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Die WSPU und die Suffragetten
Die unklare Positionierung der ILP und ihre Tatenlosigkeit bezüglich des Frauenwahlrechts und der generellen Haltung der Führung der Arbeiterorganisationen, die offenbar kein großes Interesse an einer Gefährdung der männlichen Vorherrschaft in der Politik hatten, führte zu einer großen Unzufriedenheit vieler Aktivistinnen. Ihnen erschienen aber auch die gemäßigten Methoden der NUWSS eher fruchtlos. 1903 gründete die bekannte Kämpferin und damalige Sozialistin Emmeline Pankhurst zusammen mit ihren Töchtern Christabel und Sylvia, Hannah Mitchell und anderen die WSPU (Women`s Social and Political Union), die für „Taten statt Worte“ stehen und politischen Druck auf die männlichen Arbeiteraktivisten entfalten sollte. Obwohl sie zu Beginn nur eine Handvoll Aktivistinnen umfasste, erfreute sich die WSPU einiger Aufmerksamkeit auf der Linken. So schrieb Julie Dawson in der wichtigsten sozialistischen Tageszeitung „The Clarion“ am 1. Januar 1904: „Mrs Pankhurst und einige andere ernsthafte Frauen haben dieses Jahr einen Kreuzzug begonnen, um die Labour Party zu zwingen, sich für Frauen einzusetzen. Sie denken, dass sich Frauen in der Vergangenheit zu sehr für ihre Existenz geschämt haben und zu unterwürfig waren… Das ist gut. Ich blicke nun auf Frauen in anderen Städten und frage, was sie denn tun?”
Die WSPU-Aktivistinnen wollten eine schlagkräftige Gruppe. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und ein gleiches Ehe- und Scheidungsrecht für beide Geschlechter waren Teil ihres Programms. Im Vordergrund stand jedoch klar die Forderung nach dem Frauenwahlrecht. Als ILP-Mitglieder suchten sie auch die Verbindung zu ArbeiteraktivistInnen und organisierten als erste Aktion im Mai 1904 eine Kundgebung vor dem Unterhaus, an der sich auch 400 Mitglieder der “Women“s cooperative guild” der Textilarbeiterinnen teilnahmen.
Offensichtlich hatten die Suffragetten großen Einfluss vor allem in Wahlkampagnen. Im Januar 1908 lobte der Manchester Guardian in seinem Bericht „ihre Aktivität, das bei ihren Versammlungen an den Tag gelegte Interesse, der Erfolg ihrer überzeugenden Methoden, öffentliche Sympathie zu erringen, die große Zahl von Arbeiterfrauen, die als Freiwillige mit ihnen arbeiten …“
Populär wurde die WSPU vor allem durch zahlreiche zum Teil sehr Aufsehen erregende Protestaktionen wie das Stürmen von Wahlveranstaltungen der Liberalen mit Reden und Transparenten, um deren Unterstützung zu unterminieren (zum Teil mit großem Erfolg, so verlor Churchill einige Wahlkreise) und so genug Druck zu machen, dass sie die Forderung nach dem Frauenwahlrecht übernähmen. Auch massiver Saalschutz und andere Sicherheitsvorkehrungen konnten die Aktivistinnen nicht abhalten, so versteckten sie sich vor einer Veranstaltung mit Llyod George in Louth 25 Stunden lang in den Dachsparren, um sie stören zu können. Im Bericht der Tageszeitung Daily Mail über eine solche Aktion im Jahr 1905 wurden die WSPU-Aktivistinnen zum ersten Mal als „Suffragetten“ bezeichnet, ein Begriff, der später oft synonym für alle Frauenstimmrechtsaktivstinnen verwendet wurde.
Die zum Teil sehr militanten Aktionen der Suffragetten zogen zahlreiche, manchmal gezielt provozierte Verhaftungen nach sich, die große mediale Aufmerksamkeit erregten. Zu Hunderten landeten die Aktivistinnen im Gefängnis und insbesondere die sozial niedriger gestellten Aktivistinnen litten unter den furchtbaren Haftbedingungen. Bürgerliche Suffragetten, die wesentlich komfortabler untergebracht wurden als die Arbeiterinnen, protestierten gegen diese Ungerechtigkeit. Die adelige Constance Lytton verkleidete sich sogar als Arbeiterin, um nicht privilegiert zu werden – ihr schlechter Allgemeinzustand mit lebenslangen Lähmungserscheinungen am Ende der Haft verursachte einen Skandal.
Im Gefängnis traten die Suffragetten meist sogleich in den Hungerstreik und erzwangen so ihre vorzeitige Freilassung. Später wurden sie allerdings neben anderer Repressionen der grausamen Zwangsernährung unterzogen, unter dem Vorwand, ihr Leben retten zu wollen. Mit allen Mitteln sollte der Widerstand der „wild gewordenen Weiber“ gebrochen werden. 1913 erließ die liberale Regierung den sogenannten „Cat and Mouse Act““, der es erlaubte, die hungerstreikenden Frauen so lange aus der Haft zu entlassen bis sie sich wieder erholt hatten, danach aber sofort wieder einzusperren, was für viele dauerhafte gesundheitliche Schäden nach sich zog.
Doch gerade das alles verschaffte den Suffragetten immer mehr Popularität und immer neue Mitglieder, die dem beeindruckenden Beispiel der disziplinierten Suffragetten folgen wollten. Da sie sich als „Armee im Kampf“ verstanden, bestanden sie auf die äußerste Hingabe an den Kampf, was allerdings auch dazu führte, dass arbeitende Frauen aus zeitlichen Gründen nicht dieselbe Rolle spielen konnten wie die Mittel- oder Oberklasse-„Hausfrauen“. Zu ihren Spitzenzeiten zählte die WSPU wohl 2000 Mitglieder, aber unzählige SympathisantInnen. Ihr Zentralorgan Votes for Women erreichte eine Auflage von 40.000 Exemplaren pro Woche.
