Revolutionär und Internationalist: Weltweit gegen Ausbeutung und Unterdrückung
von Tony Saunois
Vorwort
Diese Broschüre erschien erstmals 1997 zu Ches 30. Todestag auf englisch. Die Zahl von Menschen, die sich auf Che beziehen, die Kapitalismus, Ausbeutung und Krieg nicht einfach hinnehmen, die für eine sozialistische Alternative eintreten, hat seither weiter zugenommen. Gerade in der globalen Protestbewegung werden Themen wieder diskutiert, die auch zu Zeiten von Che von zentraler Bedeutung waren: „Wie die Herrschaft des Imperialismus bekämpfen?“ und „Wer kann diesen Kampf gewinnen?“. Che, bleibt als Held, als Kämpfer und als Internationalist ein Symbol. Daran kann auch die gleichzeitig stattfindende Vermarktung nichts ändern: Große Kleiderketten, die Che-T-Shirts verkaufen und gleichzeitig in Sweatshops produzieren lassen, Che als Zigarettenmarke, Che weil er chic ist? Ches revolutionärer und internationalistischer Geist ist mit dieser Kommerzialisierung unvereinbar. Diese Broschüre soll mithelfen, Che in all seinen Widersprüchen zu verstehen, sein Leben und seinen Kampf einzuordnen und Mut machen, den Kampf auch hier und heute aufzunehmen. Im Anhang ein Text zur Situation von Kuba heute. Wir bedanken uns bei Tony Sanois vom Komitee für eine ArbeiterInneninternationale KAI/CWI für die Erstellung dieser Broschüre, sowie bei den GenossInnen der SAV-Stuttgart für die Übersetzung.
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Che Guevara – Revolutionär und Internationalist: Weltweit gegen Ausbeutung und Unterdrückung
von Tony Saunois, September 1997
Um des 30sten Jahrestages seiner Ermordung zu gedenken wurden 1996/97 zahlreiche Bücher, Broschüren und Artikel diverser AutorInnen über Ernesto Guevara veröffentlicht. Auf der ganzen Welt war er einfach als „Che“ bekannt. Diesen Spitznamen erhielt er von FreundInnen und KampfgenossInnen in den 50er Jahren in Mexiko. „Che“ war in Argentinien – seinem Heimatland – ein gängiger Begriff. Nun tragen Jugendliche in Lateinamerika und Europa Che T-Shirts und hängen Poster mit seinem Bild auf. Ein paar zynische und oberflächliche JournalistInnen, die ganz im Sinne der KapitalistInnen schreiben, haben versucht, dieses wiedererwachte Interesse an Che abzutun. Aber sie liegen falsch, wenn sie versuchen so zu tun, als ob es nur um die Sehnsucht nach den „freizügigen 60er-Jahren“ ginge. Viele Jugendliche haben zweifellos ein romantisches Bild von Che dem „Rebellen“, viele identifizieren sich auch mit diesem Bild.
Wichtiger ist aber, dass das wiedererwachte Interesse an Che Guevara jene Anziehungskraft widerspiegelt, die er immer schon für die hatte, die nach einem Weg suchen, die Gesellschaft zu verändern und der Ausbeutung durch Kapitalismus und Imperialismus ein Ende zu setzen. Che und Kuba werden von vielen als ein Symbol des Widerstandes gesehen. In der breiten Unterstützung für Che Guevara durch eine neue Generation zeigt sich der Beginn einer Suche nach revolutionär-sozialistischen Ideen, die eine echte Alternative zum Kapitalismus darstellen.
Warum hat nun das CWI eine weitere Broschüre über Che und Kuba erstellt, wenn schon so viel geschrieben wurde? Abgesehen von den zynischen und gelegentlich schnoddrigen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften wurden auch ein paar ernst zu nehmende Bücher und Biographien produziert. Che Guevara – A Revolutionary Life (Che Guevara – ein revolutionäres Leben) vom US-Journalisten und Autor Jon Lee Anderson ist eine gut recherchierte und unterhaltsame Biographie. Das gilt auch für Ernesto Guevara tambien conocido come El Che (Ernesto Guevara auch bekannt als El Che) vom mexikanischen Autor Paco Ignacio Taibo (nur auf spanisch erhältlich).
Trotz der umfangreichen Forschung und Untersuchung, die solche AutorInnen unternommen haben, fehlt ihrer Arbeit jedoch zwangsläufig etwas. Sie ziehen aus Ches Beitrag zur revolutionären Bewegung keine politische Bilanz die den heutigen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus unterstützen kann. Diese Aufgabe können solche AutorInnen, auch wenn sie einen wertvollen Beitrag zur Aufzeichnung der Geschichte leisten, aber nicht erfüllen. Der Grund dafür ist einfach. Sie sind keine aktiven TeilnehmerInnen am Kampf zum Sturz des Kapitalismus und seiner Ersetzung durch Sozialismus.
Das CWI hat diese Broschüre über Che und die Kubanische Revolution von 1959 auch deshalb erstellt, um den Aufbau einer internationalen revolutionären sozialistischen Organisation zu unterstützen. Einer Organisation, die in der Lage sein wird, Kapitalismus und Imperialismus zu besiegen. Die Geschichte wiederholt sich nie in genau der gleiche Weise. Aber wenn wir erfolgreich sein wollen, so gibt es doch wichtige Lehren aus früheren Kämpfen und Revolutionen, die heute von denjenigen gezogen werden müssen, die für Sozialismus kämpfen. Deshalb wurde diese Broschüre zu eben diesem Zeitpunkt erstellt. Die kubanische Revolution und besonders Ches Beitrag für sie, bietet viele Lehren für den Kampf gegen Ausbeutung. Für einen Kampf, der heute vor allem in Lateinamerika, Afrika, Asien und im Nahen Osten stattfindet.
Um solch eine Bilanz zu ziehen ist es notwendig, nicht nur den geschichtlichen Ereignissen zu folgen, sondern die von den beteiligten zentralen Figuren befürworteten Ideen und Methoden zu diskutieren. Diese Broschüre ist ein Beitrag zur Diskussion über die Erfahrungen, Ideen und Kampfmethoden, die sich während der kubanischen Revolution, in der Che eine führende Rolle spielte, entwickelten. Folglich strebt diese Broschüre keine vollständige persönliche Biographie von Ches Leben an. Viele Gesichtspunkte seines Lebens (einschließlich seiner zwei Ehen) werden nicht behandelt. Gleichwohl tragen solche persönlichen Lebensumstände viel zur Charakterbildung jedes Menschen bei und haben auf seine/ihre politische Entwicklung Auswirkungen. Es war auch nicht möglich, alle historischen Ereignisse, die stattfanden und an denen Che teilnahm, vollständig darzustellen. Die LeserInnen werden für solche Informationen andere Biographien und Arbeiten über Kuba, Che und die kubanische Revolution studieren müssen.
Anlässlich des dreißigsten Jahrestages seines Todes ist es richtig, sich den heldenhaften und aufopfernden Kampf in Erinnerung zu rufen, den Che gegen Kapitalismus und Imperialismus geführt hat. Er war ein erbitterter Gegner der kapitalistischen Ausbeutung und bekämpfte sie. Es waren v.a. seine eigenen Erfahrungen, die ihn zum Sozialismus brachten und seine Sehnsucht, international dessen Sieg zu erleben, war eine starke Motivation für ihn. Anfänglich sah er die UdSSR und Osteuropa als alternative sozialistische Gesellschaften. Er tat das „aus der Entfernung“. Später fühlte er sich durch seine eigenen, unmittelbaren Erfahrung von den bürokratischen Regimen, die im Namen des Sozialismus herrschten, abgestossen.
Seit Mitte seiner 30er hatte er sich dem Leben eine Revolutionärs verpflichtet, im Alter von 39 Jahren kostete ihm der Kampf für die internationale Revolution das Leben. Er führte durch sein Vorbild und war ein nicht korrumpierbarer Internationalist. Es sind diese Eigenschaften, die ihn auch heute noch zu einem Symbol des Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung machen.
