Was der Wahlausgang der Bundestagswahl 2002 für ArbeiterInnen und Jugendliche bedeutet
Die Verlierer der Bundestagswahl standen schon lange vor dem 22. September fest. Für ArbeiterInnen, Jugendliche und sozial Benachteiligte blieb mit Rot-Grün und Schwarz-Gelb nur die Alternative zwischen Pest und Cholera. Rentendeform, Atombeschiss, Kriegsbeteiligung ? vier Jahre Rot-Grün machten es möglich, dass Stoiber als besonders reaktionärer Vertreter des bürgerlichen Lagers überhaupt eine Chance hatte.
von Aron Amm, Berlin
SPD und Grüne haben nach 1998 da weitergemacht, wo Kohl aufgehört hatte. Deshalb wurde die Wahl zur Qual für die arbeitende Bevölkerung. Erst in letzter Sekunde kam die rot-grüne Bundesregierung mit einem blauen Auge davon, weil ein größerer Teil von ArbeiterInnen und Jugendlichen eine Neuauflage einer CSU/CDU-geführten Regierung dann doch verhindern wollte.
Das Ausbleiben des ?Politikwechsels? nach dem Regierungwechsel führte aber dazu, dass die SPD zwei Prozent weniger bekam. Das sind recht begrenzte Verluste, die nur möglich wurden, weil in den Wochen vor dem Wahltermin neben der sozialen Frage Schröders Äußerungen zu einem drohenden Irak-Krieg in den Vordergrund traten.
Nachdem die Grünen während der letzten Legislaturperiode mehr als ein Dutzend Wahlen in Folge erheblich Federn lassen mussten, konnten sie sich um knapp zwei Prozent auf 8,6 Prozent verbessern. Profitieren konnten sie überwiegend von taktischen Überlegungen derjenigen, die keine große und keine Koalition der SPD mit der FDP wollten. Zum einen gab es unterm Strich eine halbe Million Wählerwanderungen von der SPD zu den Grünen, zum anderen entschieden sich viele für einen Splittung der Stimmen: Erststimme SPD, Zweitstimme Grüne.
Das Debakel der PDS, bedeutet einen Rückschlag für die Linke und die Arbeiterbewegung. Allerdings scheiterte die PDS nicht mit einer linken Politik, sondern mit einem Anbiederungskurs an das Establishment und an Schröder, dessen Wiederwahl sie erklärtermaßen nicht im Wege stehen wollte (siehe Standpunkt).
Entfremdung
Bürgerliche Medien und etablierte Parteien taten alles, den Wahlkampf in eine Personality-Show umzuwandeln: Ob TV-Duelle oder in Jubelveranstaltungen umfunktionierte Parteitage. Die bundesdeutsche Parteienlandschaft nähert sich rapide dem US-System an: zwei große kapitalistische Parteien, direkt abhängig von Industrie und Sponsoren, von denen die eine etwas bessere Beziehungen zu den Gewerkschaften unterhält, und das Fehlen einer gut verankerten Arbeiterpartei auf nationaler Ebene.
Diese Entwicklungen sind die tiefere Ursache für die weitverbreitete Entfremdung vom Establishment und dem dramatischen Rückgang von StammwählerInnen.
Einhalt geboten
CDU und CSU verkauften das Abschneiden am Wahlabend als einen Umschwung von der SPD zur Union, der in letzter Sekunde angeblich nur auf Grund des Möllemann-Faktors nicht zum Kanzler- und Regierungswechsel reichte.
Richtig ist, dass Möllemanns rechtspopulistisches Schielen nach Österreich, Dänemark und den Niederlanden der FDP schadete. Falsch ist, dass die CDU zu den Gewinnern gehört. Gewonnen hat nur die CSU mit ihren knapp 60 Prozent in Bayern, die CDU stagnierte gegenüber 1998.
Angetreten war Stoiber, um die Politik nach rechts zu drücken. Doch schon im Wahlkampf bekam er zu spüren, dass die Mehrheit der Lohnabhängigen eine weitere Rechtsverschiebung nicht mitmachen will. Die Unternehmerschaft, die große Hoffnungen in eine Überwindung des ?Reformstaus? (sprich eine beschleunigte Zerschlagung der Überbleibsel des ?Sozialstaates?) durch Stoiber setzten, zeigten sich bald enttäuscht angesichts Stoibers populistischen Zickzackkurs.
Die rechtsextremen Parteien fielen von zusammen 4,4 Prozent (Reps, DVU, NPD, Bund Freier Bürger und Pro-D-Mark) 1998 auf 1,8 Prozent (Reps, NPD und Schill) 2002 ab. Der Rückgang ist mit darauf zurück zu führen, dass Stoiber potenzielle Wähler rechtsextremer Kräfte binden konnte.
<zwischen1>Keine ruhigen Zeiten für Schröder
<text_times>Die Rogowskis, Stihls und Hundts (Vertreter der Arbeitgeber) haben unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie den Druck auf die neue rot-grüne Bundesregierung forcieren wollen, um die Krise ihres Wirtschaftssystems auf dem Rücken der Beschäftigten und Erwerbslosen auszutragen. Rot-Grün wird sich in der anstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst und mit den nächsten Privatisierungsschritten des Gesundheitssystems schnell wieder als Diener des Kapitals erweisen. Schon in den nächsten Monaten droht darüber hinaus ein neues ?Sparpaket?, wenn das Haushaltsdefizit im Zuge von Rezession und Unternehmergeschenken die Drei-Prozent-Grenze (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) übertreffen sollte.
Zusammen mit dem drohenden Anstieg der Arbeitslosigkeit aufgrund der Massenentlassungen steht die rot-grüne Regierung vor keineswegs ruhigen oder stabilen Zeiten. Die Rekordzeit, in der SPD und Grüne nach der Wahl 98 in die Krise rutschen, könnte jetzt zumindest eingeholt werden.
Nach 16 Jahren Kohlregierung bestanden vor vier Jahren keine überschwenglichen Hoffnungen jedoch gewisse Erwartungen in Rot-Grün. Die Schonfrist für die Neuauflage der rot-grünen Bundesregierung wird noch kürzer sein. Da nicht nur SPD und Grüne, sondern sogar die PDS an die Futtertröge des Kapitals drängen, muss die Organisierung von Gegenwehr einher gehen mit Diskussionen über den Aufbau einer neuen politischen Interessenvertretung für die Arbeiterklasse als Alternative zum etablierten Einheitsbrei und zum kapitalistischen Krisenmanagement.
Die Ausgangslage ist durch den Wahlausgang, der SPD und Grüne zwingt, weiter Farbe zu bekennen, dafür günstiger.
Arom Amm ist Mitglied der Bundesleitung der SAV