Per-Åke Westerlund
aus Socialism Today Nr. 59, September 2001
Das Einsperren von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, die der christlichen Missionierung beschuldigt werden, hat die Beziehungen zwischen den Talibanherrschern Afghanistans und Regierungen auf der ganzen Welt bis zum Zerreißen gespannt. Dies ist die jüngste Episode in dem internationalen Machtkampf rings um diese strategisch entscheidende Weltregion. Per-Åke Westerlund betrachtet ein kürzlich erschienenes Buch von Ahmed Raschid, das Details für den Hintergrund des Aufstiegs der Taliban zur Macht und der Lage in Afghanistan heute gibt.
Im November 1994 nahm die Tailbanbewegung nach ein paar Wochen Kämpfen Kandahar ein, Afghanistans zweitgrößte Stadt. Innerhalb von drei Monaten hatten die Taliban die Kontrolle über zehn der 31 Provinzen des Landes übernommen. Im September 1996 eroberten sie die Hauptstadt Kabul. Überall führten sie das unterdrückerischste Scharia-Recht der Welt ein. Der Reporter Ahmed Raschid hat über Afghanistan für die Far Eastern Economic Review und andere Zeitungen mehr als 20 Jahre lang berichtet. Sein Buch Taliban: Islam, Öl und das neue Große Spiel in Zentralasien gibt einen frischen und faktenreichen Bericht von einem Land im Zusammenbruch und einer potenziell explosiven Region.
Trotz der wirtschaftlichen Rückständigkeit spielen Entwicklungen in Afghanistan international eine wichtige Rolle. Hier bereiteten von Pakistan finanzierte Camps militärische Aktionen in Kaschmir vor. Bis letztes Jahr war das Land der größte Heroinproduzent der Welt und könnte es wieder werden. Fortgesetzter Krieg und Talibanherrschaft könnten die Region noch weiter destabilisieren. Und Raschid weist darauf hin: Der zentrale Punkt in diesem regionalen Machtspiel ist der Kampf um die gewaltigen Öl- und Gasvorkommen Zentralasiens.
Er vergleicht dies mit dem großen Spiel zwischen Russland und England im 19. Jahrhundert, als das britische Kolonialreich drei vergebliche Versuche unternahm, Afghanistan zu erobern und zu besetzen. Heute sind am großen Spiel Pakistan und Iran, Russland und die USA und auch die mächtigsten Akteure, wie sie Raschid nennt, beteiligt: die Ölkonzerne.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Afghanistan zur sogenannten Vierten Welt wirtschaftlich ärmer als selbst Dritt-Welt-Länder. Die Wirtschaft wurde von großen Landgütern und nomadischen Viehhirten beherrscht. Afghanistan wurde immer noch mehr durch die Seidenstraße, Dschingis Khan und Jahrtausende alte religiöse und Kulturdenkmäler geprägt als durch die kapitalistische Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Wegen seiner strategischen Lage erhielt das heruntergekommene Königreich jedoch begrenzte Wirtschaftshilfe durch die damalige UdSSR und die USA. In den siebziger Jahren schaute eine wachsende Schicht von niederrangigen Offizieren auf den Stalinismus als Modell, als Alternative zum kapitalistischen Westen. Eine andere Gruppe bewegte sich Richtung Islam.
Im Dezember 1979 fiel die Sowjetunion in Afghanistan ein, angeblich um das Land vor dem Hintergrund eines verstärkten Machtkampfs und Militärputschen zu stabilisieren. Raschid beschreibt die folgenden 21 Jahre als längsten Bürgerkrieg in unserer Zeit, in dem 1,5 Millionen Menschen getötet wurden.
