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Doppelherrschaft
In den nächsten Tagen entwickelte sich eine Situation der Doppelherrschaft. Mit den Räten und deren am 10. November von einer Delegiertenversammlung der Berliner Räte gewählten Vollzugsrat gab es embryonale Organe eines Arbeiterstaates, der eine Entwicklung zu einer sozialistischen Gesellschaft einleiten könnte. Gleichzeitig wurde am 9. November, nach langen Verhandlungen zwischen den Arbeiterparteien eine Regierung gebildet. Liebknecht war an diesen Verhandlungen beteiligt gewesen. Er wurde von unzähligen Arbeiterdelegationen bedrängt, in eine Regierung einzutreten. In ihm, dem prinzipienfestesten aller Kriegsgegner, sahen sie einen Garanten für eine Regierung, die Arbeiterinteressen vertreten würde. Liebknecht war sich der Gefahren einer Regierungsbildung, die nicht aus den Räten selber erwachsen wäre, bewusst. Er spielte nur mit dem Gedanken, für wenige Tage einer Regierungsbildung zuzustimmen und daran teilzunehmen, um einen Waffenstillstand aushandeln zu können. Selbst dafür wurde er von seinen GenossInnen der Spartakusgruppe (die sich bald Spartakusbund nannte) scharf kritisiert, denn jedes Zusammengehen mit den Mehrheitssozialdemokraten konnte die Massen nur verwirren. Unter seinem Einfluss stellte die USPD verschiedene Bedingungen für eine Regierungsbildung mit Vertretern der Mehrheitssozialdemokratie, darunter folgende:
1.Deutschland soll eine soziale Republik sein.
2.In dieser Republik soll die gesamte exekutive, legislative und jurisdiktionelle (ausführende, gesetzgebende und rechtsprechende) Macht ausschließlich in den Händen von gewählten Vertrauensmännern der gesamten werktätigen Bevölkerung und der Soldaten sein.
3.Ausschluss aller bürgerlichen Mitglieder aus der Regierung.
4.Die Beteiligung der Unabhängigen gilt nur für drei Tage als ein Provisorium, um eine für den Abschluss des Waffenstillstands fähige Regierung zu schaffen.
Mit diesen Bedingungen sollte sich eine Übergangsregierung auf die Schaffung einer Republik der Arbeiter- und Soldatenräte verpflichten. Die Mehrheits-SPD lehnte diese Bedingungen ab, für Liebknecht kam ein Regierungsbeitritt nicht mehr in Frage. Die USPD-Vertreter aber einigten sich auf eine Regierungsbildung mit abgespeckten Bedingungen. Diese beinhalteten immerhin die Aussage, dass die „politische Gewalt in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte liegt“, aber auch einen Bezug zur Frage der Konstituierenden Versammlung. Diese solle „erst nach einer Konsolidierung der durch die Revolution geschaffenen Zustände“ erörtert werden. Aber damit war die Verfassunggebende Versammlung auf dem Tisch. Die Regierung bestand aus jeweils drei Vertretern von MSPD und USPD und nannte sich, in Anlehnung an die russische Arbeiterregierung, Rat der Volksbeauftragten. Es gab also zwei Machtzentren: den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte und den Rat der Volksbeauftragten. Ersterer erkannte die Regierung an, letzterer erkannte die politische Macht der Räte an. Was zu keinem Zeitpunkt angetastet wurde war der eigentliche alte kapitalistische Staatsapparat. Minister und andere Staatsbeamte blieben im Amt, was auch für die Provinzen und Kommunen im ganzen Land, mit der Ausnahme von Bremen und Hamburg, galt.
Die Taktik der Feinde der Arbeitermacht, Mehrheits-SPD und Vertreter der alten Ordnung, war nun einerseits die Räte zu unterwandern und gleichzeitig handlungsunfähig zu machen und andererseits eine Kampagne für allgemeine Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung (auch Konstituante oder Nationalversammlung genannt) zu führen. Und das alles unter dem Banner des Sozialismus und der Sozialisierung der Industrie.
Vor allem die Soldatenräte sind von der Mehrheits-SPD und oftmals auch von Offizieren dominiert worden. Nicht selten ergriffen Mehrheits-SPD‘ler die Initiative zur Bildung eines Rats, um diesen unter Kontrolle zu bekommen. Der Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte war zur Hälfte von Arbeitern und zur anderen Hälfte von Soldaten besetzt. Unter den Arbeitern teilten sich MSPD und USPD die Sitze. Es gab also keine linke Mehrheit in diesem Gremium. Gleichzeitig wurde es, organisiert von den Gegnern der Revolution, mit Anfragen und Bittstellungen überflutet. Ohne Verwaltungsapparat ausgestattet führte das zu einer weitgehenden Lähmung der Räte und kam einer Sabotage gleich.
