Wirtschaftsembargos bisher nicht zum Tragen. Amerikanische und britische Konzerne blieben außen vor. Der Irak betreibt seinen Ölhandel symbolisch in Euro. Die Sichtweise der USA ist klar: Saddam blockiert den Weg zum irakischen Öl. Gleichzeitig hat die irakische Opposition erklärt, dass sie sich nicht an diese Verträge gebunden sieht, wenn sie die Macht übernehmen sollte. Die Perspektiven nach einem Regimewechsel in Bagdad sind für den US-Kapitalismus verlockend: ein amerikafreundliches Regime könnte die Ölindustrie privatisieren, eventuell sogar aus der OPEC austreten und großen Druck auf den Ölpreis ausüben. Die Financial Times Deutschland hält einen Fall des Barrelpreises auf zehn Dollar für möglich, was faktisch das Ende der OPEC bedeuten würde.

Konflikte

Diese unterschiedliche wirtschaftliche Stellung der verschiedenen imperialistischen Mächte hinsichtlich des irakischen Öls bedeutet unterschiedliche Interessen und ist die materielle Basis für die Konflikte zwischen diesen Ländern und den USA über die Frage eines Angriffs auf den Irak. Die Herrschenden in Frankreich, Deutschland, Russland, China erkennen die unkalkulierbaren Folgen eines Krieges gegen den Irak. Dass sie diese Erkenntnis gewonnen haben und sie ihre Politik bestimmt basiert aber direkt auf den von den USA divergierenden ökonomischen und politischen Interessen. Auch hier behält Marx Recht: Das Sein schafft das Bewusstsein.

Für die anderen Staaten ist klar: gewinnen die USA den Krieg gegen den Irak, werden sie auch der alleinige ökonomische Sieger sein und die Ausbeutung der irakischen Ölfelder organisieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass die anderen imperialistischen Staaten ihre Opposition gegen einen Irak-Krieg aufrechterhalten müssen. Die ökonomischen und politischen Interessen sind komplex. Ökonomische Abhängigkeiten bestehen nicht zuletzt zu den USA. Russland will mehr Erdöl in die USA verkaufen und ein großer Teil der chinesischen Waren werden in die USA geliefert. Dazu kommt, dass die USA gerade unverhohlene Angebote an die Franzosen und Russen macht, an der Ausbeutung der irakischen Ölfelder nach einer Regimewechsel in Bagdad beteiligt zu werden. James Woolsley, ein früherer CIA-Direktor, sagte zum Beispiel: „Frankreich und Russland haben Ölfirmen und Interessen im Irak. Man sollte ihnen sagen, dass wenn sie behilflich sind eine vernünftige Regierung im Irak einzusetzen, wir unser Bestes geben werden, damit die neue Regierung und US-Unternehmen eng mit ihnen zusammen arbeiten werden.“

Der weitere Verlauf der Entwicklungen ist nicht vorher zu sehen. Der UN-Resolutionsentwurf der USA und Großbritanniens kommt einer Erpressung der irakischen Regierung gleich und erinnert an das Vertragswerk von Rambouillet, das den Angriff gegen Serbien legitimierte. Die Resolution ist für die irakische Regierung nicht annehmbar. Sie sieht unter anderem vor, dass die UN-Inspektoren von Militär begleitet werden, dass sie jederzeit Fahr- und Flugverbote im Irak verhängen dürfen und eine Zusammenarbeit mit den westlichen Geheimdiensten wird ebenfalls genehmigt. Die Akzeptanz dieser Resolution käme einer Aufgabe staatlicher Souveränität gleich. Das kann keine Regierung machen und das wissen Bush und Blair. Sie versuchen einen Vorwand für den Angriff auf den Irak zu konstruieren. Es ist möglich, dass die amerikanischen und britischen Imperialisten letztlich einem anderen Vorgehen in der UNO zustimmen werden, zum Beispiel dem Zwei-Stufen-Plan Frankreichs. Doch es können schnell Zwischenfälle provoziert werden, die dann einen Angriff legitimieren sollen. Wenn die Inspektoren einmal im Land sind, können sie behaupten die irakische Regierung kooperiere nicht oder sei nicht zur Vernichtung von Massenvernichtungswaffen bereit.

Solche „neuen Beweise“ können dann auch von der Bundesregierung genutzt werden, um ihre Haltung zu modifizieren. Die ablehnende Haltung Schröders drückt aus, dass die deutsche Kapitalistenklasse kein Interesse an diesem Krieg hat. Sie wollen auch keine Beteiligung deutscher Soldaten, weil für den deutschen Imperialismus in diesem Krieg nichts zu holen ist. Deutschland ist drittgrößter Handelspartner des Irak und würde lieber weiter in Ruhe Geschäfte mit Bagdad machen, als es zu bombardieren. Während die Bundesregierung im Afghanistan-Krieg noch ganz scharf darauf war, deutsche Soldaten zu entsenden, hat sie das diesmal nicht nötig. Die Entsendung deutscher Truppen auf den Balkan und nach Afghanistan waren wichtige Tabubrüche, um den weltweiten imperialistischen Anspruch Deutschlands zu unterstreichen und Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Normalität werden zu lassen. Das wurde erreicht. Dafür bedarf es keiner riskanten Mission in den Irak.