Arbeiterinnen und Sozialistinnen in der WSPU
Die gesamte Stimmrechtsbewegung war als Teil der bürgerlichen Frauenbewegung vorwiegend von Frauen aus der Mittel- und Oberschicht getragen, ebenso die WSPU, worauf auch ihre finanzielle Stärke hinweist. Für Frauen ohne finanziellen Hintergrund waren die Hürden ungleich höher, sich stark einzubringen. Nichtsdestotrotz fanden sich auch zahlreiche Arbeiterinnen in den Reihen der WSPU. Bereits bei der Gründung hatte die Arbeiterinnenbewegung einigen Einfluss auf die WSPU, zum einen durch die Gründungsversammlung in der Industriestadt Manchester, zum anderen durch die anfängliche Orientierung auf die Independent Labour Party. Schließlich war Emmeline Pankhurst langjährige Parteiaktivistin und -funktionärin in Manchester gewesen, lange bevor sie sich für das Frauenwahlrecht engagierte.
Die Sozialistin Sylvia Pankhurst selbst organisierte gemeinsam mit der ehemaligen Textilarbeiterin Annie Kenny in den Ortsgruppen in East London, damals das aufstrebende Zentrum der Arbeiterbewegung in England, den proletarischen Flügel der WSPU. Die East End Sufragetten verbanden den Kampf für das Frauenwahlrecht mit dem Kampf für die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Arbeiterinnen und verstanden sich als Teil der Arbeiterbewegung und arbeiteten eng mit Labour und den Gewerkschaften zusammen. So organisierte Sylvia Pankhurst 1904 eine Demonstration mit 1000 Teilnehmerinnen von East End nach Westminster.
Nichtsdestotrotz wurden die Suffragetten oft von den proletarischen SuffragistInnen kritisiert, unter anderem für ihre beschränkten Forderungen. Die Suffragistin Julie Dawson schrieb im Clarion am 24. August 1906: „ Sie haben ihre Transparente mit dem Slogan “Stimmrecht für Frauen”, und die unwissende Menge, die ihnen zuhört, denkt, dies bedeute Stimmrecht für alle Frauen. Damit ist jedoch vielmehr Stimmrecht für einige Frauen gemeint. Nicht für mich, sicher nicht, und nicht für dich, geschätzte Leserin, vielleicht, sondern für einige Frauen die Qualifikationen besitzen, die wir nicht haben.” In der Tat traten die Suffragetten für ein eingeschränktes, an Besitz gebundenes Frauenwahlrecht ein, mit der Begründung, ein allgemeines Frauenwahlrecht sei eine zu weitgehende Forderung, für die sie kaum Gehör finden würden bei den Parteien im Parlament. Damit repräsentierte sie einen allgemeinen Trend der bürgerlichen Frauenbewegung zur “Mäßigung” ihrer Forderungen und stärkerer Ausprägung ihres Klasseninteresses.
Andere fühlten sich von ihrer „art of rioting“ bei den Störaktionen der Suffragetten abgestoßen und konnten sich nicht gemein fühlen mit „gebildeten und Oberklassefrauen, die treten, kreischen, beißen und spucken“ (Eva Gore-Both in einem Brief an Mrs Fawcett, 25.10.1906) und sahen diese provokativen Aktionen als kontraproduktiv für ihren Kampf an. Ein praktisches Problem, welches Arbeiterinnen davon abhielt, an solchen Aktionen teilzunehmen, war die Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ins Gefängnis müssten. Außerdem waren sie für den Haushalt, Kinderbeaufsichtigung usw. von so hoher Wichtigkeit, dass sie nicht lange Zeit abwesend sein konnten. Ihre Lebensumstände erforderten andere Protestformen.
Der Schwarze Freitag
Auf ihrem Höhepunkt brachte die Wahlrechtsbewegung große Massen auf die Straße. Zehntausende demonstrierten am 19. Februar 1906. Am 21. Juni 1908 marschierten 500.000 Menschen für das Stimmrecht durch den Londoner Hyde Park. Auch die WSPU organisierte Infotische, Spontankundgebungen und Demonstrationen. Am 13. Februar 1907 rief sie in der Londoner Caxton Hall das erste Frauenparlament ein, das solange Bestand haben sollte, bis Frauen auch das passive Wahlrecht für das offizielle Parlament besäßen. Von dem ausgehend gab es zahlreiche Demonstrationen zum Parlament, denen die Polizei immer wieder mit Brutalität begegnete.
Durch diese Aktionen und den jahrelangen harten Kampf hatte die Stimmrechtsbewegung erreicht, dass ein „Versöhnungsausschuss“ aller Parteien im Parlament eine Gesetzesvorlage für ein eingeschränktes, da nur Frauen mit einem gewissen Besitz (Mindestmiete) betreffendes, Frauenwahlrecht ins Parlament einbrachte. Nun mussten sie aber erleben, wie die dritte Lesung dieser Vorlage immer wieder über Monate hinweg verschoben wurde und der neue liberale Premierminister Herbert Asquith, ein entschiedener Gegner des Frauenwahlrechts, am Ende verkündete, dass es keine weitere Debatte über dieses Gesetz geben würde.
Daraufhin brach das Frauenparlament einen zuvor mit der Regierung verabredeten „Waffenstillstand“ und eine Abordnung von 300 Frauen zog zum House of Commons, um dort zu protestieren. Obwohl sich die Suffragetten brav an die Auflagen der Polizei hielten, nur in Kleingruppen von höchstens 12 zum Gebäude zu ziehen, ging die Polizei mit äußerster Brutalität gegen sie vor. Mehrere Polizisten bedrängten einzelne Frauen, schlugen sie, traten sie, warfen sie zu Boden, bis hin zu sexuellen Misshandlungen – sechs Stunden lang. 115 Frauen und vier Männer wurden verhaftet, mindestens drei Frauen starben infolge ihrer Verletzungen oder an Herzversagen. Eine weitere Aktivistin starb ein paar Tage später, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen worden war. Eine Untersuchungskommission seitens der Regierung wurde vom damaligen Home Secretary Winston Churchill nicht zugelassen.
