Was ist links?

Vereinigungsprozess WASG und Linkspartei/PDS läuft – Berliner Wahlen kontrovers
 
„So schnell wie möglich – so langsam, sorgfältig und offen wie nötig!“ – so lautet der Titel einer als „Diskussionsplattform und Arbeitsgrundlage für den Bundesvorstand“ vom WASG-Länderrat am 9. Oktober verabschiedeten Resolution. Darin wird die Vereinigung von WASG und Linkspartei/PDS als Ziel formuliert, gleichzeitig aber betont, dass die Vereinigung nicht als „Top-Down-Prozess“, sondern unter Einbeziehung der „Menschen in den Ländern und Regionen“ laufen soll. Damit konnten sich die Befürworter einer schnellen Fusion, möglichst vor den im Jahr 2006 stattfindenden Landtagswahlen, nicht durchsetzen. Der auf zwei Jahre angelegte Diskussionsprozess wird nicht mehr wirklich ergebnisoffen sein. Es soll nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wann und wie“ gehen.
Kernstück der nun in „Parteibildungsprozess“ umbenannten Fusion sind die bereits stattfindenden Foren, in denen „die politischen Gemeinsamkeiten, die historisch-kulturellen Unterschiede und die theoretisch-programmatischen Differenzen“ diskutiert werden sollen. Diese scheinen aber weniger darauf ausgerichtet zu sein, eine große Zahl von AktivistInnen aus beiden Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen anzusprechen, als kleinere Funktionärskreise. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass die politische Debatte nicht den Vorständen überlassen wird, sondern in den Kreis- und Landesverbänden ebenfalls Diskussionsforen stattfinden und so ein „Parteibildungsprozess von unten“ in Gang gesetzt wird. Ebenso ist eine Einbeziehung von GewerkschafterInnen, AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen und anderen Bereichen von entscheidender Bedeutung, wenn es tatsächlich zu einer Neugründung einer linken Partei kommen soll, die mehr repräsentiert als die heutige Linkspartei/PDS und WASG.

Politische Basis

Verzichtet wird jedoch darauf, politische Mindestbedingungen für die Bildung einer neuen Partei zu formulieren, zum Beispiel die kategorische Ablehnung von Arbeitsplatzvernichtung, Sozialkürzungen und Privatisierungen. Diesem Gedanken wurde bereits durch den Bundestagsabgeordneten Werner Dreibus eine Absage erteilt. Stattdessen gibt es allgemeine Aussagen gegen den Neoliberalismus. Die Politik einer Partei lässt sich aber nicht an Worten messen, sondern an Taten. Für Erwerbslose und prekär Beschäftigte, für die Lohnabhängigen, RentnerInnen und Jugendlichen ist es zum Beispiel nicht entscheidend, ob die Berliner Linkspartei/PDS sich auf dem Papier gegen Hartz IV ausspricht, sondern ob sie dieses Gesetz auf Landesebene umsetzt. Deshalb sollte der Gründung einer neuen linken Partei die Beantwortung der Frage „was ist links“ vorausgehen.

Regierungsfrage bundesweit wichtig

Wie unter einem Vergrößerungsglas stellt sich diese Frage in Berlin. Denn hier ist die Linkspartei/PDS Bestandteil einer Regierungskoalition mit der SPD, die massiven Sozialabbau betreibt. Hier stellt sich die Frage, ob man nur (mehr oder weniger) links redet oder links – also an der Seite der von Lohn- und Sozialraub Betroffenen – handelt. Dabei geht es nicht um ein Berliner Problem. Es ist eine richtungsweisende Auseinandersetzung über Charakter und Politik einer neuen linken Partei in der Bundesrepublik. Wenn die Führungen von Linkspartei/PDS und WASG die Politik der Berliner Linkspartei/PDS unterstützen oder akzeptieren, wirft das ein Licht auf die Politik, die sie in Zukunft bereit sein werden zu betreiben, wenn sich ihnen die Möglichkeit der Regierungsbeteiligung bietet.
Deshalb sollte die WASG bundesweit und in Berlin einen politischen Grundsatz aufstellen: Bildung einer neuen linken Partei – ja! Beteiligung an Sozialabbau und Privatisierungen – Nein! Wenn die WASG offensiv mit dieser Minimalbedingung in den Diskussionsprozess mit der Linkspartei/PDS geht, müsste diese sich öffentlich und für alle sichtbar erklären. Die in weiten Teilen – außerhalb Berlins – selbst unter Linken herrschende Unwissenheit über die arbeitnehmerfeindliche Politik des Berliner „rot-roten“ Senats könnte überwunden werden und viele würden verstehen, dass die WASG nicht aus eigennützigen Parteiinteressen, sondern aufgrund politischer Prinzipienfestigkeit ihre Kritik an der Politik der Linkspartei/PDS formuliert. Alle würden verstehen, dass eine wirklich neue Kraft entstehen soll, die konsequent und überall gegen Sozialabbau kämpft. Das würde die Begeisterung unter zehntausenden ArbeiterInnen und Erwerbslosen steigern, die in dem dynamischen Aufbau der WASG schon erkennbar war. Sollte die Linkspartei/PDS auf dieser Basis nicht zu einer gemeinsamen Partei-Neugründung bereit sein, könnte eine gestärkte WASG mit vielen tausend AktivistInnen aus Gewerkschaften, Bewegungen und Linkspartei/PDS eine neue, ungleich stärkere, Partei bilden.
Viele Mitglieder, vor allem aus Berlin, befürchten, dass der für März angesetzte Bundesparteitag über ihre Köpfe hinweg beschließen könnte, keine konkurrierenden Kandidaturen zur Linkspartei/PDS zuzulassen. Deshalb ist es wichtig, dass die Berliner WASG vor dem Bundesparteitag eine Bilanz ihrer Gespräche mit der Linkspartei/PDS zieht und entscheidet, ob der Beschluss, eigenständig zur Abgeordnetenhauswahl anzutreten, bestätigt oder aufgehoben wird. Die Berliner WASG hat zweifellos die Verantwortung, die bundesweiten Entwicklungen in diese Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Trotzdem sollte die Entscheidung über einen Wahlantritt in Berlin auch von den Berliner WASG-Mitgliedern gefällt werden.

Kämpfe unterstützen

Eine Partei, die für Arbeit und soziale Gerechtigkeit kämpfen will, muss gemeinsam mit den Betroffenen, sei es bei Daimler, Agfa-Photo oder den Studierenden in Baden-Württemberg, Widerstand organisieren. Dazu gehört auch, die Blockadehaltung der Gewerkschaftsspitze zu kritisieren und kämpferische GewerkschafterInnen und den Aufbau einer oppositionellen Gewerkschaftslinken zu unterstützen.Um eine wirklich demokratische, kämpferische und breite neue Partei für ArbeiterInnen und Erwerbslose aufzubauen, sollten über das Spektrum der beiden Parteien hinaus AktivistInnen aus der sozialen und gewerkschaftlichen Bewegung gewonnen werden. Vor allem muss sich die WASG in die Auseinandersetzungen gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau einschalten und Vorschläge erarbeiten, wie diese Angriffe zurückgeschlagen werden können.

von Leonie Blume (Mitglied des WASG-Länderrats) und Sascha Stanicic (Bundesprecher der SAV)