Der Vollzugsrat bestätigte den Rat der Volksbeauftragten, der nun also seine Legitimation sowohl von der alten Macht, als auch von der neuen Macht, erhalten hatte. Der kapitalistische Staats- und Verwaltungsapparat wurde jedoch von dem Rat der Volksbeauftragten nicht angetastet.
Rosa Luxemburg schrieb, dass die Räte „vor Unzulänglichkeiten, vor Schwächen, vor Mangel an eigener Initiative und Klarheit über ihre Aufgaben es fertiggebracht haben, beinahe am zweiten Tag nach der Revolution die Hälfte der Machtmittel sich wieder aus der Hand entgleiten zu lassen, die sie am 9. November erobert hatten.“ Ein nicht unwichtiger Faktor war auch, dass das wichtige Prinzip aus der Pariser Kommune und den russischen Sowjets (russisch für Räte), die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten in den Räten faktisch nicht zur Anwendung kam. So konnten sich die vielfältigen Erfahrungen, die die Arbeiter und Soldaten in den Tagen der Revolution machten, nicht permanenten in der Zusammensetzung der Räte ausdrücken.
Räte oder Nationalversammlung
Die MSPD-Führer präsentierten sich als Verfechter des Sozialismus und die Revolution als siegreich. Sie griffen die Räte nicht frontal an, aber forderten die Einberufung der Verfassunggebenden Versammlung – dies sei demokratischer, weil auf dem gleichen Wahlrecht für alle Staatsbürger basierend, als ein Rätestaat. Diese Argumentation ging einher mit heftiger Lügenpropaganda gegen die Spartakusgruppe und gegen die Bolschewiki. Unter anderem wurde behauptet, die Entente-Mächte würden Deutschland besetzen, sollten Liebknecht und Luxemburg an die Macht kommen. In Flugblättern der SPD hieß es: „Wer ernsthaft und dauernd vergesellschaften will, so dass der Kapitalismus nicht nach ein paar Jahren (wie es in Russland kommt) mächtiger und unbeschränkter dasteht als je zuvor, der muss die Konstituante wollen.“
Die Konstituante war das entscheidende Mittel der Konterrevolution, die Abschaffung des Kapitalismus zu verhindern. Damit nahm die Konterrevolution eine demokratische Form an (obwohl sie, wie wir noch sehen werden, auch zu brutaler Gewalt griff), was auch die Stärke der Arbeiterklasse ausdrückt. Aber die Konstituante war ein Mittel um die direkte Demokratie und Herrschaft der revolutionären ArbeiterInnen und Soldaten durch die indirekte, parlamentarische und bürgerliche Demokratie des Parlamentarismus zu ersetzen. Auf einer Versammlung der Arbeiterräte Berlins am 19. November sagte der Führer der revolutionären Obleute und Mitglied im Vollzugsausschuss der Räte, Richard Müller: „Niemand kann von uns verlangen, dass wir die von den Arbeitern und Soldaten erkämpften Freiheiten und Rechte konterrevolutionären Elementen überlassen. (…) Alles regt sich jetzt, alles will im Rate sitzen und mitregieren. Das schaffende Volk, ob Kopf- oder Handarbeiter soll vertreten sein. Aber nicht jene Parasiten, die am Marke des Volkes gezehrt haben. Genossen! Es bilden sich jetzt auch Räte der Hausbesitzer, es fehlt nur noch, dass sich Räte der Millionäre bilden. Diese Räte lehnen wir ab. Und was steckt hinter dem Schrei nach der Nationalversammlung, der jetzt alle Blätter der bürgerlichen Gesellschaft durchläuft? Warum verlangt man jetzt die Nationalversammlung? Man will auf diesem Wege die politische Gewalt in die Hände der Bourgeoisie zurückgeben.“ In der Illustrierten Geschichte der deutschen Revolution heißt es richtig: „Die Losung des allgemeinen Wahlrechts war zweifellos richtig gewesen, als sie die Reform des kapitalistischen Staates betraf. Sie wurde falsch im Augenblick der Revolution, die der kapitalistischen Herrschaft selber zu Leibe ging.“ Oder wie Rosa Luxemburg sagte: „Die von der Geschichte auf die Tagesordnung gestellte Frage lautet: bürgerliche Demokratie oder sozialistische Demokratie. Denn Diktatur des Proletariats ist Demokratie im sozialistischen Sinne. Diktatur des Proletariats, das sind nicht Bomben, Putsche, Krawalle, Anarchie, wie die Agenten des kapitalistischen Profits zielbewusst fälschen, sondern das ist der Gebrauch aller politischen Machtmittel zur Verwirklichung des Sozialismus (…) Ohne den bewussten Willen und die bewusste Tat der Mehrheit des Proletariats kein Sozialismus.“ Dieser Gedanke zog sich durch das Programm des Spartakusbundes: „Der Spartakus-Bund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewussten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakus-Bundes.“