„Direkte Aktion“ der Suffragetten
Die Niederlage für ihre Forderungen in der Labour Party hatte der WSPU bereits einen schweren Schlag versetzt und ihre Führung immer weiter von Massenmobilisierungen und der Arbeiterbewegung entfernt. Der Schwarze Freitag schließlich markierte den endgültigen Wendepunkt der WSPU hin zur Untergrundbewegung. Unmittelbar nach dieser enormen Niederlage warfen Suffragetten die Fenster von Privathäusern und Automobilen bürgerlicher Politiker ein, überfielen sie manchmal sogar in ihren Kutschen. Das „Window smashing“, das Einwerfen von Fensterscheiben, war damals keine ungewöhnliche Form des Protestes und ging zurück auf alte radikal-bürgerliche Traditionen. Bereits 1908, nachdem sich die Regierung von der halben Million DemonstrationsteilnehmerInnen unbeteiligt gezeigt hatte, flogen Steine durch das Fenster des Premiers in Downing Street 10. Nun weitete die WSPU ihre Aktionen aus, ätzte z.B. ihren Slogan „Votes for Women“ in den Rasen von Golfplätzen.
Emmeline Pankhurst erklärte die zerbrochene Fensterscheibe zum „wertvollsten Argument in der modernen Politik“. Energien sollten nicht mehr auf fruchtlose Protestaktionen verwendet werden, wenn man doch so viel besser zeigen konnte, dass die Regierung das Privateigentum für wichtiger hielte als das Frauenwahlrecht.
Die WSPU isolierte sich immer mehr vom Rest der Frauen- und von der Arbeiterbewegung. Als Reaktion auf das Scheitern einer Gesetzesvorlage der Labour Party zum Frauenwahlrecht im Jahr 1912 distanzierte sich die WSPU frustriert von allen Parteien und allen Männern im Parlament und kündigte auch der Labour Party die Unterstützung. Im Zuge dessen verfestigte sie auch ihren Standpunkt, dass der Kampf um Frauenrechte allein den Frauen überlassen sein sollte und entfernte sämtliche männliche Unterstützer aus ihren Reihen. Einige dieser Männer folgten ihrer Argumentation und gründeten eigene Organisationen, um den Kampf für das Frauenwahlrecht zu unterstützen, wie zum Beispiel die Men Federation for Women Suffrage, die ähnliche Methoden wie die WSPU anwendete. Auch ihre Aktivisten nahmen Misshandlungen, Verhaftungen und Zwangsernährung auf sich.
Trotzdem erklärte die WSPU- Führung am Schluss ihren Kampf de facto zum Geschlechterkampf. Ab 1912 arbeitete die WSPU im Untergrund, einige ihrer Führungspersonen gaben ihre Weisungen aus dem Exil. Sie steigerte die Aktionen zur Zerstörung von Eigentum und erklärte sie zur offiziellen Politik. Die Suffragetten warfen nicht länger nur Schaufensterscheiben von Läden und Kaufhäusern ein, sondern zündeten auch große Landsitze, Amtsgebäude und Kirchen an und warfen Bomben auf öffentliche Gebäude, darunter Westminster Abbey. Wenige Tage nach einer Protestaktion beim Derby 1913 starb Emily Davison an den Verletzungen, die sie sich beim Zusammenstoß mit dem Pferd Georgs V. zugezogen hatte.
Spaltung der WSPU
1910 -1914 war von einer riesigen Streikwelle in der Industrie geprägt, dem so genannten Great Unrest, die ArbeiterInnen aller Schlüsselindustrien mit einbezog. Die allgemeine Polarisierung in der britischen Gesellschaft spiegelte sich auch in der Stimmrechtsbewegung wieder.
Hätte die WSPU Seite an Seite mit den kämpfenden ArbeiterInnen gekämpft, hätten sie die Regierung wahrscheinlich in die Knie zwingen können, denn die WSPU war extrem einflussreich. Die East London Suffragettes wollten sich der Bewegung anschließen, nahmen an Streikaktionen und Maidemos teil. Doch als Sylvia Pankhurst im November 1913 bei einer Kundgebung vor 10.000 ArbeiterInnen in Solidarität mit ausgesperrten streikenden ArbeiterInnen in Dublin und dem irischen Sozialisten James Larkin gesprochen hatte, wurde sie von der autoritären WSPU-Führung um Emmeline und Christabel Pankhurst aus der Organisation geworfen.
Besonders Christabel sah immer schon die Mittel- oder Oberklassenfrauen als zentrale Aktivistinnenschicht im Kampf für das Wahlrecht, nicht zuletzt, weil sie nicht durch ökonomische und soziale Probleme an ihrem Engagement gehindert wurden. Sylvia Pankhurst sagte später über Christabel, sie „fühle dass eine Bewegung arbeitender Frauen nicht von Wert“ sei: „Arbeitende Frauen waren in der schwächsten Position des Geschlechtes: wie könnte es anders sein? Ihr Leben war zu hart, ihre Bildung zu gering, um sie für den Kampf zu rüsten.“ Christabel hatte kein Vertrauen in die Kampfkraft der weiblichen Arbeiterklasse und konzentrierte sich auf „einflussreiche Figuren“ und individuelles Heldinnentum. In dieselbe Richtung tendierte auch ihre Mutter Emmeline, die generell immer konservativer wurde und in ihren letzten Jahren sogar für die Tories kandidierte.