Guerillataktik
Vom Standpunkt eines umfassenden marxistischen Verständnisses aus waren seine Ideen allerdings nicht völlig ausgereift. Insbesondere seine Ideen zur Guerillataktik hatten auf die kubanische Revolution und die daraus v.a. in Lateinamerika folgenden Ereignisse, eine entscheidende Wirkung. Er hielt dies für eine in ganz Lateinamerika zu übernehmende Kampfmethode und stellte sie so in das Zentrum der Diskussion der revolutionär-sozialistischen Bewegung auf diesem Kontinent und darüber hinaus. Weil diese Ideen Ches auch für den heutigen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus wichtige Lehren bieten, werden sie in dieser Broschüre diskutiert. Che entwickelte auch andere Ideen, die sich auf die Wirtschaft bezogen und das was er „Sozialismus und den neuen Menschen“ nannte. Dabei steht die Frage im Zentrum, wie die Haltung der Menschen gegenüber der Gesellschaft nach dem Sturz des Kapitalismus entwickelt werden könnte. Diese Arbeiten spiegeln einige jener Themen wider, mit denen er sich nach der Revolution 1959 befassen musste. Aus Platzgründen ist es nicht möglich, sie in dieser Broschüre zu diskutieren.
Bei der Betrachtung von Ches Leben zeigt sich, dass sich seine Ideen über längere Zeit entwickelten und oft das Ergebnis seiner eigenen Erfahrungen waren. Da er im verhältnismäßig jungen Alter von 39 starb, ist klar, dass er zum Zeitpunkt seines Todes seine Ideen immer noch entwickelte. In dieser Hinsicht gibt es gewisse Parallelen zwischen Che, Malcolm X und George Jackson in den USA.
Angesichts der schwierigen Lage auf Kuba und der erschreckenden Situation, die er bei seinen Besuchen hinter dem „Eisernen Vorhang“ in der UdSSR und Osteuropa erlebte, schien er nach einer Alternative zu suchen und begann sich mit neuen Ideen zu befassen. So begann er ein paar Jahre vor seinem Tod Schriften von Trotzkis zu lesen. Wir können nur spekulieren: hätte er, wenn er das Studium von Trotzkis Ideen fortgesetzt hätte, diese übernommen? 1964 war er in Moskau und nahm an den Feierlichkeiten zum 47. Jahrestag der Russischen Revolution teil. Während seinem Besuch protestierte er nicht nur gegen den Lebensstil der russischen Beamten, sondern argumentierte auch, dass aus ökonomischer Sicht „…die Sowjets in einer wirtschaftlichen Sackgasse sind, beherrscht durch die Bürokratie“.
Zu jener Zeit gab sich die bürokratische Kaste in China international ein „radikaleres” Image, um nach dem Bruch, der zwischen ihr und der Bürokratie der UdSSR stattgefunden hatte, Unterstützung zu gewinnen. Dieser Bruch war Ergebnis des Konflikts beschränkter nationaler Interessen zwischen den Regimen. Da sie sich in dieser Periode „radikalere“ präsentierte und auch aufgrund des Sieges der BäuerInnenarmee 1949, fühlte sich Che zur chinesischen Bürokratie hingezogen. Seine eigenen Analyse schien bestätigt. In Moskau wurde er dafür als „prochinesisch“ beschimpft. Dadurch, dass er auch begann, sich intensiver mit den Ideen von Leo Trotzki zu beschäftigen. wurde er zusätzlich noch als „Trotzkist“ angegriffen.
Bei einem Treffen mit kubanischen StudentInnen in der kubanischen Botschaft bezog er sich auf diese, ihm bekannten, Vorwürfe. Dieser Vorfall ist in Paco Ignacio Talibos Biographie wiedergegeben. Che kommentierte: „…Ich habe Meinungen ausgedrückt, die der chinesischen Seite näher sein könnten… und auch solche sind aufgekommen, die mit dem Trotzkismus vermengt sind. Sie sagen, dass sowohl die Chinesen Fraktionsmacher seien als auch die Trotzkisten und ich.“ Er fuhr fort: „Ansichten, die mit Knüppeln zerstört werden müssen, sind Ansichten, die uns Vorteile bringen. Es ist nicht möglich, Ansichten mit Knüppeln zu zerstören und es ist gerade das, was die Wurzel der Intelligenz ist… es ist klar, dass man aus Trotzkis Gedanken eine Reihe von Dingen gewinnen kann.“
Trotzkismus
Welche Schlussfolgerungen Che aus dem Lesen von Trotzkis Schriften zog wissen wir nicht und er setzte sich auch nicht für Ideen ein, die sich aus einer Übernahme des Trotzkismus ergeben hätten. Er fuhr jedoch mit ihrem weiteren Studium fort. Kurz vor seinem Tod 1967 gab ihm der französische Intellektuelle Regis Debray, der damals in Bolivien war und mit Trotzkis GenossInnen zusammenarbeitete, einige Bücher von Trotzki. Damals schaffte es die Hauptströmung des Trotzkismus nicht, eine offene politische Debatte zu führen. Das wäre notwendig gewesen, um Che bei der Entwicklung vollständig ausgearbeiteter Ideen zur sozialistischen Revolution zu helfen. Stattdessen unterstützten und förderten sie lediglich die von ihm befürwortete Guerillataktik und unterstützten Fidel Castros Regime.
Diese Linie wurde damals von einigen innerhalb der trotzkistischen Bewegung bekämpft – darunter auch die kleinen Kräfte, die in Britannien in Militant (jetzt Socialist Party) organisiert waren und später das Komitee für eine ArbeiterInneninternationale (Committee for a Workers“ International, CWI) gründeten. Die Mitglieder von Militant begrüßten 1960, zur Zeit der stürmischen Ereignisse auf Kuba, begeistert die Revolution und den Sturz Batistas. Sie erklärten aber auch den Charakter des neuen, sich entwickelnden Regimes und wiesen auf die Notwendigkeit hin, sich auf die ArbeiterInnenklasse zu stützen, um die Revolution in ganz Lateinamerika voranzutreiben. Später erklärte Peter Taaffe in der britischen Zeitung Militant (Ausgabe 390) die Prozesse, die sich auf Kuba entwickelt hatten. „Castro und Guevara stützten sich auf die BäuerInnen und die ländliche Bevölkerung. Die ArbeiterInnenklasse trat erst durch den Generalstreik in Havanna in den Kampf ein, als die Guerillas schon triumphiert hatten und Batista um sein Leben lief.“ Indem er erklärte, wie die ländliche Basis den ganzen Charakter der Bewegung gestaltete, fuhr er mit der Skizzierung fort, wie sich die Revolution entfaltete und mit der Abschaffung des Kapitalismus und des Privateigentums der Großgrundbesitz an Land endete, aber „wegen der beteiligten Kräfte – einer überwiegend bäuerlichen Armee“ dem neuen Regime bewusste demokratische Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft durch die ArbeiterInnenklasse fehlte.
Auch wenn er auf seiner Suche nach einer Alternative auf ein paar von Trotzkis Ideen stieß, übernahm Che leider nicht die alternativen Ideen und Methoden des Trotzkismus. Trotzdem waren seine Taten ausreichend, um eine Reaktion im Kreml und darüberhinaus hervorzurufen. In Kuba und unter den lateinamerikanischen Massen war Che ein Held, dessen revolutionärem Beispiel nachgeeifert werden sollte. Von den herrschenden Kreisen der Bürokratie in Moskau wurde er als „ein Abenteurer“, als „prochinesisch“ und – am allerschlimmsten – als ein „Trotzkist“ angegriffen. Die herrschende Klasse der kapitalistischen Länder hasste alles, was er verteidigte und für das er kämpfte.
Ein Anfang als Boheme
Vielleicht ist es für einen Argentinier passend, eine Yerba-Mate-Teeplantage zu besitzen, wie sie Ernesto Guevara Lynch im abgelegenen Dschungel von Misiones an der Grenze zu Paraguay und Brasilien hatte. ChilenInnen sind berühmt dafür Tee zu trinken und BrasilianerInnen dafür Kaffee zu trinken. Die ArgentinierInnen konsumieren den ganzen Tag ein bitteres Kraut, während sie arbeiten oder sich mit Freunden entspannen.