Schröder ist mit seiner grundsätzlichen Ablehnung eines Krieges gegen den Irak aus Sicht der deutschen Kapitalisten zu weit gegangen. Diese Haltung hatte wahltaktische Gründe. Stoibers Position kam den Interessen der Kapitalisten näher.

Auch wenn es wahrscheinlich nicht zur Entsendung deutscher Soldaten in den Irak kommen wird, werden Schröder und Fischer ihre bisherige Position im Falle eines Krieges kaum aufrecht erhalten können. Sie werden sich nicht gegen diesen Krieg stellen und die deutschen Truppen wahrscheinlich in Kuwait belassen, die logistische Nutzung der US-Militärstützpunkte in Deutschland und des deutschen Luftraumes zulassen und ggf. sogar die US-Armee auf dem Balkan oder in Afghanistan entlasten, damit diese sich auf den Irak-Feldzug konzentrieren kann.

Kriegsverlauf

Die Folgen eines Krieges sind genauso wenig exakt vorherzusagen, wie der Kriegsverlauf selber. Die USA werden diesen Krieg gewinnen. Die Frage ist nur: wie? Wie lange wird es dauern? Wie viele Opfer wird es geben? Wir groß werden die wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen sein, die der Krieg zwangsläufig auslösen wird?

Kriege werden nicht nur militärisch gewonnen. Das Bewusstsein in der Bevölkerung, der Kampfes- und Verteidigungswille, die soziale Basis der kämpfenden Mächte in ihrer eigenen Bevölkerung, die Moral der Truppe sind wichtige Faktoren für einen Kriegsverlauf.

Die irakische Armee ist zweifellos um ein Vielfaches stärker als die Taliban-Einheiten. Im Irak stehen Massen unter Waffen und die Armee verfügt über schweres Geschütz. Auch können die USA auf keine Bodentruppen zurückgreifen, wie sie die Nordallianz in Afghanistan darstellten. Der Krieg wird alles andere als ein Spaziergang für die US-Armee werden. Vor allem wenn es um die Einnahme von Städten geht, müssen die USA mit erheblichen eigenen Verlusten rechnen.

Andererseits ist die irakische Armee nur noch ein Schatten der Armee von 1991. Das Land liegt durch das zehnjährige Embargo am Boden, die Menschen sind verzweifelt und kämpfen um das tägliche Überleben. Das sind keine guten Voraussetzungen für Widerstand gegen den US-Angriff. Man kann zwar davon ausgehen, dass Saddam eine größere Unterstützung in der irakischen Bevölkerung genießt, als die Taliban in Afghanistan genossen. Aber ohne vor Ort zu sein, kann man Saddams soziale Basis kaum genau einschätzen. Der Hass auf die USA ist sicher groß, aber es könnten sich auch Stimmungen entwickeln, die sagen, dass Saddam ein Diktator ist und es dem Volk nach einem Regimewechsel besser gehen würde, weil dann die Sanktionen wegfielen.

Es ist nicht vorher zu sagen, wie lange der Krieg dauern wird. Es spricht aber einiges dafür, dass er länger dauern wird, als der Golfkrieg 1991 oder der Krieg gegen die Taliban im letzten Jahr.

Wirtschaftliche Folgen

Je länger der Krieg dauern wird, desto höher wird der Ölpreis steigen und desto tiefer würde die Weltwirtschaft in die nächste Rezession gezogen. Die bürgerlichen Zeitungen sind voll von Kommentaren, die verschiedenste Schreckensszenarien für die Weltwirtschaft entwerfen. So schrieb die FAZ: „Im ungünstigsten Szenario hingegen werden der Irak und vielleicht sogar, was nicht allein der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak befürchtet, der gesamte Nahe Osten in ein Chaos gestürzt. Der Ölfluss stoppte, die Ölmultis würden aus der Region vertrieben, und bei Preisen von 50 Dollar für ein Fass Öl stürzte die Weltwirtschaft in eine Rezession.“ Die Financial Times Deutschland führte aus, dass der Verlust des saudischen Öls den Rohölpreis auf 75 Dollar pro Barrel ansteigen lassen könnte, was wiederum die weltweite Wirtschaftsleistung zwei Prozentpunkte geringer ausfallen ließe.

Antikriegsbewegung

Die politischen Folgen eines Krieges gegen den Irak sind nicht abzuschätzen. Ein Flächenbrand im ganzen Nahen Osten, der Sturz der saudischen und ägyptischen Regierungen und eine Eskalation der Konfliktes zwischen Israel und Palästina bis hin zum Einsatz der Atombombe durch Israel sind nicht auszuschließen. Sicher wird es zu einer Massenbewegung der arabischen Bevölkerung kommen, die die Region in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Auch die westlichen imperialistischen Staaten werden von massenhaften Antikriegsbewegungen ergriffen werden. Wir stehen vor der größten Radikalisierung und Politisierung der Gesellschaft seit über zehn Jahren. Eine neue Generation von Jugendlichen wird sich aktivieren. Die Demonstrationen in Großbritannien und Italien der letzten Wochen waren nur ein Vorgeschmack auf das, was bevorsteht. Dies gilt umso mehr, sollte der Krieg länger dauern und viele Todesopfer fordern.