Vor dem Hintergrund der undemokratischen Strukturen der WSPU, wo der Großteil der Aktivistinnen besonders in der illegalen Phase der Organisation kaum Einfluss nehmen konnte, war es den Pankhursts möglich, die Suffragetten immer abseits der sozialen und industriellen Bewegungen zu halten und völlig auf das Frauenwahlrecht zu fokussieren. Hier beschränkten sie sich auf die Forderung nach einem den Männern ähnlichen Wahlrecht, was damals über 60% der Arbeiterklasse ausschloss. Sie befürchteten, die Forderung nach einem allgemeinen Frauenwahlrecht sei zu weitgehend und könnte die Durchsetzung jeden Frauenwahlrechts verhindern. 1919 gab es ein an Alter (28 Jahre) und Besitz (10 Pfund Mindestmiete im Jahr) gebundenes Frauenwahlrecht. Erst 1928 schließlich wurde das allgemeine Wahlrecht für alle eingeführt.
Mit Sylvia Pankhurst, Hannah Mitchell und Pethick Lawrence trennten sich weitere linke Suffragetten von der WSPU und gründeten andere Frauenstimmrechtsorganisationen, die aber nicht annähernd deren Einfluss erreichten. Sylvia hatte die Methoden der WSPU, sich auf individuelle Aktionen statt auf Mobilisierung der Arbeiterklasse zu konzentrieren, schon früh hinterfragt. Obwohl sie selbst zwischen Juni 1913 und Juni 1914 zehn Hungerstreiks vollzogen hatte, forderte sie “nicht länger eine ernsthafte Kampfbereitschaft von wenigen, sondern einen stärkeren Aufruf an die Massen, an dem Kampf teilzunehmen”, was sie selbst im East End auch umsetzte und immer neue Aktivistinnen ausbildete. Mit der ELFS (East London Federation of the Suffragettes) organisierte sie weiterhin Arbeiterinnen in der Frauenbewegung, Arbeiterbewegung und Antikriegsbewegung. Sie führte 1915 eine Kampagne gegen Niedriglöhne unter anderem zusammen mit der Hafenarbeitergewerkschaft, gründete eine selbst verwaltete Fabrik und eine Kinderkrippe.
Suffragetten als Kriegsagitatorinnen …
1914 waren in Britannien 300 000 Frauen in 56 Organisationen organisiert, bis der Erste Weltkrieg zu einem massiven Einbruch der Stimmrechtsbewegung führte. Die Mehrheit der SuffragistInnen beugten sich dem Druck der Kriegspropaganda und verkündeten, die Sache mit dem Frauenwahlrecht habe auf einmal hinter den nationalen Interessen zurück zu stehen. Auch die WSPU erklärte sofort einen Waffenstillstand und unterstützte aktiv den britischen Staat. Im Zuge ihres fortschreitenden Rechtsrucks hatten die Suffragetten bereits zuvor patriotische Tendenzen gezeigt und beispielsweise im Juni 1911 eine Krönungsprozession zu Ehren des Königs organisiert. Zusammen mit ihren ehemaligen konservativen Gegnern Llyod George und Winston Churchill agitierten die Pankhursts nun für den Krieg und griffen alle Männer und Frauen an, die „ihr Recht zu dienen“ in der Armee und Waffenproduktion nicht wahrnahmen. Ihre monatliche Zeitschrift „The Suffragette“ wurde in „Britannia“ umbenannt. Sie bekam die Unterzeile „Für König, Vaterland und für Freiheit“. In dieser Zeitung wurden nun Gewerkschafterinnen, die für ein allgemeines Frauenwahlrecht streiten, als Bolschewistinnen beschimpft, die ihr Land verraten. Annie Kenny erinnerte sich: „Wir hielten riesige Veranstaltungen im ganzen Land ab. Wir wandten uns sowohl an männliche und weibliche Arbeiter in den Munitionsfabriken, und erklärten ihnen die Gefahren eines Streiks dort, oder in den Kohlemienen, und in den Häfen … Wir nannten das die “Anti-Bolschewisten-Kampagne” (Jo Vellacott, „Anti-War Suffragists“).
Unter ihrer immer autoritäreren Führung benannte sich die WSPU 1917 in Women Party um und setzte ihre finanziellen Mittel im wesentlichen für die Kriegsagitation ein. Sie forderte die Auflösung der Gewerkschaften, die Internierung aller nicht britischen Staatsangehörigen im Land und die Säuberung des staatlichen Verwaltungsapparates von nichtpatriotischen Angestellten, allerdings nach wie vor auch neben gleichen Ehe-und Scheidungsrechten, gleiche Berufs- und politische Rechte sowie gleiche Bezahlung von Frauen.
… und als Kriegsgegnerinnen
Mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten und ihrer Abkehr von der Revolution hatten die sozialdemokratischen Parteien Europas auch den Zusammenbruch der internationalen sozialistischen Frauenbewegung eingeläutet. Auch die sozialdemokratischen Frauenorganisationen verteidigten nun „ihre Vaterländer“, einige sozialistische Frauenverbände verbanden sich zu diesem Zweck mit bürgerlichen Frauenverbänden ihres jeweiligen Landes. Konsequente Revolutionärinnen wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg protestierten dagegen, veranstalteten 1917 eine internationale Frauenkonferenz gegen den Krieg in Stockholm, organisierten und unterstützten zahlreiche Demonstrationen und Streiks, besonders in der Rüstungsindustrie gegen den Krieg, die in Österreich, England, Schottland und Frankreich stattfanden. Der Internationale Frauentag 1917, der illegal begangen werden musste, stand unter dem Motto „Friede und Freiheit“.
Vor diesem Hintergrund spaltete sich die NWUSS an den unterschiedlichen Positionen zur Kriegsfrage. Zusammen mit linken KriegsgegnerInnen anderer Länder gründeten sie die Women International League for Peace and Freedom als einzige bürgerliche Antikriegsorganisation von Frauen, wobei die Agitation für das Wahlrecht aber hinter ihren Kampagnen für Frieden und Sturz des Kapitalismus zurück trat. Von den anti-militaristischen SuffragistInnen setzte nur Sylvia Pankursts East London Federation ( ab 1916 Workers“ Suffrage Federation ) die Kampagne auch in Kriegszeiten fort. Die Politik der ELF verband hierbei die Fragen der Gleichberechtigung deutlich mit Forderungen gegen Krieg, Ausbeutung und Kapitalismus und einer sozialistischen Ausrichtung. Die Zeitung der ELF/ WSF, „The Woman `s Dreadnought“, wurde zu einem der wichtigsten Anti-Kriegs-Organe.