Ernesto Guevara Lynch war der Urenkel von einem der reichsten Männern Südamerikas, desen Vorfahren sowohl spanische als auch irische Adlige waren. Frühere Generationen hatten den Großteil des Familienvermögens verloren und so investierte Guevara Lynch das was er hatte in die Yerba-Mate-Teeplantage, mit der er hoffte sein Glück zu machen. 1927 traf und heiratete er Celia de la Serna, eine Argentinierin, die ebenfalls Vorfahren im spanischen Adel hatte. Das erste der vier Kinder, Ernesto, wurde als der weltberühmte Revolutionär Che Guevara bekannt. Es passt für einen Revolutionär, der den Großteil seines Lebens im Untergrund verbrachte, dass seine Geburts- und Sterbeurkunde gefälscht wurden.
Denn tatsächlich war Ernesto einen Monat vor dem 14. Juni 1928, der in seiner Geburtsurkunde stand, geboren worden. Die Täuschung war notwendig, weil seine Mutter an ihrem Hochzeitstag im 3. Monat schwanger war. Am 8. Oktober 1967 wurde Che in Bolivien von der Central Intelligence Agency (CIA) der Vereinigten Staaten und der bolivianischen Armee hingerichtet. 30 Jahre nach seiner Hinrichtung lebt der Name Che Guevara in ganz Lateinamerika und darüber hinaus weiter. Er hat eine großartige Tradition als Internationalist und aufopfernder Revolutionär hinterlassen und steht als ein Symbol für den Kampf gegen Ausbeutung das heute noch und wieder begeistert.
Anlässlich des 30sten Jahrestages seiner Hinrichtung ist es angemessen, wenn RevolutionärInnen Ches auch als Symbol des Kampfes gegen Unterdrückung gedenken und die heroische Rolle anerkennen, die er in der kubanischen Revolution 1959 spielte. Der Guerillakampf, der sich hauptsächlich auf die unterdrücktesten BäuerInnen auf Kuba stützte, endete mit dem Sturz der verhassten Batista-Diktatur. Dies war auf Grund der konkreten Lage auf Kuba und in anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik möglich. Es war Che jedoch nicht möglich, die Erfahrung der Revolution in jenen Ländern Lateinamerikas zu wiederholen wo andere Bedingungen herrschten – vor allem eine mächtigere städtische und eine kleinere ländliche Bevölkerung als in Mittelamerika. Der Versuch Ches, die selben Methoden anzuwenden, die er auf Kuba benutzte, wirft wichtige Fragen zu seinen Ideen und Methoden auf, die von revolutionären SozialistInnen diskutiert und analysiert werden müssen.
Seine Herkunft
Che kam nicht auf direktem Weg zu politischer Arbeit. Durch seine Herkunft aus der Mittelschicht und sein Mitleid für Arme und Kranke fühlte er sich ursprünglich zur Medizin hingezogen und machte 1953 seinen Doktor an der Medizinischen Fakultät in Buenos Aires. Seine Familie war aus Misiones in Cordoba weggezogen – teilweise aus geschäftlichen Gründen, teilweise war es auch der Versuch, Ches chronischem Asthma durch einen Klimawechsel beizukommen. Letzlich zogen sie nach Buenos Aires, wo sich seine Eltern schließlich trennten. Das Asthma verfolgte Che sein ganzes Leben lang. Die Einschränkungen aufgrund der Krankheit machen die Guerillakämpfe, an denen er sich schließlich beteiligte, um so bemerkenswerter.
Sein Handicap hatte, wie es oft der Fall ist, Einfluss auf die frühe Entwicklung Ches. Er konnte oft nicht gehen, war ans Bett gefesselt und entwickelte so ein großes Interesse am Lesen und Schachspiel. Er war zwar entschlossen, seine Behinderungen zu überwinden und bestand darauf, Sport zu machen. Dennoch wurde er durch sie eher ein Einzelgänger, der einen großen Teil seiner Zeit mit Lesen und Lernen verbrachte. Das wurde durch die Trennung seiner Eltern, den Tod seiner Großmutter und die finanziellen Probleme, vor denen seine Familie nun stand, verstärkt. An der Universität wurde Che zunehmend mit politischerer Lektüre konfrontiert, auch wenn er am politischen Leben nicht aktiv teilnahm. Er begann, sich in sozialistische Ideen zu vertiefen. Nach seiner eigenen Erinnerung studierte er etwas Marx, Engels, Lenin und auch Material von Stalin. Er las die Romanautoren Zola, Jack London und argentinische Sozialisten wie Alfredo Palacios. Seine Liebe zur Dichtung wurde unter anderem durch die Werke des chilenischen Schriftstellers und Mitglieds der Kommunistischen Partei Pablo Neruda und den Dichter Lorca aus dem spanischen Bürgerkrieg befriedigt.
Aber trotz seiner erwachten Neugierde auf sozialistische Ideen, nahm er, abgesehen von Diskussionen mit einigen Mitgliedern der Kommunistischen Jugend und anderer linker Gruppen, nie an politischer Tätigkeit teil. Es wird berichtet, dass er der Perónistischen Jugend, einer populistischen und nationalistischen argentinischen Bewegung unter der Führung von General Perón, beitrat um sich leichteren Zugang zur Universitätsbücherei zu verschaffen.
Von denen, die er traf, wurde er als radikal und freimütig wahrgenommen. Jedoch hatte er keine schlüssigen und ausgearbeiteten Ideen. Auch als Marxist betrachtete er sich sicherlich noch nicht. Sein Hauptziel war immer noch, Arzt zu werden, um den Kranken und Armen helfen zu können. Gleichzeitig regte sich in ihm jedoch die Reisesehnsucht. Anfänglich reiste er innerhalb Argentiniens, später zwei Mal quer durch Lateinamerika und darüber hinaus.
Entdeckungsreisen
Die Erfahrungen, die er während seiner Odyssee machte, änderten seine Auffassung darüber, was zur Beendigung von Armut und Unterdrückung notwendig wären. Was er auf diesen Reisen erlebte, überzeugte ihn von sozialistische Ideen. Ches erste wirkliche Reise war 1950, als er einen großen Teil Argentiniens durchreiste. Zum ersten mal erlebte er die massive soziale Ungleichheit, die es im Land gab. Natürlich hatte er in Buenos Aires schon vorher Armut gesehen, aber erstmals wurde deutlich, dass im Großteil Südamerikas zwei Welten existieren. Buenos Aires war in Kultur und Lebensstil eine der europäischsten südamerikanischen Städte.
Während dieser Reise kam er in die rückständigen und vernachlässigten Zentren von Argentinien. Er besuchte Krankenhäuser und kam in Kontakt mit den am meisten unterdrückten Armen vom Lande. Aber noch sah er das meiste durch die Augen eines angehenden Arztes. Che Schlussfolgerung aus diesen Erfahrungen war, dass die moderne argentinische Nation ein „luxuriöse Fassade“ sei, unter der die wirkliche „Seele“ liege. Eine Seele, die morsch und krank war.
Ches erste internationale Reise fand 1952 statt, die zweite 1953/54. Die Auswirkungen dieser Reisen waren größer und änderten letztlich die Richtung seines ganzen Lebens. Besonders seine zweite Odyssee durch den ganzen Kontinent hatte großen Einfluss auf sein späteres Leben. Niemand kann den Folgen mächtiger sozialer Erhebungen und Kämpfe entgehen. Manchen Menschen, besonders, wenn sie aus der Mittelschicht kommen, reicht es, solche Ereignisse zu beobachten. Andere jedoch werden immer stärker in die großen sozialen Ereignissen und die Kämpfen zwischen den verschiedenen Klassen hineingezogen. Am Anfang seiner Reise beschränkte sich Che Guevara darauf die Rolle eines Beobachters zu spielen. Doch immer stärker und stärker wurde er in den revolutionären Kampf, der ihn schließlich das Leben kostete, hineingezogen.