Der Abzug der UdSSR 1988 nach dem Abkommen von Genf, wurde durch Opposition gegen einen endlosen und ungewinnbaren Krieg und durch die Krise in der UdSSR selbst verursacht. Der Krieg in Afghanistan half, den Zusammenbruch des Stalinismus ein paar Jahre später zu beschleunigen. Der Bürgerkrieg ging weiter, zuerst gegen den sowjetfreundlichen Präsidenten Nadschibullah und dann zwischen den Kriegsherren, die während des Konflikts annähernd 10 Milliarden Dollar von den USA und Saudi-Arabien erhalten hatten.
Die Gründe für das schnelle Wachstum der Taliban waren der Zusammenbruch der Wirtschaft und traditionellen Lebensweise. Dies wurde durch die unterdrückerische Politik des westlichen Imperialismus verschlimmert und wurde durch das katastrophale Fiasko des Stalinismus und die korrupte Herrschaft miteinander rangelnder Kriegsherren weiter verschärft.
1992 wurde Nadschibullah durch tadschikische Kräfte unter der Führung von Ahmed Schah Massud und turkmenische Kräfte unter der Führung von Raschid Dostum gestürzt. Burhannudin Rabbani wurde der neue Präsident. Aber die Pathanen und die extremislamistische Opposition mit Gulbuddin Hekmatjar an ihrer Spitze akzeptierte das Regime nicht und begann eine brutale Bombardierung Kabuls. Dies war das Vorspiel zu ethnischen Konflikten, die bis dahin in Afghanistan selten waren. Die ethnischen Pathanen sind im Süden eine Mehrheit und bilden 40% der gesamten nationalen Bevölkerung von 20 Millionen Menschen. Türkische und persische ethnische Gruppen herrschen im Norden vor. Das Land wird durch das Hindukusch-Gebirge geteilt, das von persischsprachigen Hasaris und Tadschiken bewohnt ist.
Pakistans Einfluss
Die meisten Taliban waren Studenten von den Madrisas (islamischen Religionsschulen) in Pakistan. Sie hatten am Krieg gegen die sowjetischen Truppen nicht teilgenommen. Mit pakistanischer Hilfe übernahmen sie Ende 1994 die Kontrolle über große Waffenvorräte. Das ganze Land war mehr oder weniger zusammengebrochen. Talibanführer Mullah Mohammed Omar wurde fast als Robin-Hood-artige Figur gesehen, als die Taliban Kandahar eroberten und die Kriegsherren entwaffneten und Schieber verhafteten. Nahrungsmittel wurden billiger, als die Straßen geöffnet wurden und die Stadt wurde verhältnismäßig ruhiger.
Die Taliban führten hartes Scharia-Recht ein. Nach 20 Jahren sich ständig verschlechternder Bedingungen wurde Frauen Arbeit außer Haus verboten. Musik, Fernsehen, Video, Kartenspiel, Singen und Tanzen (sogar auf Hochzeiten), Papierdrachen und Drachensteigenlassen wurden allesamt verboten. Homosexualität wurde verboten. Fünfundvierzig Schulen wurden geschlossen und nur drei blieben offen. Selbst vor den Taliban konnten 90% der Mädchen und 60% der Jungen nicht lesen. Laut Raschid sind die meisten Menschen mit irgendwelcher Bildung aus dem Land geflohen.
Unter den jungen Talibansoldaten gab es überhaupt keine Kritik an dieser Politik. Sie waren in den abgeschlossenen und ausschließlich männlichen Madrisas aufgezogen worden und sahen sich selbst als Soldaten Gottes. Wichtiger war, dass es keine Alternativen gab. Die Taliban versprachen Frieden und verurteilten die Kriegsherren und bekamen Unterstützung durch die kriegsmüde Bevölkerung. Die Taliban hatten das Glück, dass sie zu der Zeit auftraten, als die kommunistischen [das heißt: stalinistischen] Machtstrukturen zerfallen waren, die Widerstandsführer diskreditiert und die traditionellen Stammesführer beseitigt waren, fasst Raschid zusammen.