Die erfolgreiche sozialistische Revolution in Russland 1917, die im Februar durch den spontanen Streik von 90.000 Textilarbeiterinnen am 8. März ausgelöst worden war, im November die Herrschaft der Kapitalisten und Großgrundbesitzer zu Fall brachte und zunächst durch eine Rätedemokratie der ArbeiterInnen und BäuerInnen ersetzte, weckte große Hoffnungen bei linken SuffragistInnen in ganz Europa: auf ein schnelles Kriegsende, weitreichende demokratische Reformen, den Sturz des Kapitalismus und damit des Patriarchats durch weitere Revolutionen auch in ihren Ländern, auf wirkliche Gleichberechtigung im Sozialismus.
Schließlich konnten die Arbeiterinnen im revolutionären Russland sofort nie da gewesene Reformen durchsetzen: in den ersten Jahren vor ihrer stalinistischen Entartung hatten Frauen in der jungen Sowjetunion das Recht auf Abtreibung, auf zivile Heirat und sofortige Scheidung, Mutterschutz, die gleichen Familienrechte wie die Männer und natürlich das allgemeine Wahlrecht. Staatliche KiTas, öffentliche Wäschereien und Kantinen, die in kurzer Zeit eingerichtet wurden, befreite die Frauen von ihrer Rolle als Erzieherin und Haushaltshilfe. Einige dieser Errungenschaften konnten sich auch unter Stalin noch halten.
Exkurs: Sylvia Pankhurst
„Unsere sehnlichsten Hoffnungen gelten dem schnellen Sieg der Bolschewiki in Russland. Mögen sie die Tür öffnen, die zur Freiheit führt für alle Völker aller Länder“ schrieb Sylvia Pankhurst 1917. Die ELF benannte ihre Zeitung in Workers“ Dreadnought um und propagierte die Idee einer Rätedemokratie. Sylvia Pankhurst gründete das People“s Russian Information Bureau und vertrieb verschiedene Erstausgaben von Schriften russischer RevolutionärInnen wie Lenin, Trotzki und Alexandra Kollontai sowie Clara Zetkin. 1919 beteiligte sich die ELF an der „Hands Off Russia“- Kampagne gegen die Belagerung der jungen Sowjetunion durch die imperialistischen Armeen.
Sylvia Pankhurst war zu einer wichtigen Persönlichkeit der sozialistischen Bewegung geworden, die zwar unklare Vorstellungen vom Aufbau und der Rolle einer revolutionären Organisation hatte, aber ihre enorme Begeisterung für die Revolution und den Sozialismus auf andere übertragen und viele AnhängerInnen gewinnen konnte. Sie wurde 1920 zwar Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Englands, allerdings 1921 bereits wieder ausgeschlossen, als sie sich weigerte, „The Worker`s Dreadnought“ als Parteiorgan herauszugeben. Darüber hinaus lehnte sie mittlerweile eine Zusammenarbeit mit der reformistischen, aber in der Arbeiterklasse sehr einflussreichen Labour Party und die Arbeit auf parlamentarischer Ebene generell ab, welches sie als kapitalistische Institution ablehnte und dessen Rolle als Bühne für revolutionäre Ideen sie nicht sah.
Diese unter RevolutionärInnen auf internationaler Ebene damals heiß diskutierte Position verurteilte Lenin scharf in seinem Buch „Der Linksradikalismus – eine Kinderkrankheit des Kommunismus“. Nichtsdestotrotz verwendete auch er einige Anstrengung darauf, Sylvia als wichtige Figur der radikalen Frauenbewegung zu gewinnen.
Unter dem Druck wirtschaftlicher Rückständigkeit, den Auswirkungen des Bürgerkrieges und ausbleibender sozialistischer Revolutionen in den entwickelten kapitalistischen Staaten degenerierte der russische Arbeiterstaat immer mehr zur stalinistischen Bürokratie.
Frustriert stellte Sylvia ihre politische Arbeit in London 1924 ein und beschränkte sich wieder auf Frauenthemen. Später kämpfte sie gegen den Faschismus, unter anderem im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco, und widmete sich gegen Ende ihres Lebens der Unterstützung antikolonialer Bewegungen, zuletzt in Eritrea.
Einführung des Wahlrechts und anderer Verbesserungen für Frauen
Die letzten Monate vor Ausbruch des Krieges schienen für die Ziele der NUWSS erstaunlich erfolgversprechend: im Zuge eines allgemeinen Wechsel des politischen Klimas schien selbst Erzfeind Asquith zu Zugeständnissen in das unvermeidliche bereit zu sein. Als 1916 die Diskussion um das Frauenwahlrecht erneut aufkam, schrieben sich die Friedensaktivistinnen nun das allgemeine Wahlrecht für alle statt eines beschränkten Frauenwahlrechts auf die Fahnen, da sie nun selbstbewusster geworden waren und sich nicht von vornherein mit Zugeständnissen zufrieden geben wollten.
Der jahrzehntelange unermüdliche Kampf der WSPU, NUWSS und der Massen proletarischer SuffragistInnen hatte auch letzten Endes großen Druck aufgebaut und ein entsprechendes Bewusstsein für die Frage geschaffen. Zudem konnten die Aktivistinnen auf die Erfolge der Frauenbewegung in anderen Ländern verweisen, wie Finnland, wo bereits seit 1906 das Frauenwahlrecht eingeführt worden war, oder auch Dänemark, wo seit 1915 weibliche Abgeordnete im Parlament saßen. Dies traf nun auf eine bedeutendere Rolle der Frau im Produktionsprozess, die sich im Zuge des Ersten Weltkriegs unwiderruflich und auf internationaler Ebene veränderte. Da Frauen zunehmend die Männer in der Produktion ersetzen mussten, die auf dem Feld verheizt wurden, hatten sie auf einmal Zugang zu bisher unerreichbaren Berufen und höheren Lohnstufen. Besonders für ihre gefährliche Arbeit in den Munitionsfabriken konnten sie beträchtliche Lohnerhöhungen durchsetzen.