Zu Beginn der Reise interessierten sich er und sein Reisegefährte Alberto eher dafür, sich ein schönes Leben zu machen und medizinische Erfahrung zu sammeln, indem sie auf einer Harley Davidson durch Südamerika fuhren. Ches kürzlich veröffentlichte Motorradtagebücher bieten dafür mehr als reichlich Beispiele. Saufgelage, romantische Begegnungen und andere „Jugendabenteuer“ standen bei der Reise über den Kontinent im Vordergrund. Gleich nach dem Grenzübertritt nach Chile gaben sie sich als Lepraärzte aus. Die Lokalzeitungen der Städte und Dörfer, durch die sie kamen, berichteten sogar über die Reise der beiden jungen Abenteurer. Die Regionalzeitung von Temuco titelte „Zwei argentinische Lepraexperten reisen auf einem Motorrad durch Südamerika“. Häufig mussten sie aus Städten und Dörfern fliehen, weil sie sich den Zorn der BäuerInnen und besonders den Zorn von Vätern attraktiver Töchter zugezogen hatten. Während dieser ersten Reise führte Che das weitgehend sorglose Leben eines Bohemien, für das er als Student in Buenos Aires bekannt war. Dieser Lebensstil wurde durch den verhältnismäßig großen Reichtum seiner, aus der Mittelschicht kommenden, Familie um so leichter. Gleichzeitig spiegelte dieser Lebensstil auch den unabhängigen Geist wider, der seien Charakter kennzeichnete.
Auch wenn dieser Aspekt der Reise das vorherrschende Merkmal in seinem Tagebuch bildet, so beeinflussten ihn doch auch andere Erfahrungen. Die Armut und die Lebensbedingungen, mit denen er konfrontiert war erweckten ein im Keim vorhandenes soziales Bewusstsein immer mehr. Ches Wut auf die Gleichgültigkeit, die die herrschende Klasse gegenüber den Armen zeigte, wurde während dieser Reisen angeheizt. Während Che im chilenischen Hafen Valparaiso Station machte, wurde er gebeten, einer alten Frau mit seinen medizinischen Kenntnissen zu helfen, die, wie es hieß, wegen chronischem Asthma und schwachem Herzen im Sterben lag. Er konnte wenig für sie tun, aber die Erfahrung, sie inmitten von Armut zu behandeln, hinterließ offenkundig ihre Spuren.
Später schrieb er: „Dort, in den letzten Lebensaugenblicken derjenigen Menschen, deren weitester Horizont immer morgen ist, sieht man die Tragödie, die das Leben des Proletariats der ganzen Welt ausmacht; in diesen sterbenden Augen gibt es eine unterwürfige Rechtfertigung und häufig auch ein verzweifeltes Verlangen nach Trost, das in der Leere verlorengeht, so wie ihr Körper bald in der Größe des uns umgebenden Elends verlorengehen wird. Wie lange diese, auf einem absurden System von Kasten beruhende Ordnung der Dinge bestehen bleiben wird, vermag ich nicht zu sagen. Aber es ist höchste Zeit, dass die Regierenden weniger Zeit zur Propagierung ihres Mitleid haben und viel, sehr viel mehr Geld für sozial nützliche Dinge verwenden.“
BergarbeiterInnenkampf
Als Che und sein Reisegefährte nicht wie beabsichtigt ein Schiff zur Osterinsel bekamen, wandten sie sich nordwärts, wo sie schließlich in Chuquicamata, dem weltgrößten Tagebau-Kupferbergwerk, ankamen. „Chuqui“, wie es in Chile heute immer noch heißt, gehörte US-Monopolen wie Anaconda und Kenecott. US-Eigentum an den Bergwerken in Chuqui war ein Symbol für die imperialistische „Gringo“herrschaft über Chile. Die Bergwerke wurden von der Unidad-Popular-Regierung unter Salvador Allendes von der Sozialistischen Partei zwischen 1970 und 1973 schließlich verstaatlicht.
Hier lernten Che und Alberto die harte Wirklichkeit des Klassenkampfes kennen. Sie trafen einen früheren Bergarbeiter und seine Frau von der damals illegalen chilenischen Kommunistischen Partei. Che erfuhr die bittere Geschichte von Unterdrückung, Verschleppungen und schwarzen Listen, Maßnahmen, die das Unternehmen und die Regierung gegen jene einsetzten, die versuchten, für ArbeiterInnenrechte zu kämpfen. Che und Alberto schafften es, ins Bergwerk zu kommen. Es wurde gerade ein Streik vorbereitet. Sie wurden von einem Vorarbeiter herumgeführt, der – wie Che berichtete – von „hirnlosen Gringos“ sprach, die „in einem Streik Millionen Pesos pro Tag verlieren, um den armen ArbeiterInnen ein paar Centavos mehr zu verweigern.“
Der Besuch in Chuqui beeinflusste Che nicht nur vorübergehen und er machte Notizen, in denen er nicht nur detailliert seine Eindrücke von den ArbeiterInnen schilderte sondern auch die Produktionstechniken und die politische Bedeutung der Bergwerke für Chile festhielt. In Bezug auf die rohstoffreichen Berge protestierte er gegen das „ausgebeutete Proletariat“ und die Umweltzerstörung gegenüber der Landschaft. „Die Hügel zeigen ihre grauen Rücken, die im Kampf gegen die Elemente vorzeitig gealtert sind. Sie tragen Altersfalten, die nicht ihrem geologischen Alter entsprechen. Wie viele dieser Begleiter ihres berühmte Bruders (Chuquicamata) enthalten in ihrem schweren Schoß ähnliche Reichtümer wie er und warten auf die trockenen Arme der mechanischen Schaufeln, die als unumgängliche Begleiterscheinung des menschlichen Lebens ihre Eingeweide aufreißen?“
Damals fand in Chile Präsidentschaftswahlkampf statt, den schließlich der populistisch-nationalistische Kandidat General Carlos Ibanez del Campo gewann. Sobald er an der Macht war, schloss er ein Abkommen mit dem US-Imperialismus und führte ein brutales Kürzungspaket ein, mit dem er sich auch von seinem Versprechen zur Verstaatlichung der Kupferbergwerke von Chuqui verabschiedete. Bei den Wahlen kam der sozialistische und linke Kandidat Salvador Allende auf den letzten Platz, teilweise wegen des Verbots der Kommunistischen Partei und ihrer UnterstützerInnen. Allende wurde schließlich 1970 zum Präsidenten gewählt, der erste sozialistische Kandidat, der in Südamerika einen Präsidentschaftswahlkampf gewann. Als er siegte bezeichnete er sich als Marxist. Eine der ersten Maßnahmen der sozialistisch geführten Regierung war die Verstaatlichung der Bergwerke von Chuqui. Allendes Regierung wurde von einem durch die CIA unterstützten blutigen Putsch 1973 gestürzt. [Zu den Fehlern der Unidad-Popular-Regierung, die diesen Putsch möglich machten, siehe Tony Saunois: HeldInnentum war nicht genug, in: SOV (Hg.): Chile 1973-99. Der Kampf lebt weiter. Wien 1999, S. 3-18 – der Übersetzer])
Aber trotz dieser Bilder und des Einflusses, den sie auf Che hatten, brauchte er weitere Erfahrungen und musste größere Ereignisse erleben, bevor er sich einem Leben als Revolutionär verschrieb.
Inkakultur
Der nächste Halt seiner Reise war Peru. Insbesondere die Begegnung mit dem prominenten Führer der peruanischen Kommunistischen Partei, Doktor Hugo Pesce, war für die Herausbildung sozialistischer Ideen bei Che entscheidend. Bevor Che und Alberto am 1. Mai 1952 in Lima ankamen, hatten sie die Gelegenheit, die Perlen der antiken Inkakultur kennenzulernen. Die tiefgreifenden Folgen von vierhundert Jahren „weißer“ europäischer Eroberung Lateinamerikas und brutaler Unterdrückung der indigenen Bevölkerung des Kontinent hat sich bei Ches Besuch der alten Inkahauptstadt Cuzco und der beeindruckenden Tempelruinen von Macchu Picchu zweifellos in sein Bewusstsein eingegraben, so wie es wohl allen BesucherInnen dieser Stätten ergeht.