Die pakistanische Regierung unter Benasir Bhuttos Pakistanischer Volkspartei (PPP) und die Inter Service Intelligence Agency (ISI [pakistanischer Geheimdienst]) schufen die Taliban praktisch, indem sie Geld und Waffen lieferten. Kandahar wurde an Pakistans Telefonnetz angeschlossen. Die USA unterstützten offiziell keine Seite, unterstützen die Zuschüsse Pakistans und Saudi-Arabiens aber indirekt. Raschid kommentiert: Die Clinton-Regierung neigte den Taliban zu, weil sie in Washingtons anti-iranische Politik passten und für die Möglichkeiten zum Aufbau von nicht durch den Iran führenden Ölpipelines aus Zentralasien wichtig waren.
Die Rabbani-Regierung bekam Hilfe aus Iran, Russland und Indien. Die Taliban jedoch bekamen wachsende Unterstützung in Kabul, wo sich die Bevölkerung gegen die Plünderung und Schikanen durch Massuds Soldaten wandte. Die Talibann vergrößerten auch ihren Ruf, als sie die Lebensmittelblockade beendeten. Der frühere Favorit des Westens, Hekmatjar, trat im Juni 1996 in die Regierung ein, um die Taliban-Offensive zu beenden. Aber im September 1996 fuhren die vertrauten Taliban-Jeeps in Kabul ein. Die Bevölkerung verstand nicht, was die Folgen sein würden. Innerhalb von 24 Stunden wurden Mädchenschulen mit 75.000 Schülerinnen geschlossen.
In Kabul wurden die Taliban wie später in Herat und Masar eine Besatzungsarmee. Scharia-Recht, rücksichtslose Morde und pathanischer Nationalismus brachten die EinwohnerInnen schnell gegen sie auf. In Masar vertrieb ein Aufstand die Taliban. 600 Taliban wurden getötet und 1000 gefangen genommen. Beide Seiten verwendeten schrecklich grausame Methoden, zum Beispiel Gefangene in Containern in der Wüste sterben zu lassen. Kinder wurden mehr als alle anderen in den Krieg hineingezogen zwei Drittel haben gesehen, wie jemand durch eine Rakete oder ein Geschoss getötet wird. Alle Kriegsherren werben Kindersoldaten an.
Im Herbst 1997 gab es 750.000 Flüchtlinge im Norden. Etwa eine Million der drei bis vier Millionen Hasaris hungerte. Gleichzeitig erhielten die Taliban 600.000 Tonnen Weizen aus Pakistan. Nahrung wurde zu einer Waffe.
Drogen, Waffen und die CIA
Nachdem die Taliban die Kontrolle in Kandahar übernahmen, wurde der bekannte Obstanbau der Region durch Opium ersetzt. 80% alles Heroins in Europa und 50% der Weltproduktion stammten aus Afghanistan. Diese Produktion wurde unter dem Schutz der Central Intelligence Agency (CIA) der USA entwickelt. Die Produktion von Opium steigerte sich um 35% 1997. Die großen Gewinner waren die Verteiler und Dealer in Europa und Nordamerika, die mehr als 90% der Profite kriegen.
Unter dem Druck des Westens haben die Taliban dieses Jahr die Opiumproduktion drastisch verringert. Das Zurückdrängen hatte eine verheerende Wirkung und verschlimmerte die weitverbreiteten harten Lebensbedingungen. In einem Land, in dem das durchschnittliche Monatsgehalt bei etwa 5 Dollar ist, konnten Kleinbauern durch Mohnanbau 500 Dollar im Jahr verdienen. Aber die Vereinten Nationen belohnten Afghanistan statt der erwarteten Hilfe, um mit der schlimmsten Trockenheit seit 30 Jahren fertig zu werden, mit härteren Sanktionen. Die Taliban zerstörten dann zwei bedeutsame Buddhastatuen, die im dritten Jahrhundert erbaut waren, wobei es im Kontrast zum Schweigen über das Elend von Millionen afghanischer Menschen einen internationalen Aufschrei über diesen Kulturvandalismus gab.
