LINKE-Bundesparteitag: Nein zur Ausgrenzung – für eine plurale Partei!

dokumentiert: Flyer der SAV zum Bundesparteitag der LINKEN am 28. Februar und 1. März gegen die Ausgrenzung marxistischer KritikerInnen.


 

"Elf Berliner MarxistInnen wird der Eintritt in DIE LINKE verwehrt. Sie sind AktivistInnen der SAV und waren aktiv und in Funktion im Landesverband Berlin der WASG. Darunter sind Lucy Redler (ehemaliges WASG-Bundesvorstandsmitglied), Sascha Stanicic (ehemaliges WASG-Länderratsmitglied), Carsten Becker (ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender und Personalrat an der Charité), Anne Engelhardt (Abgeordnete der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte), Michael Koschitzki (Mitorganisator der bundesweiten Schülerstreiks im November 2008), Hakan Doganay (ehemaliger Vertrauenskörperleiter bei Bosch-Siemens-Hausgeräte) und andere.

Klaus Ernst höchstpersönlich hat Einspruch gegen die Mitgliedschaft von zehn dieser GenossInnen eingelegt. Seine Vorwürfe reichen von „Nichtanerkennung der Fusion als programmatischem Grundsatz der Partei“ über „primäre SAV-Identität“, „finanzielle Schädigung der Partei“ bis hin zur „zu erwartenden Nichtanerkennung von Parteibeschlüssen“. Die Landesschiedskommission Berlin hat diesen Einsprüchen statt gegeben, wenn auch nur auf der Basis eines "Anklagepunktes": die Kandidatur der WASG Berlin zu den Abgeordnetenhauswahlen 2006, die gegen eine Aufforderung des WASG-Bundesparteitags durchgeführt wurde, lasse darauf schließen, das Parteitagsbeschlüsse durch die elf GenossInnen auch in Zukunft missachtet würden. Das nennt sich dann "Prognoseentscheidung". "Im Zweifel für den Angeklagten" gilt zwar vor bürgerlichen Gerichten, nicht aber in der Partei DIE LINKE!

Doch es geht hier nicht um individuelles Verhalten Einzelner, sondern um Ausrichtung und Charakter der Partei. Nicht zufällig zetert Gregor Gysi im selben Zeitraum in den Massenmedien gegen „linke Spinner“ in der Partei und droht Ulrich Maurer mit einer Zunahme von Schiedsgerichtsverfahren. Während die tiefe kapitalistische Weltkrise die Frage von massenhaftem Widerstand und eines tatsächlich sozialistischen Programms zur Überwindung des Kapitalismus auf die Tagesordnung stellt, wollen die maßgeblichen Kräfte in der Führung der Partei ihren Kurs auf Regierungsbeteiligungen mit SPD und Kapitalismus-Verwaltung fortsetzen. Die Ausgrenzung prominenter marxistischer KritikerInnen ist da ein klares Signal: eine weitere Linksverschiebung der Partei soll verhindert, die Partei stärker "unter Kontrolle" gebracht werden. Deshalb warnen wir: was mit der Ausgrenzung einzelner SAV"lerInnen beginnt, wird später auch andere linke KritikerInnen treffen!

Dies gilt umso mehr, da das Urteil der Berliner Landesschiedskommission ein Organisations- und Demokratieverständnis zum Ausdruck bringt, das nicht durch die Satzung gedeckt ist, sondern an die Vorgängerpartei der PDS erinnert. Es wird ein zentralistisches Parteikonzept vertreten, in dem jedes Mitglied angehalten ist, jeden Parteibeschluss umzusetzen, auch wenn es nicht davon überzeugt ist. Öffentliche Kritik an Parteibeschlüssen wird als unzulässig betrachtet. Hier ein Zitat aus der schriftlichen Begründung der Landesschiedskommission: „Die Linkspartei kann und muss von ihren Mitgliedern auch eine Loyalität gegenüber demokratisch zustande gekommenen Entscheidungen verlangen. Dies gilt auch, wenn das jenige Mitglied, welches in einem Entscheidungsprozeß mit seiner Meinung unterlegen war, sehr wohl auch gehalten ist, die demokratisch zustande gekommenen Mehrheitsbeschlüsse nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch mit durchzusetzen.“

Was bedeutet diese Aussage konkret? Sie bedeutet zum Beispiel, dass ein Mitglied der Partei DIE LINKE sich nicht nur nicht öffentlich gegen Landesparteitagsbeschlüsse äußern darf, sondern von ihm erwartet wird, diese „mit durchzusetzen“. Wenn also der Landesparteitag der Berliner LINKEn, die Politik des Berliner Senats per Beschluss unterstützt, so muss jedes Mitglied der Partei in Berlin darauf verzichten die Umsetzung von Ein-Euro-Jobs in Berliner Bezirken, die Privatisierung von Wohnraum, Arbeitsplatzvernichtung und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst, Kürzung des Blindengelds, Abschaffung der Lehrmittelfreiheit etc. öffentlich zu kritisieren und dürfte auch an keiner Demonstration dagegen teilnehmen.

Wenn sich ein solches Parteiverständnis in der LINKEn durchsetzt, werden die Führungen und Schiedskommissionen die Möglichkeit haben, jedem Kritiker und jeder Kritikerin parteischädigendes Verhalten nachzuweisen, wenn man nur einmal laut in der Öffentlichkeit nachgedacht hat oder sich geweigert hat Flugblätter zu verteilen, in denen die Berliner Senatspolitik verteidigt wird.

Die Satzung spricht aber eine andere Sprache, als die Berliner Landesschiedskommission. Sie verlangt Respekt vor Parteibeschlüssen, aber keinen Zwang zur Umsetzung oder Verzicht auf öffentliche Kritik. Im Gegenteil sieht §4 Abs.2 der Satzung vor, dass jedes Mitglied das Recht hat „an der Meinungs- und Willensbildung mitzuwirken, sich über alle Parteiangelegenheiten zu informieren und zu diesen ungehindert Stellung zu nehmen“.

Hier ist nicht die Rede davon, dass diese Stellungnahmen nur vor Beschlussfassungen oder nur parteiintern möglich sind. Im selben Paragraphen wird außerdem unterschieden zwischen der Pflicht die Grundsätze der Partei zu vertreten und der Pflicht die gefassten Beschlüsse zu respektieren. Nun mag man sich über die Definition des Wortes „respektieren“ streiten können. Es bedeutet aber ganz sicher nicht „umsetzen“, „öffentlich vertreten“ oder „nicht kritisieren“. Respekt bedeutet gefasste Beschlüsse anzuerkennen und sich politisch (und das beinhaltet die Fortsetzung der Debatte, auch öffentlich, und ggf. auch die Teilnahme an außerparlamentarischer Opposition gegen Beschlüsse, die einen unsozialen Charakter haben) damit auseinanderzusetzen, aber zum Beispiel darauf zu verzichten, die Umsetzung durch Störung, Sabotage oder ähnlichem zu verhindern.

Viele Mitglieder und Gliederungen der Partei und des Jugendverbandes haben gegen diese Ausgrenzungsversuche protestiert. Darunter die Landesparteitage Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, der Landesvorstand NRW, Linksjugend["solid]-Landesvollversammlungen in NRW, Baden-Württemberg und Bayern.

Das Verfahren wird nun vor der Bundesschiedskommission fortgesetzt. Wir fordern alle Mitglieder und Gliederungen auf ihren Protest gegen die Ausgrenzung der elf BerlinerInnen an Bundesschiedskommission und Parteivorstand zu richten:

schiedskommission@die-linke.de
parteivorstand@die-linke.de"