Pablo Neruda nahm in sein gefeiertes Werk über Lateinamerika Canto General (Allgemeiner Gesang) ein Gedicht Alturas de Macchu Picchu (Die Höhen von Macchu Picchu) auf, das das Bild widerspiegelt, das diese alten Ruinen hoch in den Anden in denen erzeugen, die gegen Ausbeutung kämpfen. „Damals bin ich die Treppe der Erde emporgestiegen zwischen grausem Gestrüpp verlorener Wälder bin zu dir, Macchu Picchu. Hohe Stadt aus stufigem Gestein, endlich Wohnstatt dem, der das Irdische nicht verbarg in schlafbefallenen Gewändern. In dir wiegte sich wie zwei parallele Linien des Blitzes und des Menschen Wiege in einem Dornenwind. Mutter des Steins, Schaumkrone der Condore. Der Menschheitsdämmerung hohes Riff.” (Pablo Neruda, Das lyrische Werk I. Darmstadt- Neuwied 1984, S. 245-262, hier S. 252)
In Ches Heimatland Argentinien waren die indigenen Völker praktisch ausgerottet und ihre Kultur zerstört worden. In Peru, Bolivien, Mexiko und ein paar anderen lateinamerikanischen Ländern war dies nicht der Fall. Sie überlebten als die unterdrücktesten und ausgebeutetsten Schichten der Gesellschaft und stellten auf dem Land oft sogar die Mehrheit. Die „Mischlinge“, die MestizInnen war entstanden und aus ihr stammten große Teile der Arbeiterklasse in den Städten. Die reichen und mächtigen herrschenden Klassen waren und sind weitgehend rein europäischer Herkunft. Die Geschichte von Eroberung und der anhaltenden Ausbeutung des Kontinents durch den Imperialismus, besonders des US-Imperialismus, hat unter den ausgebeuteten Klassen ein starkes antiimperialistisches Bewusstsein geformt.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtete sich diese Bitterkeit weitgehend gegen die „Yankee-Gringos“ nördlich des Rio Grande. Che nahm während seines Besuches in Peru diesen Hass auf die vorherrschende imperialistische Macht zunehmend in sich auf. Nachdem sie durch die Ankunft einer Gruppe von „Gringo“-TouristInnen die freie Unterkunft, die sie sich organisiert hatten, aufgeben mussten, notierte Che: „Natürlich wissen diese Touristen, die in ihren komfortablen Bussen reisten, nichts von den Bedingungen der Indianer … Die Mehrheit der Amerikaner fliegt direkt von Lima nach Cuzco, besucht die Ruinen und kehrt dann zurück ohne irgend etwas anderem Bedeutung beizumessen.“
Am 1. Mai kamen die zwei Reisenden in Lima an. Che traf Dr. Pesce, ein führendes Mitglied der Kommunistischen Partei und Anhänger des peruanischen Philosophen José Maríategui. Maríateguis Hauptarbeit – Sieben Versuche, die peruanische Wirklichkeit zu verstehen – wurde 1928 geschrieben und betont die Rolle der indigenen Völker und die BäuerInnenschaft im Kampf für Sozialismus.
Die Diskussionen mit Pesce hatten sichtbar eine tiefgreifende Wirkung auf Che. Ein Jahrzehnt später schickte er dem Doktor ein Exemplar seines ersten Buchs Guerillakrieg mit der Widmung „für Doktor Hugo Pesce, der, vielleicht ohne es zu wissen, eine große Veränderung in meiner Haltung gegenüber dem Leben und der Gesellschaft hervorrief. Zwar den selben Abenteuergeist wie zuvor bewahrend, aber auf, mit den Bedürfnissen Amerikas mehr übereinstimmende Ziele gerichtet.“
Aber trotz all der Diskussionen, die er mit Pesce führte, war Che damals immer noch nicht bereit, sich offen mit „marxistischen“ Ideen zu identifizieren. Aber seine Ansichten fingen schon an, Gestalt anzunehmen und er begann sie auszudrücken. Besonders begann er, offen internationalistische Ideen zu entwickeln, zumindest im Rahmen Lateinamerikas.
Internationalismus
Bei einer Party in Peru anläßlich seines vierundzwanzigsten Geburtstags meinte Che in einem Trinkspruch das „(Latein-) Amerikas Spaltung in illusorische und unbestimmte Nationalitäten völlig fiktiv ist. Wir stellen eine einzige Mestizenrasse dar, der sich von Mexiko bis zur Magellanstraße erstreckt und merklich ethnographische Ähnlichkeiten aufweist. Deshalb spreche ich, um mich vom Gewicht jedes kleinlichen Provinzialismus zu befreien, einen Trinkspruch auf Peru und auf ein Vereinigtes Amerika aus.“ Das spiegelte klar seine sich entwickelnden internationalistischen Bestrebungen wider. Eine voll entwickelte, umfassende marxistische Analyse war das allerdings nicht und es war auch eine etwas vereinfachte Einschätzung der Lage.
Die Bestrebung nach einem vereinigten Lateinamerika hat es seit Simón Bolívar (der bewaffnete Rebellionen gegen Spanien anführte und die Unabhängigkeit eines Großteils Lateinamerikas sichern half) und den nationalen Befreiungskriegen des 19. Jahrhunderts gegeben. Der Wunsch nach Einheit des ganzen Kontinents ist immer noch ein starker Wunsch unter den lateinamerikanischen Massen, der Seite an Seite mit dem jeweiligen nationalen Bewusstsein besteht. Die wiederkehrenden Bestrebungen zur Vereinigung Lateinamerikas können im Rahmen des Kapitalismus allerdings nicht verwirklicht werden, da die herrschende Klasse jeder einzelnen lateinamerikanischen Nation ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen zu verteidigen hat.
Darüberhinaus sind sie mit wirtschaftlichen und materiellen Interessen des Imperialismus verbunden, von denen sie sich nicht lösen können. Auch der Imperialismus selbst lehnt die Einheit des Kontinents unter dem Kapitalismus ab, weil er es im Allgemeinen vorzieht, einer Reihe von Staaten seinen Willen aufzuzwingen, die schwächer sind als er. Die Errichtung einer demokratischen Föderation Lateinamerikas als Schritt zur Vereinigung des Kontinents ist nur möglich durch die Befreiung von Kapitalismus und Imperialismus und den Aufbau des Sozialismus. Der Geist des Internationalismus war ein Thema, zu dem Che oft zurückkehrte und in späteren Jahren trat er für die Idee einer Revolution gegen Imperialismus und Kapitalismus mit internationaler Grundlage ein.
Der Unterschied seiner Position zu einer umfassenden marxistischen Analyse war in der Frage, wie und durch welche Klasse dies erreicht werden sollte. Nachdem Che sich von seinem Reisegefährten und Freund Alberto, der nach Argentinien zurückkehrte, um seine Studien zu vollenden und die Prüfungen an der Universität abzulegen, getrennt hatte, setzte er seine Reise nach Kolumbien und Venezuela fort. Die Wirkung dieser ersten Reise auf ihn wird in seinen Notas de Viaje deutlich, die auf Grundlage seines Reisetagebuch erschienen. Er war nicht mehr die Person, die Argentinien verlassen hatte. „Die Person, die diese Notizen geschrieben hat, starb bei der Rückkehr auf argentinischen Boden, wer sie herausgibt und ausfeilt, ‘ich“ bin nicht ich; zumindest bin ich nicht dasselbe ‘ich“ wie vorher. Das Herumstreifen durch unser ‘América“ hat mich mehr verändert als ich dachte.“
Nach seiner Rückkehr nach Argentinien hoffte seine Familie, dass seine Tage als Vagabund beendet wären und dass er seinen erwählten Beruf als Mediziner ergreifen würde. Che vervollständigte sein Studium im April 1953 und erlangte im Juni den Doktorgrad, ein paar Tage vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Aber die Hoffnungen seiner Familie wurden schnell zerschlagen, als seine zweite Amerikatour begann. Diesmal wurde sie zusammen mit seinem Freund aus Kindertagen, Carlos „Calica“ Ferrer geplant, der das Medizinstudium abgebrochen hatte. Laut Calica hatten die zwei Freunde davon gesprochen, durch Bolivien zu reisen, da Che die Inkaruinen und Macchu Picchu wiedersehen wollte. Che hoffte aber auch Indien zu besuchen und Calica wollte Paris sehen.
So war Che, als die zwei Reisegefährten Anfang Juli Buenos Aires im Zug verließen, immer noch weit entfernt von der Vorstellung, sich dem Leben eines disziplinierten und aufopfernden revolutionären Kampfes zu widmen. Der Bohemien beherrschte immer noch seinen Charakter. Dies sollte sich allerdings in verhältnismäßig kurzer Zeit ändern. Menschen werden aus vielen Gründen in revolutionäre Bewegungen hineingezogen. Manche sind hauptsächlich durch politische Ideen motiviert, andere durch die Abscheu gegenüber dem bestehenden System und manche durch die Teilnahme an großen sozialen Erhebungen, bei denen sie einfach nicht beiseite stehen können. Der Grund, warum Ches Leben eine scharfe Wendung machte, ist nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Er interessierte sich zweifellos für politische Ideen und war über die sozialen Zustände empört, die er erlebte. Er war auch zutiefst beeinflusst durch die mächtigen sozialen Explosionen, die er während seiner zweiten amerikanischen Tour erlebte. Diese umfassten zwei revolutionäre Bewegungen in Bolivien und in Guatemala, nach denen sein Leben eine völlig neue und unerwartete Richtung einschlug.