Denn in einer ganzen Reihe von Ländern wurden das Frauenstimmrecht und andere, zum Teil bahnbrechende Verbesserungen letzten Endes durch bedeutende Kämpfe der Arbeiterklasse oder Revolutionen eingeführt. Hierbei waren es aber die arbeitenden Frauen, welche die Emanzipationsbewegungen mit sozialistischen Ideen verknüpften und zu Erfolgen führten. Dies war zum Beispiel in Deutschland 1918 der Fall, wo die SPD den Kapitalismus vor seinem Sturz durch die sozialistische Novemberrevolution gerettet hatte. Das vom Rat der Volksbeauftragten beschlossene allgemeine und gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen, freie Partnerwahl und Mutterschutzgesetze blieben bestehen – die Klassengesellschaft und damit die tägliche Doppelbelastung und Diskriminierung der Frauen auf vielen Ebenen allerdings auch.
Aus Angst vor möglichen gemeinsamen revolutionären Bewegungen von SuffragistInnen und ArbeiterInnen, die ihre Machtstellung gefährden könnten, waren die britischen Herrschenden 1919 bereit, Frauen ab 21 Jahren und mit einem gewissen Besitz das aktive Wahlrecht ( bzw. ab 30 Jahren das passive )zuzugestehen; ein uneingeschränktes Wahlrecht für alle gab es erst 1928.
Clara Zetkin hatte Recht behalten, als sie unter anderem als Chefredakteurin der Zeitung der Sozialistischen Frauen-Assoziation „Gleichheit“ immer wieder betonte, dass Sozialistinnen zwar die Forderungen bürgerlicher Frauen nach Gerechtigkeit unterstützen, sich aber trotzdem auf Klassenbasis in eigenen Organisationen engagieren müssen. Auch um das allgemeine Wahlrecht für Frauen zu erreichen, bedürfe es der Kampfmethoden der Arbeiterklasse.
Auch Sylvia Pankhurst war sich der Schlüsselrolle bewusst, welche die russische Revolution und die revolutionären Bewegungen gegen Ende des Weltkrieges in Europa für ihren Kampf spielte: „Es ist interessant zu beobachten, dass die gesetzlichen Hürden für die Beteiligung von Frauen am Parlament und seinen Wahlen nicht beseitigt worden sind bis die Bewegung für die Abschaffung des Parlamentes als Zeuge des Sturzes der parlamentarischen Regierung in Russland und der Gründung der Sowjets die stärkste Ermutigung erfahren hatte.“
Leider blieben weitere sozialistische Revolutionen in anderen europäischen Industriestaaten entweder aus oder wurden von den sozialdemokratischen Parteien, später auch von den kommunistischen Parteien selbst, verraten. Vor diesem Hintergrund war in der isolierten Sowjetunion der Aufbau des Sozialismus zum Scheitern verurteilt. Dort hatten Frauen zwar sowohl sozial als auch politisch mehr Rechte, von einer Gleichstellung mit den Männern blieben sie jedoch weit entfernt.
Den Herrschenden in den entwickelten kapitalistischen Ländern war es immer weniger möglich, den Frauen grundlegende demokratische Rechte vorzuenthalten. Neben Deutschland führten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs unter anderem Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und die USA das Frauenwahlrecht ein, viele weitere Staaten folgten in den 1920ern und 1940ern (unter anderem Frankreich und Belgien 1945 und 1946). Nachdem 1993 der letzte Schweizer Kanton gezwungen wurde, das seit 1971 bestehende landesweite allgemeine Frauenstimmrecht zu übernehmen, ist das Frauenwahlrecht in den europäischen Staaten kein Thema mehr.
Trotz Wahlrecht keine Befreiung der Frau
Über 100 Jahre nach dem ersten Weltfrauentag und dem „Schwarzen Freitag“ haben sich die Lebensumstände von Frauen in den entwickelten kapitalistischen Ländern enorm verbessert. Selbst in neokolonialen Ländern wurden wichtige Fortschritte auf ökonomischer, sozialer und politischer Ebene erkämpft. Doch von wirklicher Gleichberechtigung sind wir immer noch weit entfernt. In einigen Bereichen gab es bereits Rückschritte, die sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf Sozialsysteme und Arbeitsplätze vor allem im Euro-Raum verschärfen werden. Heute haben in fast allen Ländern der Erde Frauen das Wahlrecht – aber nichts zu wählen. Rund um den Globus gibt es kaum eine Regierungspartei, die nicht fortlaufend Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse führt und so die Errungenschaften der Frauen in Frage stellt.
Frauen haben sich einen Platz in der Arbeitswelt erobert. Aufgrund des massiven Abbaus von Industriearbeitsplätzen in den letzten Jahren sind in einigen Ländern heute sogar mehr Frauen als Männer in Beschäftigung. Auch im Zusammenhang mit sinkenden Reallöhnen werden die Einkommen von Frauen im 21. Jahrhundert immer wichtiger: Frauen sind in 34 Prozent aller deutschen Haushalte, in denen eine Frau lebt, auch die Hauptverdiener.