So weit aber war die Arbeiterklasse noch nicht. Sie hatte keine Klarheit über die Aufgaben der Revolution und setzte in der ersten Phase der Revolution in ihrer Mehrheit die Hoffnungen auf den Aufbau des Sozialismus durch ein einheitliches Agieren der Arbeiterparteien. Man darf dabei nicht vergessen, dass die MSPD zwar den Krieg unterstützt hatte, dies aber mit sozialistischen Phrasen begründet hatte und in Worten dem Sozialismus und der Vergesellschaftung der Industrie niemals, wie die heutige SPD, abgeschworen hatte (und selbst diese reklamiert den ‚demokratischen Sozialismus‘ noch für sich). So profitierte die SPD, als traditionelle Partei der ArbeiterInnen, auch am stärksten von der revolutionären Bewegung. Während erfahrenere Schichten der Arbeiterklasse sich in Richtung USPD und Spartakusbund orientierten, strömte die Mehrheit der neu in das politische Leben eingetretenen ArbeiterInnen in die MSPD und wählten deren Vertreter, die sie oftmals schon viele Jahre als Sozialdemokraten kannten, in die Arbeiter- und Soldatenräte. Die Begeisterung über den Sturz der alten Mächte kannte keine Grenzen und so verfing die geschickte Propaganda der MSPD, die unter der Losung für Einheit und Sicherung der erreichten Errungenschaften ihren Einfluss in der Arbeiterklasse ausweitete.
Rätekongress
Am 16. Dezember trat der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands für acht Tage zusammen. Ebert und seine Gefolgsleute hatten eine absolute Mehrheit der Delegierten auf ihrer Seite. Von 492 Delegierten gehörten 298 zur MSPD und nur 101 zur USPD (davon bildeten zehn eine Gruppe von Spartakisten), der Rest waren Demokraten und Delegierte ohne Parteizugehörigkeit, die aber mehrheitlich mit der MSPD stimmten. Noch aufschlussreicher ist die Zusammensetzung des Kongresses nach Berufen, denn nur 179 Delegierte waren Arbeiter, Angestellte etc., 31 Unabhängige und 164 Mehrheitssozialdemokraten waren hauptamtliche Redakteure, Abgeordnete, Partei- und Gewerkschaftsangestellte und 71 Delegierte waren Intellektuelle. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren nicht zu Delegierten gewählt worden und der Kongress lehnte zwei Anträge ab, sie zu den Beratungen hinzu zu ziehen. Diese anti-sozialistische und gegenrevolutionäre Mehrheit der Delegierten repräsentierte jedoch nicht die Stimmung in der Arbeiterklasse.
Liebknecht führte Massendemonstrationen vor den Kongress, um die Delegierten unter Druck zu setzen. Doch auch das konnte nicht verhindern, dass sich dieses Revolutionsparlament selbst entmachtete, in dem er folgenden Antrag annahm: „Der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, der die gesamte politische Macht repräsentiert, überträgt bis zur anderweitigen Regelung durch die Nationalversammlung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt dem Rat der Volksbeauftragten.“
Die tatsächliche Stimmung unter den Massen drückte sich trotzdem in anderen Beschlüssen des Kongresses aus, vor allem in einem als ‚Hamburger Antrag‘ bekannt gewordenen Beschluss zur Situation in der Armee. Dieser bekräftigte unter anderem die Kommandogewalt der Soldatenräte, die freie Wahl der Offiziere und forderte die beschleunigte Abschaffung des stehenden Heeres und die Errichtung der Volkswehr. Auch wurde ein Beschluss für den unverzüglichen Beginn der für die Sozialisierung reifen Industrien gefällt. Doch diese Beschlüsse blieben ohnmächtiges Papier und wurden niemals von der Regierung umgesetzt.