In Bolivien
Während der zweiten Tour schrieb Che ein weiteres Tagebuch, dass er Otra Vez („Noch einmal“) nannte. Er selbst schrieb über den Beginn dieser Reise: „Diesmal hat sich der Name des Beifahrers geändert, Alberto heißt jetzt Calica, aber die Reise ist dieselbe: zwei Versprengte werden sich über Amerika ausdehnen ohne genau zu wissen, was sie suchen oder in welcher Himmelsrichtung der Norden ist.“ (Dieses Tagebuch, das drei Jahre von Ches Leben umfasst, wurde nie voll veröffentlicht. Es wurde von seiner Witwe Aleda March nach Ches Tod abgeschrieben und dem Autor Jon Lee Anderson zur Verfügung gestellt, der es für seine gepriesene Biographie „Che Guevara – Ein revolutionäres Leben“, die 1997 veröffentlicht wurde, ausgiebig nutzte.)
Che kam mit seinem Gefährten im Juli 1953 in der bolivianischen Hauptstadt La Paz an. Sofort wurden sie in den revolutionären Aufruhr, der damals eine der ärmsten und „indianischsten“ amerikanischen Nationen erfasste, hineingezogen. Eine Massenrevolte der vorwiegend indigenen BäuerInnen und Zinn-BergarbeiterInnen war zwölf Monate zuvor ausgebrochen. Der Massenaufstand hatte die radikale Movimiento Nationalista Revolucinaria (MNR) an die Macht gebracht. Das neue Regime versuchte zwar, die Massenbewegung unter Kontrolle zu halten, war aber durch Aufstände, die seine Macht gefährdeten, gezwungen, weitreichende Reformen durchzuführen. Die BäuerInnen erzwangen durch eine Reihe von Landbesetzungen ein sehr weitgehendes Programm für den Agrarsektor. Die Zinnbergwerke, damals Boliviens Haupteinnahmequelle, wurden verstaatlicht. Die Bergleute und BäuerInnen hatten sich bewaffnet, Teile der Armee wechselten auf die Seite der ArbeiterInnen und BäuerInnen. Eine Miliz wurde errichtet und für eine kurze Zeit wurde die Armee offiziell aufgelöst.
Die Revolution wurde aber nicht zu Ende geführt, es wurde kein neues Regimes mit ArbeiterInnendemokratie errichtet und so wurde die Bewegung schließlich besiegt. Während dieser revolutionären Ereignisse spielten die BergarbeiterInnen in den Zinnmienen eine führende Rolle bei der Errichtung eines neuen unabhängigen Gewerkschaftsdachverbandes, der Central Obrera Boliviana (COB). Das die COB, zumindest auf dem Papier, das von Leo Trotzki 1938 geschriebene Übergangsprogramm annahm, ist Ausdruck der revolutionären Erhebung, die stattfand. In La Paz verbrachte Che viel Zeit in Cafés und Bars, wo er politische MigrantInnen, die aus ganz Amerika gekommen waren, traf.
Während der Revolution war Bolivien ein politisches Mekka geworden, weil Radikale und linke RevolutionärInnen von den ausbrechenden stürmischen Ereignissen angezogen wurden. „La Paz ist das Schanghai von ganz Amerika. Eine große Anzahl von Abenteurern aller Nationalitäten leben und blühen in der buntschillernden Mestizenstadt“ schrieb Che in Otra Vez. Hier mischte er sich unter eine Vielzahl politischer AktivistInnen und diskutierte mit ihnen. Er traf ein paar Leute aus der argentinischen Gemeinde von La Paz, unter ihnen ein Exilchilene namens Nogues. Der Einfluss der mächtigen sozialen Ereignisse, die in Bolivien stattfanden, spiegeln sich in Ches Kommmentaren über diesen Führer der argentinischen Exilgemeinde wider. „Seine politischen Ideen sind in der Welt seit einiger Zeit veraltet, aber er hält sie unabhängig von dem proletarischen Hurrikan, der in unserem kriegerischen Bereich losgelassen wurde, aufrecht.“
Durch diese sozialen Kontakte führte Che in La Paz eine Doppelleben und wechselte zwischen der Beobachtung der revolutionären Bewegungen und dem Leben der High Society, in das er durch die argentinische Gemeinde eingeführt wurde. Einmal zeigte Nogues“ Bruder, der kürzlich aus Europa zurückgekommen war, Che und Calica eine Einladung, die er zur Hochzeit des griechischen Schiffahrtskönigs Aristoteles Onassis erhalten hatte.
Flamme der Revolution
Es war jedoch der revolutionäre Prozess, dessen Zeuge er in La Paz wurde, der den dauerhaftesten Eindruck auf Che machte. Er schrieb seinem Vater im Juli und teilte ihm mit, dass er länger in Bolivien bleiben wolle weil „…dies ein sehr interessantes Land ist und gerade einen besonders brodelnden Augenblick erlebt. Am zweiten August geht die Landreform durch und im ganzen Land werden Aufruhr und Kämpfe erwartet. Wir haben unglaubliche Aufmärsche bewaffneter Leute mit Mausern und ‘pripipi“ (Maschinengewehren) gesehen, mit denen viel geschossen wird. Jeden Tag hört man Schüsse und es gibt Verwundete und Tote durch Schusswaffen.“ Che wollte die berühmten bolivianischen BergarbeiterInnen mit eigenen Augen sehen und besuchte das Balsa-Negra-Bergwerk das direkt außerhalb von La Paz liegt. Vor der Revolution hatte der Werksschutz mit einem Maschinengewehr auf streikende Bergleute geschossen. Jetzt war das Bergwerk verstaatlicht. Che traf LKWs voll mit bewaffneten Bergleuten, die aus der Hauptstadt zurückkamen, wo sie ihre Unterstützung für die Bodenreform und den Kampf der BäuerInnen Nachdruck verliehen hatten. Mit ihren „steinernen Gesichtern und roten Plastikhelmen schienen sie wie Krieger aus einer anderen Welt“.
Obwohl Che Zeuge der gewaltigen Stärke der bolivianischen BergarbeiterInnen wurde, nahm er das Potential und die Rolle der ArbeiterInnenklasse in der sozialistischen Revolution nie wirklich in sich auf. Selbst in Ländern wie Bolivien, wo die ArbeiterInnenklasse eine Minderheit der Bevölkerung darstellte, war ihre Macht zu sehen. Diese Fehleinschätzung hatte, zusammen mit anderen Faktoren, direkte Auswirkung auf die Ideen, die er später entwickelte. In diesem Stadium in Ches politischer Entwicklung ist es jedoch ausreichend, die Auswirkung der Ereignisse in Bolivien auf seine Weltsicht festzuhalten. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er direkt von der heißen Flamme der Revolution berührt. Aber trotz der Kraft der Ereignisse war er dennoch immer noch ein Beobachter und kein aktiver Teilnehmer.
Nachdem Che und Calica ihren Aufenthalt in La Paz auf fast einen Monat ausgedehnt hatten, fuhren sie weiter. Sie verbrachten etwas Zeit in Peru und trafen in Lima erneut Dr. Pesce und auch Gobo Nogues. Gobo sorgte auch dafür, dass sie ein paar mal im Country Club und in Limas teuerstem Hotel, dem Gran Hotel Bolívar, aßen. Sie zogen weiter nach Ecuador, wo sie neue Freundschaften mit einer Gruppe von Abenteurern schmiedeten. Ches ursprüngliche Absicht war es gewesen, mit Calica nach Venezuela weiterzugehen. Aber nach einigen Ausflügen trennten sich Calica und Che, ersterer ging nach Caracas, während letzterer mit einem neuen Gefährten, Gualo, nach Guatemala ging. Sie waren völlig pleite und mussten sich ihr Fahrgeld auf einem Schiff verdienen. Bevor sie Guatemala erreichten, durchquerten sie Costa Rica, Panama und Nicaragua und trafen auf dem ganzen Weg Menschen, mit denen sie diskutierten.