Das ändert aber nichts daran, dass Frauen im Job nach wie vor benachteiligt sind. Frauenlöhne sind weltweit im Durchschnitt niedriger als Männerlöhne. Hierzulande verdienen Frauen 23 Prozent weniger als Männer, im EU-Durchschnitt 17,5 Prozent. Immer noch verdienen Frauen durchschnittlich zwölf Prozent weniger als Männer mit derselben Qualifikation auf demselben Posten. Immer noch arbeiten Frauen überwiegend in denselben Berufen wie vor 100 Jahren: Pflege, Büro, Verkauf, Erziehung, Gastronomie, in anderen Ländern auch Textilproduktion, alles wesentlich schlechter bezahlt als typische Männerberufe. Es gibt schlechtere Arbeitsbedingungen und mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Nach Informationen des Bundesfrauenministeriums bekommt jede dritte Frau in Deutschland mit Vollzeitstelle einen Niedriglohn, zählt man Teilzeitkräfte und Mini-JobberInnen dazu, sind zwei Drittel der GeringverdienerInnen weiblich. 2010 hatten nur noch 55 Prozent der erwerbstätigen Frauen Vollzeitjobs, 1999 waren es noch 70 Prozent.
Grund dafür ist unter anderem, dass die meisten Frauen heute immer noch doppelt belastet sind, mit Job und Haushalt, Kindererziehung oder gar Pflege. Daher bekommen sie auch jede Kürzung im Gesundheits-, Pflege- und Bildungsbereich direkt zu spüren. Zum einen sind sie beim Arbeitsplatzabbau im Dienstleistungssektor am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen, zum anderen müssen sie die ehemals gesellschaftlich organisierte Arbeit privat zu Hause übernehmen.
Das Beispiel Griechenland zeigt, dass vor allem die Frauen jetzt für die Krise der Kapitalisten zahlen: dort hat sich die offizielle Arbeitslosenquote seit Frühjahr 2010 fast verdoppelt (auf 21%, bzw. 50% unter Jugendlichen). Infolge der massiven Kürzungen im öffentlichen Dienst, wo ein Großteil von (akademischen) Frauen arbeitete, liegt die weibliche Arbeitslosenquote bei 25%. Vor diesem Hintergrund ziehen sich vor allem junge Frauen auf „traditionelle“ Werte und ihre Rolle als Hausfrauen und Mütter zurück. Da Frauen eine niedrigere Rente beziehen, leiden sie auch mehr unter den Kürzungen. Die massive Arbeitslosigkeit, die drakonischen Lohn- und Sozialkürzungen und verstärkte wirtschaftliche Abhängigkeit von EhepartnerInnen voneinander führt zu enormen Spannungen in Partnerschaften und Familien, häusliche Gewalt gegen Frauen hat zugenommen. Zwar stellen sie nicht die eigentliche Ursache für diese Übergriffe dar, aber der Verlust des Arbeitsplatzes und damit auch der Ernährerrolle, Existenzangst usw. können solche Verhaltensweisen verstärken.
Gewalttaten gegen Frauen
Weltweit wird eine von fünf Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung, in den entwickelten kapitalistischen Ländern eine von sieben. In Deutschland gelangen jährlich etwa 12.000 bis 13.000 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Gewalt zur Anzeige, wobei die Dunkelziffer hundertfach höher liegen kann. Drastische Kürzungen in öffentlichen Dienstleistungen untergraben schon allein durch den Wegfall von Beratungs- und Betreuungsangeboten den Kampf gegen häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen. Grundlage für Gewalt von Männern gegen Frauen ist letzten Endes deren Drang, Macht über die Frauen auszuüben, in einer Gesellschaft, in der die übergroße Mehrheit der Menschen von einer kleinen Minderheit ausgebeutet und beherrscht wird. Immer noch herrscht bei vielen Männern die Vorstellung, „ihre“ Frau sei auch ihr Eigentum, mit dem sie machen können, was sie wollen. Die Gesetzgebung selbst in den entwickelten kapitalistischen Staaten hat dies lange unterstützt, erst seit 1997 steht z.B. Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe.
Frauenbewegung heute
Die proletarische Frauenbewegung selbst ging im Grunde den gleichen Weg wie die Arbeiterbewegung: mit dem Faschismus brach auch sie zunächst zusammen, auch in den Aufschwungjahren blieb es schwierig. Erst 1968 kam neuer Schwung in die Emanzipationsbewegung, vor dem Hintergrund revolutionärer Bewegungen und Aufständen gegen kapitalistische Ausbeutung weltweit. Neben neuen Organisationen auf der Linken gründeten sich auch neue Frauengruppen, z.B. in der StudentInnenbewegung. Auf Parteiebene hatten später die Grünen großen Einfluss auf die neue Frauenbewegung, die in der Mehrheit – ganz im Sinne der bürgerlichen Frauenbewegung – durch schrittweise Gesetzesänderungen Fortschritte in der Gleichberechtigung erreichen wollten, wie Bezahlung von Hausarbeit, Frauenquoten, Gleichstellungsgesetz usw. Ähnliche Positionen vertreten auch Feministinnen wie Alice Schwarzer.
Solchen bürgerlichen Kräften geht es höchstens darum, bürgerlichen Frauen dieselben Privilegien in der bürgerlichen Gesellschaft zu verschaffen wie den Männern und beide Geschlechter damit in Konkurrenz zueinander zu setzen. Das führt unter anderem die Gesetzesinitiative der Grünen für eine Frauenmindestquote von 30 Prozent in den Aufsichtsräten (aktuell: 3,7%) und Vorständen börsennotierter Unternehmen vom 2.12.2011 vor Augen. Löhne und Arbeitsbedingungen weiblicher Beschäftigter in diesen Unternehmen interessieren nicht.