Die Armee handelt gegen die Revolution
Zehn Tage vor dem Rätekongress hatte es einen ersten Putschversuch der Konterrevolution gegeben. Die Oberste Heeresleitung hatte entsprechende Pläne mit Friedrich Ebert abgesprochen. Unter den regulären Truppen gab es noch der Obersten Heeresleitung loyale Verbände, in vielen Soldatenräten hatte die Mehrheits-SPD eine dominante Stellung. Dies änderte sich in manchen Fällen im Verlauf der Ereignisse, wie im Fall der Volksmarinedivision.
Am 6. Dezember riefen dann Reichswehr-Truppen Ebert zum Präsidenten aus – der nicht ablehnte, sondern sich Zeit zur Beratung mit seinem Kabinett erbat -, griffen eine Demonstration des Spartakusbundes an, töteten dabei 14 Demonstranten und versuchten den Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte zu verhaften. Spontaner Widerstand von Arbeitermassen vereitelte diesen ersten Putschversuch. Zwei Tage später demonstrierten 150.000 ArbeiterInnen unter Spartakus-Parolen gegen Ebert, Scheidemann und Co auf Berlins Straßen.
Zur nächsten Offensive der Konterrevolution kam es am 23. und 24. Dezember, als Reichswehrtruppen gegen die das Berliner Schloss besetzende Volksmarinedivision eingesetzt wurden und es zu heftigen Kämpfen mit 67 Todesopfern kam. Die Volksmarinedivision hatte sich im Laufe der Revolution zu einer besonders stark mit der Berliner Arbeiterklasse verbundenen Einheit entwickelt. Die Matrosen hatten sich nach dem 6. Dezember zwar wiederholt dem Rat der Volksbeauftragten verpflichtet, fügten aber einschränkend hinzu: „als der Regierung, die auf ihrem Program die sozialistische Republik stehen hat.“ Im Falle eines Auseinanderbrechens der Regierung, sollte die Marine die Unabhängigen Sozialdemokraten mit der Waffe in der Hand verteidigen. Das war für Ebert und Co eine ausreichend ernsthafte Bedrohung, um Truppen gegen die Volksmarinedivision zu senden. Doch die Matrosen gingen, nicht zuletzt aufgrund der aktiven Solidarität von Berliner ArbeiterInnen, die die Reichswehrtruppen direkt konfrontierten und sie politisch agitierten, als Sieger aus diesen Zusammenstößen hervor.
Als Reaktion auf diese Ereignisse und die Beteiligung Eberts und Scheidemanns traten die USPD-Minister aus der Regierung aus. Sie ersetzend trat unter anderem der rechte Mehrheitssozialdemokrat Gustav Noske in diese ein. Noske hatte nach dem Matrosenaufstand in Kiel den dortigen Arbeiter- und Soldatenrat unter seine Kontrolle gebracht und sollte im weiteren Verlauf der Revolution noch eine besonders unrühmliche Rolle spielen.
Gründung der KPD
Vor dem Hintergrund dieser Polarisierung zwischen einer sich radikalisierenden Berliner Arbeiterklasse und Regierung, Generalstab und Kapital auf der anderen Seite, fand vom 30.12.1918 bis zum 1.1.1919 der Kongress statt, bei dem Spartakusbund und IKD (Internationale Kommunisten Deutschlands, vormals Bremer und andere ‚Links-Radikale‘) die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gründeten. Der Spartakusbund hatte zwar politisch völlig selbständig agiert, mit der Roten Fahne ein eigenes Organ herausgebracht und keine Verantwortung für die Politik der USPD-Führung übernommen, war aber weiterhin Teil dieser Partei geblieben und nur sehr lose organisiert. Nun sahen die meisten Spartakisten, angesichts der Niederlagen beim Reichsrätekongress und des Wankelmuts der USPD, die Notwendigkeit eine eigene, straffer organisierte Partei zu bilden und den Bruch mit der USPD für alle Arbeiter sichtbar zu vollziehen.