Durch die Reise nach Norden, nach Mittelamerika, hatte Che eine andere Welt als jene im Südkegel von Lateinamerika betreten. Der Imperialismus beherrschte die südlichen Länder in Verbindung mit einer schwachen nationalen KapitalistInnenenklasse. Es lebten verhältnismäßig viele Menschen in den Städten, wo es auch eine starke ArbeiterInnenklasse gab, die Gesellschaft als ganzes war tendenziell weiter entwickelt. Sogar in den damals ärmsten Ländern wie Bolivien und Peru war das der Fall.
In einer Reihe mittelamerikanischer Länder setzte der US-Imperialismus arrogant örtliche Tyrannen und diktatorische Staatschefs ein, während verachtete und gehasste Firmen wie Coca Cola und die United Fruit Company die Wirtschaften ausplünderten. Wie Che kommentierte: „die Länder waren keine wirklichen Nationen, sondern private Landgüter“. Es waren erst fünfzig Jahre seit der Schaffung Panamas durch den US-Imperialismus vergangen. Immer noch wurde es von ihm in völliger Abhängigkeit gehalten wurde um den Kanal zu kontrollieren, den die USA aus Handels- und strategischen Interessen gebaut hatte. Nicaragua war seit dreißig Jahren von der korrupten Somoza-Diktatur regiert worden. El Salvador wurde von aufeinanderfolgenden Diktaturen beherrscht, deren Zweck die Verteidigung der Interessen der Eigentümer der Kaffeeplantagen war, und Honduras wurde praktisch von der United Fruit Company als Verpackungsfabrik betrieben.
Die United Fruit Company symbolisierte die Ausbeutung des Kontinents durch den Imperialismus. Ches Lieblingsdichter Pablo Neruda schrieb ein ironisches Gedicht United Fruit Co., das die Gefühle von Lateinamerika gegenüber der imperialistischen Beherrschung widerspiegelt: „Als die Posaune erklang, alles war vorbereitet auf Erden, und Jehovah verteilte die Welt an die Coca-Cola Inc., die Anaconda, die Ford-Motors und andere Wesenheiten: Die United Fruit Company reservierte sich das Gehaltvollste, meines Kontinents Zentralküste; Amerikas lieblichen Gürtel…“ An einer anderen Stelle des Gedicht greift Neruda die Firma an, weil sie die „Diktatur der Schmeißfliegen“ der Diktatoren von Mittelamerika schaffte: Trujillo, Tachos, Ubico, Martínez, Carías – die „Tyrannei“ der „bluthungrigen Fliegen.“ (Pablo Neruda, Das lyrische Werk I. Darmstadt-Neuwied 1984, S. 438f.)
Nach Guatemala
Die Ereignisse in Bolivien hatten Eindruck auf Che gemacht, die Entwicklungen in Guatemala, bei denen er zum ersten Mal aktiv teilnahm, änderten die Richtung seines Lebens. Er kam am Weihnachtsabend in Guatemala Stadt an und identifizierte sich offen mit einer politischen Sache und mit Ideen, denen er jetzt sein Leben widmen wollte. Unmittelbar vor seiner Ankunft (10. Dezember) hatte er seiner Tante Beatriz, zu der er eine besonders enge Beziehung hatte, einen Brief geschrieben, in dem er seine politischen Ansichten umriss. Darin wurde deutlich, welche Wirkung die Ereignisse in Bolivien offensichtlich auf ihn gehabt hatten. Zum ersten Mal identifizierte er sich klar ideologisch mit sozialistischen Ideen. „Mein Leben war ein Meer gefundener Lösungen, bis ich mutig mein Gepäck ablegte und mich mit dem Rucksack auf der Schulter mit dem Genossen García auf den gewundenen Pfad begab, der uns hierher führte. Auf dem Weg hatte ich die Gelegenheit, die Reiche der United Fruit zu durchqueren, die mich erneut davon überzeugte, wie schrecklich diese kapitalistischen Kraken sind. Ich habe vor einem Bild des alten und betrauerten Stalin geschworen, dass ich nicht ruhen würde, bevor diese kapitalistischen Kraken vernichtet sind. In Guatemala werde ich mich vervollkommnen und erlernen, was ich können muss, um ein echter Revolutionär zu sein.“ Er unterschrieb seinen Brief mit „von deinem Neffen mit der eisernen Verfassung, dem leeren Magen und dem leuchtenden Glauben an die sozialistische Zukunft. Chao, Chancho“.
1953 stand die populistische, linkslastige Regierung Guatemalas, an deren Spitze Oberst Jacobo Arbenz stand, in unmittelbaren Konflikt mit dem US-Imperialismus und der reichen Elite in Guatemala Stadt. Arbenz führte das von der Vorgängerregierung begonnene reformistische Programm fort. Diese war in den 40er Jahren an die Macht kam und hatte die brutale Ubico-Diktatur gestürzt. Der US-Imperialismus war durchaus zu Zugeständnisse an diese reformistische Regierung bereit. Aber 1952 ging die Arbenz-Regierung einen Schritt zu weit. Es wurde eine Bodenreform erlassen, die das Latifundiensystem abschaffte und das Eigentum der verhassten United Fruit Company verstaatlichte.
Diese Maßnahme provozierte einerseits den Zorn von Guatemalas weißer Kreolenelite und bekam andererseits massive Unterstützung durch die hauptsächlich aus Indigenen und Mestizen bestehenden BäuerInnen auf dem Land und den ArbeiterInnen in den Städten. Die United Fruit Company und die Eisenhower-Regierung waren empört. Es war nur eine Frage der Zeit bis die CIA Schritte zum Sturz der Arbenz- Regierung setzen würde. Das „sozialistische“ Experiment in Guatemala hatte Tausende aus ganz Lateinamerika angezogen. Sie wollten aus erster Hand sehen, wie der US-Imperialismus herausgefordert wurde. Während der gesamten Zeit gab es Massenmobilisierungen und sowohl die Regierung als auch die verschiedenen Parteien errichtet zahlreiche Milizen. Während die Milizen aber zum Großteil unbewaffnet waren begannen die Kräfte der Reaktion jedoch sich zu bewaffnen und zu mobilisieren.
Neben Che Guevara waren während dem guatemaltekischen Drama auch zahlreiche andere künftige Anführer linker lateinamerikanischer Organisationen wie Rodolfo Romero, der spätere Führer der nicaraguanischen sandinistischen FSLN (Frente Sandinista de la Liberación Nacional), die 1979 die Somoza-Diktatur stürzte. Che diskutierte mit den verschiedenen politischen AktivistInnen, die er traf. Er verschaffte sich Arbeit als Arzt in einem Krankenhaus und kam in Kontakt mit Hilda Gadea, einer im Exil lebenden Führerin der Jugendorganisation der radikalen populistischen peruanischen APRA-Bewegung. Sie führte ihn bei AktivstInnen und FührerInnen verschiedener politischer Gruppen ein und gab ihm politische Schriften zu lesen, einschließlich einiger Schriften von Mao Tsetung.
Damals traf Che auch eine Reihe von ExilkubanerInnen. Das Arbenz-Regime hatte ihnen, nachdem sie auf Kuba am Angriff auf die Moncada- Kaserne am 26. Juli 1953 teilgenommen hatten, Asyl gewährt. Zum ersten Mal erfuhr Che etwas über den Kampf, der sich gegen das Batista-Regime auf Kuba entwickelte.
Volksfront
Die Geschwindigkeit mit der sich die Ereignisse in Guatemala entwickelten trug auch zur Reifung von Ches Ideen bei. Er begann die Kommunistischen Parteien zu kritisieren, die eine Politik der „Volksfront“ übernommen hatten. Das brachte sie in Bündnisse mit Teilen der nationalen KapitalistInnenklassen. Die Führung der Kommunistischen Parteien argumentierte zu Unrecht, dass ein taktisches Bündnis mit diesem „fortschrittlichen“ Flügel der nationalen Kapitalistenklasse zum Kampf gegen den Imperialismus notwendig sei, um die parlamentarische Demokratie zu verbreitern und auszudehnen. Sie sagten, eine Etappe „kapitalistischer Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung“ sei notwendig, bevor die ArbeiterInnenklasse mit der Aussicht auf Erfolg für den Sozialismus kämpfen könne.