Die Vorstellung, mehr Frauen in Führungspositionen in der männerdominierten Politik und Wirtschaft würden einiges verbessern, da Frauen frauenfreundlichere Entscheidungen treffen würden, ist weit verbreitet. Manchmal wird das sogar mit angeblich „typisch weiblichen“ positiven Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen und Friedfertigkeit begründet. Doch die Erfahrung widerlegt beides: aggressiver Sozialkahlschlag und arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Politik wird in Großbritannien immer noch vor allem mit dem Namen Maggie Thatcher in Verbindung gebracht. KurdInnen in der Türkei erinnern sich immer noch mit Schrecken an die ehemalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller, in deren Amtszeit die kurdische Bevölkerung dort unter brutalsten Repressionen zu leiden hatte. Die Familienministerin der Merkel-Regierung Schröder zeichnet sich für die Einführung des Elterngeldes verantwortlich, welches gerade einkommensschwache Frauen benachteiligt. Und Merkel selbst dürfte nicht zuletzt wegen ihrer Rolle als Kürzungs-Hardlinerin in der Eurokrise kaum in die Geschichte eingehen als Vorkämpferin der Emanzipation.
Bürgerliche Politikerinnen erfüllen genauso wie ihre männlichen Pendants die Interessen der bürgerlichen herrschenden Klasse, die grundsätzlich von der Ungleichbehandlung der Frauen profitiert. Und wenn man Renate Künast glauben will, sind Frauen sogar die größeren Profithaie – schließlich appelliert sie in ihrem offenen Brief an die 30 DAX-Unternehmen vom 30.11.11 an deren Interesse, ihre „Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit“ zu sichern, und zwar durch einen „hohen Frauenanteil in der Führungsebene“, der Unternehmen „nachweislich erfolgreicher und rentabler“ mache.
„Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus!“ (Alexandra Kollontai)
Frauenunterdrückung gehört zum Kapitalismus dazu, genauso wie Ausbeutung, Krieg und Rassismus, deswegen können wir den Kampf dagegen im Rahmen des Kapitalismus nie gewinnen. Dazu brauchen wir eine sozialistische Gesellschaft, in der die Produktionsmittel in öffentlicher Hand sind und die Herstellung und Verteilung der Güter demokratisch organisiert wird. Wirtschaftliche Tätigkeit wäre nicht mehr am Profitprinzip ausgerichtet, sondern an der Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen und der Umwelt. Mit der Konkurrenz von Unternehmen und Menschen untereinander würde auch jegliche Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht oder sexuellen Vorlieben wegfallen, ohne eine herrschende Minderheit, die eine übergroße Mehrheit ausbeutet, braucht es solche Spaltungsinstrumente nicht mehr. Hausarbeit, Erziehung und andere soziale Aufgaben blieben nicht mehr an den Frauen hängen, sondern lägen in der Verantwortung der gesamten Gesellschaft. Auch wenn dies zweifellos ein länger andauernder Prozess wäre, würden sich Männer und Frauen von überkommenen Rollenvorstellungen, Gewalt und Sexismus befreien und wirklich gleichberechtigt und frei zusammenleben können.
Aufbau der Arbeiterbewegung, Aufbau der Frauenbewegung
Ideen von vermeintlichen gemeinsamen Interessen aller Frauen, welche die Klassenfrage in den Hintergrund drängten, lenkten die Frauenbewegung in eine rechtsreformistische Richtung. Mit dem Rechtsruck ehemaliger Arbeiterparteien und der Gewerkschaftsführung brach Anfang der 1990er auch die Frauenbewegung weitgehend zusammen. Ein wichtiger Faktor dieser Entwicklung war der Sturz der stalinistischen Regime und der scheinbare Sieg des Kapitalismus als einzig mögliches Wirtschaftssystem. In vielen Ländern gibt es heute am Internationalen Frauentag Blumen für die Frauen statt großer Demonstrationen. Auf der anderen Seite wächst die Wut besonders unter jungen Frauen über ihre Lage und bricht sich in neuen Protestbewegungen Bahn. Ein Beispiel sind die Slutwalks („Schlampenmärsche“) gegen sexuelle Gewalt, die ausgehend von Kanada weltweit organisiert werden. Ausgelöst wurde diese Bewegung durch die skandalöse Äußerung des kanadischen Polizisten Michael Sanguinetti, der in einem Vortrag über Verbrechensprävention meinte, Frauen sollen „sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht schikaniert zu werden.“
Um jedoch wieder eine wirklich starke Frauenbewegung zu schaffen, müssen wir auch wieder schlagkräftige Organisationen der Arbeiterbewegung aufbauen. Wir müssen in den Gewerkschaften und linken Formationen wie der Partei DIE LINKE für eine kämpferische Politik und den Kampf gegen Ungleichbehandlung eintreten. Doch jede Kampagne gegen häusliche und sexuelle Gewalt, gegen Sexismus, gegen den Abbau von Sozialleistungen und Kürzungen bei Fraueneinrichtungen, für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne muss dies alles in Zusammenhang setzen mit dem Kampf gegen den Kapitalismus. Diesen Kampf können Frauen und Männer nur gemeinsam führen. Auf Grundalge eines revolutionären Programms können wir dieses System überwinden und durch eine sozialistische Demokratie ersetzen.
„Wir erwarten unsere volle Emanzipation weder von der Zulassung der Frau zu dem, was man freie Gewerbe nennt, (..) noch von der Gewährung politischer Rechte. Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der keinen Kurs hat. Wenn die soziale Emanzipation von den politischen Rechten abhinge, würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht keine soziale Frage existieren. Die Emanzipation der Frau wie die des ganzen Menschengeschlechtes wird ausschließlich das Werk der Emanzipation der Arbeit vom Kapital sein. Nur in der sozialistischen Gesellschaft werden die Frauen wie die Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen.“ (Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889).
Ausgewählte Literatur:
Clara Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, Verlag Roter Stern, Frankfurt a.M. 1970
Sheila Rowbottam, Im Dunkel der Geschichte, Frauenbewegung in England vom 17. bis 20. Jahrhundert, Campus Verlag, Frankfurt am Main 1980
Jill Liddington and Jill Norris, One Hand Tied Behind Us – The Rise of the Women`s Suffrage Movement, Virago, London 1978
Michaela Karl: „Wir fordern die Hälfte der Welt!“. Der Kampf der englischen Suffragetten um das Frauenstimmrecht, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.