Die Taliban verstümmelten öffentlich Frauen. Fenster wurden schwarz angemalt, damit niemand die Frauen in ihren Wohnungen sehen könne. Im Juli 1998 wurden die UN und alle Hilfsorganisationen aus Kabul vertrieben, obwohl mehr als die Hälfte der 1,2 Millionen EinwohnerInnen von ihnen abhängig war. Zu dieser Zeit kontrollierten die Taliban 90% des Landes, ihre Herrschaft war von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt.
Das Scharia-Recht der Taliban hat nichts mit der afghanischen Kultur zu tun. Die meisten Moslems in Afghanistan gehörten zur Hanafi-Schule der tolerantesten Strömung im sunnitischen Islam. Die extremen Islamisten waren ein neues Phänomen, die aus dem Krieg gegen die USA entstanden und von der CIA und der pakistanischen ISI finanziert und bewaffnet wurden. Von 1971 bis Ende der achtziger Jahre hatte die Zahl der Madrisas in Pakistan 900 auf 13.000 zugenommen. Mit dem Zusammenbruch der öffentlichen Bildung waren diese Schulen oft die einzige Möglichkeit, Bildung zu erlangen. Die Madrisas gehörten zur Deobandi-Schule des Islam, mit Verbindungen zur politischen Partei Dschamiat-e-Ulema-Islam (JUI Gesellschaft der islamischen Gelehrten). Die JUI saß ab 1993 in der von der PPP beherrschten Regierungskoalition. Von den Deobandis übernahmen die Taliban ihre Ablehnung des Stammeswesens. Der Rest ihres Programms, einschließlich der Ansicht, dass alle anderen Strömungen den Islam verraten hätten, sind ein Produkt von Omar und den Taliban selber.
Die Grundlage für die Geburt und Entwicklung dieser Ideen ist die extreme Krise und Verzweiflung in Afghanistan und die Schwäche der sozialistischen und Arbeiterklasse-Traditionen und -alternativen. Raschid beschreibt Pakistan als ein Land mit einer Identitätskrise, wirtschaftlicher Kernschmelze, ethnischen und religiösen Zusammenstößen und einer gierigen herrschenden Elite. Die Unterdrückung durch die Taliban beruht auf Ethnie und Geschlecht ebenso wie Klasse, Religion und Politik.
Schon 1986 rekrutierte die CIA moslemische Radikale auf der ganzen Welt, um sie nach Pakistan zu schicken insgesamt 80.000, von denen ein Drittel an den Kämpfen in Afghanistan teilnahm. Zu ihnen gehörte Osama bin Laden, ein Freund von Mitgliedern der saudi-arabischen Königsfamilie. Nach den Bombenangriffen auf US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 bezeichnete die CIA bin Laden als den Führer einer globalen islamischen Terrorverschwörung. Zweifellos hat er Lager in Afghanistan und hat die Taliban dahin beeinflusst, feindlicher zu den USA und dem Westen zu werden. Laut Raschid war bin Laden jedoch nie in der Lage, die führende Rolle zu spielen, die die CIA im zuschrieb.
Trotz des fortgesetzten Zustroms von neuen Kriegern aus den Madrisas wurden die Taliban von Massuds Truppen mit russischer und iranischer Unterstützung zurückgetrieben. Nach dem Massaker an iranischen Beamten 1998 drohte der Iran mit offenem Krieg. Dies wurde zurückgenommen und Iran setzte seinen Stellvertreterkrieg über Massud fort. Die Talibanarmee hat nie 25.000-30.000 Mann überstiegen, von denen die meisten keine militärische Ausbildung haben. Massud kommandiert eine Kraft von 12.000 bis 15.00 viel erfahreneren Männern.