So richtig die Gründung einer selbständigen und gut organisierten revolutionären Partei war, so schwer wog der Fehler, dass es Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in den Jahren zuvor versäumt hatten, ihre Mitstreiter einheitlich und kollektiv in einer revolutionären Organisation zusammen zu schließen. Der Spartakusbund bzw. seine Vorgängerin, die Gruppe Internationale, wurden erst nach dem Beginn des Krieges gegründet, obwohl Rosa Luxemburg früher als andere die Degeneration der SPD-Führung erkannt hatte. Unter den Kriegsbedingungen von Zensur und Repression war es ungleich schwerer eine einheitliche Kraft zu bilden, aber die Notwendigkeit einer solchen wurde auch von den Spartakus-Führern unterschätzt. Dieser Mangel an Organisation und Kollektivität führte nicht nur dazu, dass die revoltionären MarxistInnen nicht einheitlich und organisiert in die Revolution eingreifen konnten und so das Potenzial für den Ausbau ihres Einflusses in den Räten nicht ausgeschöpft wurde. Es führte auch zu einem Mangel an kollektiver politischer Diskussion und damit einem Mangel an politischer Klarheit. Erschwerend kam hinzu, dass die Delegierten des KPD-Gründungskongresses oftmals nicht die erfahrensten örtlichen Führer waren, sondern die Zusammensetzung aufgrund des Mangels an fester Organisation vor Ort zu einem gewissen Grad zufällig war. Das sollte sich nun rächen. Auf dem Kongress dominierten ultra-linke Kräfte, die voller revolutionärer Ungeduld nicht erkannten, dass nicht die Machteroberung durch die Arbeiterklasse als nächster Schritt auf der Tagesordnung stand, sondern es darum ging erst einmal die Massen für ein Programm der Arbeitermacht zu gewinnen. So wurde gegen den Willen von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und anderen Führungspersonen beschlossen, die Wahlen zur Nationalversammlung zu boykottieren. Aus der korrekten grundsätzlichen Position ‚Rätedemokratie statt bürgerlich-parlamentarischer Demokratie‘ zogen die KPD-Delegierten einen falschen taktischen Schluss. Sie unterschätzten die Illusionen, die in der Arbeiterklasse in die Nationalversammlung bestanden und verkannten die Notwendigkeit den Wahlkampf und die Tribüne des Parlaments für revolutionäre Propaganda zu nutzen. Rosa Luxemburg betonte, dass man vor einem langwierigen Kampf stehe und sagte: „Ich spreche von den gewaltigen Massen, nicht von Gruppen, die zu uns gehören. Es kommen Millionen in Betracht, Männer, Frauen, junge Leute, Soldaten. Ich frage Sie, ob Sie mit gutem Gewissen sagen können, dass diese Massen, wenn wir hier beschließen die Nationalversammlung zu boykottieren, den Wahlen den Rücken kehren werden oder, noch besser, ihre Fäuste gegen die Nationalversammlung richten werden? Das könnt Ihr nicht mit gutem Gewissen behaupten (…) In welcher Weise wollen Sie die Wahlen beeinflussen, wenn Sie von vornherein erklären, wir halten die Wahlen für null und nichtig? Wir müssen den Massen zeigen, dass es keine bessere Antwort gibt auf den gegenrevolutionären Beschluss gegen das Rätesystem, als eine gewaltige Kundgebung der Wähler zustande zu bringen, indem sie gerade die Leute wählen, die gegen die Nationalversammlung und für das Rätesystem sind.“
Mit 62 zu 23 Stimmen wurde jedoch der Boykott beschlossen. Das war ein entscheidender Grund für die revolutionären Obleute, der neuen Partei nicht beizutreten, sondern in der USPD zu bleiben. Weitere ultralinke Positionen wurden zu den Gewerkschaften eingenommen, wenn auch nicht formal beschlossen. Aber die Mehrheit der Delegierten erkannte den Zustrom von Arbeitern in die Gewerkschaften nicht und vertrat die Auffassung, dass Kommunisten nicht in den Gewerkschaften arbeiten sollten. Die KPD isolierte sich von den Massen. An den Wahlen zur Nationalversammlung nahmen 83 Prozent der Wahlberechtigten teil. 11,5 Millionen (37,9 Prozent) wählten SPD und 2,3 Millionen (7,6 Prozent) USPD. Bürgerliche Parteien stellten die Mehrheit. Das Projekt von Kapitalisten und SPD-Führeren, das kapitalistische System durch die Nationalversammlung zu retten, war erst einmal geglückt.
Januaraufstand
Doch noch bevor die Wahlen zur Nationalversammlung stattfanden, wurde die revolutionäre Arbeiterschaft Berlins in eine Schlacht hinein provoziert, die zu einer schweren Niederlage und einem großen Rückschlag für die Revolution führte.