Kein Blut für Öl!

Der Krieg wird vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen den menschenverachtenden Charakter des Kapitalismus vor Augen führen. Zu offensichtlich ist die Tatsache, dass die Triebfeder dieses Krieges die Profitinteressen der Ölindustrie sind.

SozialistInnen wenden sich gegen diesen imperialistischen Krieg und beteiligen sich am Aufbau einer Bewegung, die diesen Krieg stoppen kann. Wir fordern:

– Nein zum Krieg – egal ob mit oder ohne UN-Mandat! Kein Blut für Öl!

– USA/NATO raus aus dem Nahen Osten

– Aufhebung der Sanktionen gegen das irakische Volk

– Schluss mit der Diktatur der Banken und Konzerne – Nein zu Kriegen für die Profite der Reichen

Dabei gilt der Widerstand nicht ausschließlich dem US-Imperialismus, sondern auch dem deutschen Imperialismus und Militarismus. Zentrale Forderungen einer Antikriegsbewegung sollten deshalb sein:

– Keine Hilfe für Bushs Krieg: Luftraum sperren, US-Militärbasen schließen, Rückzug aller deutschen Truppen aus Kuwait

– Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr

– Abrüstung statt Aufrüstung – für die Überführung der Rüstungsindustrie in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung. Umstellung der Produktion auf zivile Produkte.

Mit dem Krieg wird auch wieder die Propagandamaschine angeworfen und wir werden täglich über die Gräueltaten von Saddam Hussein informiert und die Gefahr, die von seinen Massenvernichtungswaffen ausgehen. Dabei wird nicht erwähnt werden, dass Saddam bis 1990 vom Westen unterstützt wurde. Saddam ist ein Diktator und er gehört gestürzt. Doch das ist die Aufgabe der arbeitenden Bevölkerung, der Bäuerinnen und Bauern und der Jugend im Irak. Nur sie können demokratische Rechte und sozialen Fortschritt erkämpfen. Der westliche Imperialismus wird im Irak ein abhängiges Regime einsetzen, welches nicht dem irakischen Volk, sondern den amerikanischen Ölkonzernen dienen wird. SozialistInnen stehen in diesem Krieg auf der Seite des irakischen Volkes, nicht auf der Seite des Saddam-Regimes. Dieses untergräbt durch seinen diktatorischen Charakter und die von ihm ausgeübte Ausbeutung des eigenen Volkes die Widerstandskraft gegen den US-Imperialismus. Der Sturz des Saddam-Regimes ist eine notwendige Voraussetzung, um den US-Angriff zurückzuschlagen. Der Krieg wird nur zu stoppen sein, wenn Massenbewegungen im Irak und der arabischen Welt mit Massenbewegungen in den USA und Europa zusammen kommen. Wir fordern:

– Für den Sturz des Saddam-Regimes und aller anderen Diktaturen

– Für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten

Der Krieg findet zu einer Zeit statt, in der die Weltwirtschaftskrise weltweit zu Betriebsschließungen, Arbeitsplatzvernichtung und Abbau von sozialen Rechten führt. Weltweit hat die Arbeiterklasse begonnen, sich zur Wehr zu setzen. Ob die Generalstreiks in Spanien und Italien, die Massenstreiks in Griechenland, Portugal und Großbritannien, der Widerstand gegen Privatisierungen in Frankreich oder die Streiks an den Häfen der Westküste der USA – das Jahr 2002 hat die Rückkehr des Klassenkampfes gebracht!

Während 200 Milliarden Dollar für diesen Krieg ausgegeben werden sollen und weltweit neue Rüstungsprojekte beschlossen werden, ist angeblich kein Geld da, um Löhne und Sozialstandards aufrecht zu erhalten. Der Kampf gegen das Abwälzen der Krise auf den Rücken der Arbeiterklasse muss verbunden werden mit dem Kampf gegen den Krieg. Die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften sind die Kraft, die einen Krieg stoppen kann. Mit Betriebsversammlungen, Massendemonstrationen und Streiks kann die Kriegsmaschine ins Stocken gebracht werden. Vor allem die Nachschubwege für das Militär müssen dabei aufs Korn genommen werden. Die Antikriegsbewegung muss deshalb an die Gewerkschaften herantreten und sich der sozialen Forderungen der Arbeiterklasse annehmen und erklären, dass der Kampf gegen Entlassungen und Lohnkürzungen und der Kampf gegen den Krieg zusammen geführt werden müssen. Die Gewerkschaften müssen aktiv zu den Demonstrationen gegen den Krieg mobilisieren. Ein internationaler Streik- und Protesttag gegen den Krieg würde massenhaft befolgt werden und wäre ein größeres Problem für Bush und Blair als jede UN-Resolution Frankreichs oder Presseerklärung Schröders.

Sascha Stanicic

9.10.2002