Die Taliban-Besatzung ist auf Widerstand gestoßen. Es gab Streiks und Studentenproteste in Dschalalabad und auch Gerüchte über einen Putsch. Die Proteste drehten sich um Nahrungsknappheit, Inflation und den Verlust von Auslandshilfe. Die Kindersterblichkeit von 163 auf Tausend ist die vierthöchste der Welt. 260 Kinder von Tausend sterben, bevor sie das Alter von fünf erreichen und 17 von Tausend Müttern sterben bei der Geburt. Die Lebenserwartung beträgt 43-44 für Männer und Frauen. Nur 29% der Bevölkerung haben Zugang zu Gesundheitsversorgung. Nach militärischen Niederlagen gab es Proteste gegen die Herrschaft der Taliban. Die Unzufriedenheit nimmt zu, aber die Religionspolizei in Kabul organisiert immer noch Tausende junger Fanatiker.
Der große Ölrausch
Die anfängliche Unterstützung von Bill Clintons Regierung für die Taliban beruhte auf der Kampagne gegen den Iran, aber noch mehr auf dem Öl und Gas der Region. 1996-98 unterstützte die US-Regierung die Pläne der Ölgesellschaft Unocal für eine Pipeline von Turkmenistan nach Pakistan durch Afghanistan.
Die Entdeckung großer Öl- und Gasvorkommen in Zentralasien eröffnete einen Wettlauf zwischen den Ölgesellschaften. Für Turkmenistan bedeutete der Zerfall der UdSSR wirtschaftlichen Zusammenbruch, da es nicht mehr für Öl und Gas bezahlt wurde, das es an andere Republiken der früheren Sowjetunion verkaufte. Präsident Saparmurad Nijasow unterzeichnete Abkommen mit der Türkei, dem Iran und der argentinischen Ölgesellschaft Bridas für zwei Pipelines. Mobil Oil setzte sich auch in Turkmenistan fest. Die USA und andere westliche Regierungen hatten keine Einwände gegen die halbdiktatorischen Regimes von Nijasow oder Islam Karimow in Usbekistan. In der Tat verachtfachten die USA ihren Handel mit Usbekistan zwischen 1995 und 1998. Die Nato machte Abkommen und führte Manöver mit den Armeen dieser Staaten durch.
Der russische Staat war über die Ausbreitung der Taliban besorgt. Die Wirtschaftskrise in den neuen zentralasiatischen Staaten war neben Korruption und Unterdrückung die Rekrutierungsquelle für die islamistischen Gruppen. Aber noch wichtiger für Moskau war das Öl. Die Regierung unter Boris Jelzin machte es klar, dass sie nicht akzeptieren würde, dass Öl in nichtrussischen Pipelines transportiert würde.
Unter Druck aus Russland endete der Bürgerkrieg in Tadschikistan mit einem Abkommen 1998. Die Regierung in Tadschikistan und die Opposition fürchteten beide die Taliban. Jelzin stationierte dann 25.000 Soldaten im Land und errichtete Lager für Massud. Ein Viertel der Bevölkerung Afghanistans sind TadschikInnen, die einzige ethnische Gruppe in Zentralasien, die persischer im Unterschied zu türkischer Abkunft ist. Der russische Einfluss auf die Regierungen in Kasachstan und Kirgistan ist auch stark.
Da türkische Dialekte im Großteil Zentralasiens einschließlich Xinjiangs [Sinkiangs] in China gesprochen werden, haben die Türkei und das türkische Kapital viel in der Region investiert. Die USA und die Türkei drängen auf eine Pipeline von Baku in Aserbaidschan nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste. Im Mittelpunkt dieses Machtkampfes steht Afghanistan. Russische, iranische und türkische Interessen haben gute Gründe, Massuds Nordallianz zu unterstützen. Ihr Ziel ist, die Taliban und ihre Pläne für eine Pipeline durch Afghanistan zu stoppen. Die USA standen hinter Unocal. Wie Raschid sagt: Die USA sagten kein einziges kritisches Wort, als die Taliban Herat besetzten und Tausende Mädchen aus den Schulen vertrieben. Tatsache ist, dass die USA gemeinsam mit der pakistanischen ISI den Fall Herats als Schritt vorwärts für Unocal und als Rückschlag für den Iran betrachteten. Im September 1996 glaubte die CIA, dass die Taliban in ganz Afghanistan siegreich sein könnten und dass Beziehungen ähnlich denen zwischen den USA und Saudi-Arabien möglich seien. Unocal bot den Taliban Bildung und materielle Ressourcen. Erst später kam die Clinton-Regierung unter Druck, wegen der Behandlung der Frauen durch die Taliban. Das fiel mit fallenden Ölpreisen zusammen und das Pipeline-Projekt wurde auf Eis gelegt.