Die Kräfte der Konterrevolution, unter anderem die auch von Sozialdemokraten unterstützte Anti-Bolschewistische Liga, entwickelten im Dezember und Januar eine immer aggressivere Hetze gegen den Spartakusbund. Offen wurde auf Plakaten und Flugblättern zum Mord an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen Spartakus-Führern aufgerufen.
Armeeführung und die MSPD-Regierung bereiteten sich auf einen entscheidenden Schlag gegen die Revolution vor. Dazu konnten sie die, in den Wochen zuvor gebildeten, Freiwilligenverbände (Freikorps) nutzen. Das waren Verbände, die aus den reaktionärsten Teilen der alten Armee bestanden. Nicht zufällig finden sich viele Freikorps-Mitglieder später in den Reihen von SA, SS und NSDAP wieder.
Es wurde eine Provokation organisiert, die die KPD, USPD und die revolutionären ArbeiterInnen zu Aktionen verleiten sollte, welche wiederum als Anlass zu militärischer Unterdrückung dienen sollten. Die Provokation war die Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, eines USPD-Manns, der 2.000 Arbeiter und Soldaten zu einer ‚linken‘ Polizeieinheit zusammen gefasst hatte. Eichhorn wurde am 3. Januar vom Innenministerium zum Rücktritt aufgefordert und weigerte sich erwartungsgemäß.
USPD, revolutionäre Obleute und KPD riefen darauf hin zu einer Demonstration zur Verteidigung Eichhorns auf. Dies sollte eine friedliche Demonstration des Willens zum Widerstand sein. Hunderttausende beteiligten sich am 5. Januar daran. Die Massen drängten zur Aktion und als ein Provokateur dazu aufrief das Gebäude der Vorwärts-Redaktion zu besetzen, folgten sie. Der Vorwärts hatte sich als Zentralorgan der SPD oftmals mit anti-revolutionären Artikeln hervor getan und war schon im Dezember für kurze Zeit von revolutionären Arbeitern besetzt worden. Die Führer der USPD, die in Berlin vom linken Flügel dominiert wurde, die revolutionären Obleute und Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck von der KPD versammelten sich und entschieden sich dafür, den Kampf zum Sturz der Regierung aufzunehmen und bildeten einen Revolutions-Ausschuss. Das war eine folgenschwere Fehlentscheidung. Selbst wenn die Berliner Arbeiterklasse möglicherweise bereit und fähig zum Regierungssturz gewesen wäre, so galt das ganz sicher nicht für den Rest Deutschlands.
Die Situation erinnerte an die so genannten Juli-Tage in Russland 1917. Auch hier preschte das Proletariat Petrograds, die Speerspitze der revolutionären Bewegung, voller Ungeduld und revolutionärem Elan vor und versuchte die Regierung zu stürzen. Hier erkannten die Bolschewiki, dass ein solcher Schritt verfrüht gewesen wäre. Als sie die ArbeiterInnen nicht von einer bewaffneten Demonstration abhalten konnten, stellten sie sich an deren Spitze, um dafür zu sorgen, dass diese als Protestdemonstration friedlich und organisiert durchgeführt wurde. Damit gelang es ihnen, die entscheidenden Kräfte der russischen Arbeiterklasse, die Arbeiter Petrograds, nicht ins offene Messer rennen zu lassen und diese Kräfte intakt zu halten für den Moment der Machtergreifung, der im Oktober 1917 gekommen war.
Rosa Luxemburg und die Mehrheit der KPD-Führung erkannte den Fehler und unterstützte Liebknechts Handeln nicht, hielt ihn aber auch nicht davon ab, in den Revolutions-Ausschuss einzutreten und Berlins Arbeiter zum Kampf aufzurufen.