Diese Politik führte dazu, dass die Führernnen der Kommunistischen Parteien die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse beschränkten, damit sie nicht in Konflikt mit den Interessen der KapitalistInnen geraten könnten. Die ArbeiterInnenbewegung wurde durch diese Strategie nicht nur häufig gelähmt, sie führte auch oft zu blutigen Niederlagen durch die Reaktion. Entscheidende Teile der KapitalistInnen hatten kein Problem damit, demokratische Rechte abzuschaffen und mit diktatorischen Methoden zu herschen, um ihre eigenen Klasseninteressen zu verteidigen. Che hatte zwar keine klare Alternative zu dieser Politik, fühlte aber, dass sich die Kommunistischen Parteien von den Massen entfernten, um einfach in einer Koalitionsregierung einen Teil der Macht zu bekommen. Er argumentierte damals zu Unrecht, dass keine Partei in Lateinamerika an Wahlen teilnehmen und gleichzeitig revolutionär bleiben könne.
Che begann zwar, seine Gedanken auszudrücken, seine Ideen wurden aber erst später voll ausformuliert. Inzwischen überrollten die Ereignisse in Guatemala die Debatte, an der er teilnahm. Die USA hatten die Schlussfolgerung gezogen, dass die Regierung gestürzt werden müsse. Das Beispiel der Bewegung in Guatemala begann, sich auf andere Länder Mittelamerikas auszuwirken. In Honduras brach ein Generalstreik aus. In Nicaragua fürchtete Diktator Somoza, die Bevölkerung könne dem Beispiel in den Nachbarländern folgen. Die CIA hatte einen Plan zum Sturz der guatemaltekischen Regierung zusammengebastelt. Eine Kreatur namens Castillo Arbas wurde auserwählt, Arbenz als Präsident zu ersetzen. Eine paramilitärische Einheit wurde in Nicaragua ausgebildet und diejenigen in der Armee, die den USA gegenüber freundlich gesinnt waren, wurden in die Verschwörung gegen die Regierung einbezogen. Arbenz weigerte sich, gegen diejenigen im Militär vorzugehen, von denen er wusste, dass sie mit den PutschistInnen sympathisieren und versuchte, das Militär zu befrieden. Noch ein paar Tage vor dem Sturz seiner Regierung 1954 durch die Verschwörung appellierte er an die Armee selbst, an die Milizen, die errichtet worden waren, Waffen zu verteilen. Das Militärkommando weigerte sich und die Regierung fiel.
Die bestehende kapitalistische Staatsmaschine war intakt gelassen worden. Es war keine Alternative durch ArbeiterInnen- und BäuerInnenkomitees, die einen Appell an die einfachen Soldaten hätten richten können, errichtet worden. Die Niederlage von Arbenz und sein Versagen, tatsächliche Schritte gegen den kapitalistischen Staatsapparat zu setzen, waren für Che eine Lehre, die er nicht vergaß, als sich die Revolution auf Kuba entfaltete. Nachdem Che in der argentinischen Botschaft Unterschlupf suchte und sich eine Weile lang versteckte, kam er im September nach Mexiko.
Wenn auch ein Frischling unter den AktivistInnen war, blieben seine Bewegungen nicht unbeobachtet. Die CIA legte die erste Akte über ihn an. Im Verlauf der kommenden Jahre wurde dieser Akt einer der dicksten, die sie je über eine Einzelperson erstellt hatten. Während seines Mexikoaufenthalt traf Che schließlich einen der Führer der Bewegung des 26. Juli, die gegen die Batistadiktatur auf Kuba kämpfte – Fidel Castro. Nach ihrem ersten Treffen, das 1955 stattfand, trat Che schließlich der Bewegung bei.
Nach seinen Erfahrungen in Bolivien und besonders nach seiner Teilnahme an den Ereignissen in Guatemala trat Che in die nächste Phase seines Lebens nicht mehr als Arzt und Beobachter ein. Von diesem Tag an war er ein aktiver Teilnehmer und schließlich Führer historischer Ereignisse.
Wo trete ich ein?
Als Che in Mexiko eintraf war seine offene Unterstützung für sozialistische Ideen herangereift. In Mexiko hatte er seine Studien von Marx, Engels und Lenin entwickelt und sie mit Lektüre von Jack London und anderen AutorInnen ergänzt. Aber trotz der Entwicklung von Ches politischem Wissen war seine Auffassung von marxistischer Theorie immer noch einseitig und unvollständig.
Diese Schwäche zeigte sich besonders in seiner Interpretation, wie die marxistische Methode auf die kolonialen und halbkolonialen Länder Lateinamerikas angewandt werden müsse. Dies wurde auf sehr deutliche, als er am konkreten Kampf für den Sturz der Batistadiktatur auf Kuba teilnahm. Che fühlte sich eher zur Bewegung des 26. Juli, die von Fidel Castro gegründet worden war, und nicht zur kubanischen Kommunistischen Partei hingezogen. Diese Entscheidung hat viele Linke, besonders in Lateinamerika, verwirrt. Die Antwort findet sich in der damaligen Rolle der Kommunistischen Parteien und der von ihnen befürworteten Politik einerseits und dem Charakter der Bewegung des 26. Juli andererseits.
Die Bewegung des 26. Juli trug diesen Namen zum Gedenken an den Angriff auf die Moncada-Kaserne in der kubanischen Stadt Santiago 1953. Dieser Angriff wurde von einer Gruppe junger Leute, die hauptsächlich mit der Kubanischen Volkspartei (Partido del Pueblo Cubano), bekannt als Orthodoxe Partei, in Verbindung standen, durchgeführt. Dies war eine radikal-nationalistische kubanische Formation, die sich 1947 von den Authénticos (Authentische Revolutionäre Bewegung) abgespalten hatte und von Eduardo Chibas geführt wurde, dessen Hauptprogramm aus „Ehrlichkeit der Regierung“ bestand. Die Authénticos hatten sich in den dreißiger Jahren reorganisiert und versuchten sich als die Erben der nationaldemokratisch-revolutionären Tradition von Kubas Nationalhelden José Martí zu präsentieren.
Jenes Dichterers und Unabhängigkeitskämpfers, der 1895 getötet wurde, als er einen Reiterangriff gegen die spanische Armee anführte. Martí und die Unabhängigkeitsbewegung hatten viele verschiedene politische Facetten darunter auch anarchistische Einflüsse aus der wachsenden spanischen ArbeiterInnenbewegung. Martí selbst unterstützte ein radikales Sozialprogramm und war durch gewisse anarchistische Organisationen beeinflusst. Aber Hugh Thomas weist in seinem ausführlichen Werk Cuba – The pursuit of Freeedom darauf hin, dass „Martí nach seinen Schriften eher ein Zeitgenosse von Rousseau als von Marx zu sein schien…“ Martí war im Wesentlichen ein Kämpfer für nationale Unabhängigkeit und Verteidiger von „sozialer Gerechtigkeit“. Er trat aber nicht für einen Bruch mit dem Kapitalismus ein und verteidigte auch keine sozialistischen Ideen.
Die Auténticos änderten ihre Haltung zunehmend, ebenso wie es auch die Orthodoxe Partei weniger als ein Jahrzehnt später tat. In der Jugendorganisation der Orthodoxen Partei gab es eine radikale Strömung, die zunehmend frustriert war, weil die Partei nicht ernsthaft gegen das Batista-Regime kämpfte. Die Leute, die den Angriff auf die Moncada-Kaserne anführten, hofften, er würde der Beginn eines nationalen Aufstands gegen den Tyrannen sein. Statt dessen wurde er brutal zerschlagen und seine TeilnehmerInnen wurden entweder getötet oder eingesperrt. Dazu gehörten auch Fidel Castro und sein Bruder Raúl. Die meisten der 170 TeilnehmerInnen kamen entweder aus der unteren Mittelschicht oder der ArbeiterInnenklasse – waren aber keine SozialistInnen. Raúl Castro war zwar Mitglied der Kommunistischen Jugend, hatte aber auf eigen Faust und ohne Wissen der Kommunistischen Partei an dem Angriff teilgenommen.