Öl war ein anderer Grund, warum die herrschende Elite in Pakistan die Taliban unterstützte. Pakistan braucht verzweifelt billige Energie. Seine eigenen Gasfelder erschöpfen sich und Importe nehmen zu. Der Hauptgrund für seine Unterstützung der Taliban ist jedoch der Kampf in Kaschmir. Das Regime in Pakistan hat immer Kaschmir als nationalistischen Klebstoff verwendet und braucht die Basen in Afghanistan. Aber die Kosten sind riesig. Im Juni 1998 zahlte die Regierung in Pakistan trotz der schweren Wirtschaftskrise 6 Millionen an Gehältern für die Talibanverwaltung in Kabul.
Aber die Brüche zwischen der pakistanischen herrschenden Klasse und den Taliban haben zugenommen. Letztere haben pathanischen Nationalismus angeheizt und bewaffnete Gruppe gefördert, die eine islamische Konterrevolution in Pakistan unterstützen.
Raschid zeigt, dass es aus wirtschaftlichen, militärischen und ethnischen Gründen den Taliban unmöglich ist, ein stabiles Regime zu errichten. Massud auf der anderen Seite hat weder die notwendige Stärke noch Unterstützung, um die Macht zu übernehmen. Das Kämpfen hängt zwar völlig von pakistanischer Hilfe für die Taliban und iranisch-russischer Hilfe für Massud ab, aber keiner von ihnen will eine ständige Teilung des Landes mit einer Flüchtlingskrise für die ganze Region. Iran hat schon zwei Millionen Flüchtlinge aus Afghanistan. Es gibt eine wachsende Zahl von Gruppen innerhalb der Talibanbewegung selbst, was zu einem Bürgerkrieg innerhalb der Taliban oder einem Putsch gegen Omar und seine Kandahar-Clique führen könnte.
Ahmed Raschid hat ein reichhaltiges Buch geschrieben, angefüllt mit Fakten und einer Analyse der jüngsten Geschichte. Er ist ein sehr kritischer Beobachter. Aber ohne sozialistische Ideen sind seine Alternativen vage. Raschid scheint zu glauben, dass die USA Afghanistan vor dieser Tragödie hätten retten können. Er befürwortet einen Waffenstillstand. Er schlägt eine schwache Zentralregierung, von der UNO vermittelte Abkommen mit Garantien für alle Gruppen einschließlich von Auslandshilfe und einem Paket zum Wiederaufbau des Landes vor.
Aber die USA und UNO sind in großem Umfang verantwortlich für die schwere Krise. Ebenso die herrschenden Klassen in den anderen beteiligte Ländern. Um den Albtraum in Afghanistan und Zentralasien zu beenden, sind sozialistische und internationalistische Lösungen notwendig. Der Kampf gegen Imperialismus, Militarismus und Kapitalismus ist die Aufgabe der ArbeiterInnen und Unterdrückten in Afghanistan, der Region und global. Nur die Arbeiterklasse kann die Rechte aller ethnischen Gruppen garantieren. Gegenwärtige und künftige Kämpfe gegen reaktionäre politische und religiöse Regime werden die Schulen der revolutionären sozialistischen Kräfte sein.