Karl Radek, der in diesen Tagen für die Bolschewiki den Kontakt zur KPD unterhielt, schrieb am 9. Januar an das Zentralkomitee der KPD: „In ihrer Programmbroschüre ‚Was will der Spartakusbund?‘ erklären Sie, die Regierung erst dann übernehmen zu wollen, wenn Sie die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter sich haben. Dieser vollkommen richtige Standpunkt findet seine Begründung in der einfachen Tatsache, dass die Arbeiterregierung ohne Massenorganisationen des Proletariats undenkbar ist. Nun sind diese einzig in Betracht kommenden Massenorganisationen, die Arbeiterräte, fast nur nominell vorhanden. Sie haben noch keine Kämpfe geführt, die Massenkräfte auslösen könnten. Und dementsprechend hat in ihnen nicht die Partei des Kampfes die Oberhand, die Kommunistische Partei, sondern die Sozialpatrioten oder die Unabhängigen. In dieser Situation ist an die Machtergreifung des Proletariats gar nicht zu denken. Würde sie, die Regierung, durch einen Putsch in eure Hände fallen, sie würde in ein paar Tagen von der Provinz abgeschnürt und erdrosselt werden. In dieser Situation durfte die Samstag von den revolutionären Obleuten beschlossene Aktion wegen des Anschlags der sozialpatriotischen Regierung auf das Polizeipräsidium nur den Charakter einer Protestaktion tragen. Die Vorderreihe des Proletariats, erbittert durch die Politik der Regierung, missleitet durch die revolutionären Obleute, die ohne jede politische Erfahrung, nicht imstande sind, das ganze Kräfteverhältnis im ganzen Reich zu übersehen, haben in ihrem Elan die Bewegung aus einer Protestbewegung zu einem Kampf um die Gewalt ausgestaltet. Das erlaubt den Ebert und Scheidemann, der Berliner Bewegung einen Schlag zu versetzen, der die ganze Bewegung auf Monate schwächen kann.“
Radek und auch Rosa Luxemburg schlugen Schritte zum organisierten Rückzug vor und orientierten auf eine Neuwahl der Arbeiter- und Soldatenräte. Aber es war zu spät, der Kampf hatte begonnen. Der Revolutions-Ausschuss beging darauf hin den noch unverzeihlicheren Fehler, den von ihm ausgerufenen Kampf nicht entschlossen zu führen, keine der notwendigen Maßnahmen zur Erreichung des Ziels zu ergreifen und auf dem Höhepunkt der Mobilisierungen nur die Losung zu Demonstrationen auszugeben. Für zwei Tage, am 5. und 6. Januar, war die Regierung handlungsunfähig. Der 6. Januar sah einen Generalstreik und eine halbe Million ArbeiterInnen auf Berlins Straßen. Selbst Noske gab zu, dass mit einer entschlossenen Führung die Massen Berlin in ihre Hände hätten bekommen können. Aber selbst das geschah nicht. Aufgrund der Untätigkeit der USPD zogen sich Liebknecht und Pieck wieder aus dem Revolutions-Ausschuss zurück. Noch während Verhandlungen mit der Regierung stattfanden, schlug diese zu.
Noske wurde am 6. Januar zum Oberbefehlshaber ernannt. In seinen Erinnerungen schreibt er über die Beratungen der Regierung an diesem Tag: „Meiner Meinung, dass nun versucht werden müsse, mit Waffengewalt Ordnung zu schaffen, wurde nicht widersprochen. Der Kriegsminister, Oberst Reinhardt, formulierte einen Befehl, durch den die Regierung und der Zentralrat den Generalleutnant von Hoffmann, der mit einigen Formationen nicht weit von Berlin war, zum Oberbefehlshaber ernannte. Dagegen wurde eingewendet, dass die Arbeiter gegen einen General die größten Bedenken hegen würden. In ziemlicher Aufregung, denn die Zeit drängte, auf den Straßen riefen unsere Leute nach Waffen, stand man im Arbeitszimmer Eberts umher. Ich forderte, dass ein Entschluss gefasst werde. Darauf sagte jemand: ‚Dann mach du doch die Sache!‘ Worauf ich kurz entschlossen erwiderte: ‚Meinetwegen! Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!‘“
Der Bluthund führte die Freikorps gegen die kämpfenden Arbeiter in den besetzten Zeitungsredaktionen (mittlerweile waren mehrere Zeitungsgebäude besetzt worden) und schlug den Januaraufstand brutal nieder. Die Kämpfe hielten bis zum 12. Januar an. Nach offiziellen Angaben sind in diesen Tagen 156 Menschen ums Leben gekommen, tatsächlich werden es viel mehr gewesen sein. Die Freikorps wüteten mit unmenschlicher Bestialität. Im USPD-Organ ‚Freiheit‘ berichtete ein Gefangener: „Als der Gefangenentransport vor die Alexanderkaserne kam, wurden fünf davon … auf offener Straße an die Wand gestellt und von Regierungssoldaten … niedergeschossen … Die übrigen Gefangenen wurden, während sie durch das Tor in den Kasernenhof transportiert wurden, in unerhörter Weise von Regierungssoldaten, sogenannten ‚Maikäfern‘, misshandelt und mit Kolbenschlägen traktiert … Ein sechzehnjähriger Knabe, der sich unter den Gefangenen befand, natürlich Zivilist, rief auf dem Kasernenhof ‚Hoch Liebknecht‘ und erhielt … mit dem Kolben einen Schlag auf den Kopf, der ihm den Schädel spaltete.“
Die Hetze gegen die KPD erreichte neue Höhen. Im Vorwärts erschien folgendes Gedicht:
Vielhundert Tote in einer Reih –
Proletarier!
Karl, Rosa, Radek und Kumpanei
– es ist keiner dabei,
es ist keiner dabei!
Proletarier!
Am 15. Januar wurde der vielfache Aufruf zur Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknecht von Freikorps-Soldaten in die Tat umgesetzt. Die beiden wichtigsten revolutionären Führungspersönlichkeiten der deutschen Arbeiterklasse versteckten sich zwar, wollten aber nicht völlig untertauchen und die Berliner ArbeiterInnen, aus ihrer Sicht, nicht im Stich lassen. Sie wurden von Freikorps aufgespürt und ermordet.
Die Januar-Niederlage und die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg schließen die erste Phase der deutschen Revolution der Jahre 1918 bis 1923 ab. Mit dem Verlust von Liebknecht und Luxemburg war die KPD schwer getroffen. Ihrer stärksten intellektuellen Führerin und ihres in der Arbeiterklasse angesehensten Führers beraubt, war die KPD über Jahre nicht in der Lage sich eine Massenbasis aufzubauen und unfähig die sich in den folgenden Jahren ergebenden Möglichkeiten zum Sturz der kapitalistischen Ordnung zu ergreifen.
Nach der Niederschlagung des Aufstands in Berlin, zogen die Freikorps durch Deutschland und stellten in einer Stadt nach der anderen ‚Ruhe und Ordnung‘ her und zerschlugen die revolutionären Räte, wo es sie gab. Im Mai fiel als letztes die Bayrische Räterepublik. Der dortige kommunistische Führer Eugen Leviné wird vor seiner Hinrichtung mit den heroischen Worten zitiert: „Wir Kommunisten sind nur Tote auf Urlaub. (…) Sie mögen mich töten – meine Ideen werden weiter leben!“
Die Arbeiterklasse hatte einen schweren Rückschlag erlitten, aber sie war nicht besiegt. Ende Februar führten Neuwahlen zu den Berliner Arbeiterräten zu einer deutlichen Stärkung von USPD und KPD. Hunderttausende traten in den nächsten Monaten in ganz Deutschland in die USPD ein. Streikwellen für Sozialisierung der Industrie und wirtschaftliche Forderungen der Arbeiterklasse duchzogen das Land. In Berlin kam es im am 4. März zu einem von der Vollversammlung der Arbeiterräte ausgerufenen Generalstreik für die Anerkennung der Arbeiter- und Soldatenräte, die Freilassung aller politischer Gefangenen, die Verhaftung der Mörder von Luxemburg und Liebknecht, die Auflösung der Freikorpsverbände und ähnliches. Noske ließ Berlin von 30.000 Freikorps-Söldnern besetzen und unterdrückte den bis zum 8. März dauernden Streik brutal. In diesen Tagen wurde der Nachfolger von Luxemburg und Liebknecht an der Spitze der KPD, Leo Jogiches, ermordet. Doch auch diese Rückschläge markierten keine dauerhafte Niederlage für die Arbeiterklasse. Die Konterrevolution musste, trotz aller Brutalität der Freikorps, sich eine demokratische Form geben. Die Novemberrevolution erkämpfte wichtige Errungenschaften, wie den 8-Stunden-Tag, staatliche Arbeitslosenversicherung, die Festschreibung von Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen, das freie und gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen und andere.
Weitere Gelegenheiten zur erfolgreichen Revolution sollten sich schon 1920 und 1923 entwickeln. Und so bestätigten sich Rosa Luxemburgs Worte in ihrem letzten Artikel vom 14. Januar 1918: „‘Ordnung herrscht in Berlin!‘ Ihr stumpfen Schergen! Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon ‚rasselnd wieder in die Höh‘ richten‘ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein!“
Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV und verantwortlicher Redakteur von sozialismus.info. Er lebt in Berlin.